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Die zeitgenössische Trailer-, Werbe- und Musikclipindustrie konfrontiert den modernen Menschen mit einer nie zuvor erreichten Informationsdichte und -geschwindigkeit. Kurzfilme, die dieselbe emotionale Qualität wie Spielfilme haben, jedoch nur wenige Minuten dauern, boomen auch im Internet als Downloads. Auch der Ausstellungsbesucher ist inzwischen mit einer Fülle an Video- und Filmkojen konfrontiert, was stets das gleiche Verhaltensmuster hervorruft: Der Betrachter betritt den Raum und steigt bei Minute 4 oder 5 in den Film ein, nur um ihn dann, nervös angesichts der Fülle noch zu sehender Arbeiten, spätestens bei Minute 11 wieder zu verlassen, um zum nächsten zu eilen. Im Ganzen bleibt der 18 Minuten lange und in seiner Dramaturgie chronologisch aufgebaute Film ungesehen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hat die Schirn Kunsthalle Doug Aitken, Jonas Åkerlund, Hubbard/Birchler, Isaac Julien, Sarah Morris, Philippe Parreno, RothStauffenberg, Anri Sala, Markus Schinwald und Yang Fudong mit der Produktion von dreiminütigen Kurzfilmen beauftragt, die um die Themen "Condensed Information" und "Condensed Narration" kreisen. Die Filme der zehn Künstler erzeugen sowohl inhaltlich als auch technisch durch Schnitttechnik, Fragmentierung, poetische Kompression und Emotionalisierung des Betrachters neue Perspektiven in Bezug auf Verdichtung von Inhalten und Wahrnehmungsmustern. Das Ausstellungssetting wurde in Zusammenarbeit mit dem New Yorker Architektenteam Asymptote (Hani Rashid und Lise Anne Couture) entwickelt.

Die Schirn hat für die zehn Auftragswerke sämtliche Mittel zur Verfügung gestellt. Dies wurde durch die Unterstützung von T-Online International AG ermöglicht, die die Filme der Ausstellung exklusiv unter www.t-online.de/3minutes präsentiert. Zusätzliche Unterstützung erfuhr 3’ durch die CILING Deckenvertrieb GmbH, das British Council und die Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung.

Martina Weinhart, Max Hollein und Hans Ulrich Obrist, Kuratoren der Ausstellung: "3’ ist eine Ausstellung, der als Maßeinheit nicht eine vorgegebene räumliche Fläche, sondern eine Zeitspanne zugrunde liegt: 10 Filme von je 3 Minuten ergeben 30 Minuten Ausstellung in kondensierter Form. 3’ ist deshalb in erster Linie eine Ausstellung, die dem Publikum die Möglichkeit geben möchte, den Film und seine Zeit auf neue Weise miteinander ins Verhältnis zu setzen. Nicht zuletzt macht 3’ deutlich, wie sich die Arbeit einer Reihe von Künstlern vor der Folie der veränderten Wahrnehmungsmechanismen der auf einen ‚limited attention span‘ konditionierten Gesellschaft entwickelt."

Bei Ausstellungen, deren Gesamtlaufdauer an Film- und Videoarbeiten mitunter über 100 Stunden erreicht und deren Besucher in den Zeitlöchern der Black Boxes verschwinden, bleiben am Ende unvermeidbar eine zerstreute und versprengte Wahrnehmung und das Gefühl, zu viel und doch nichts wirklich gesehen zu haben – ein diffuses Zappen. Angesichts der Tatsache, dass sich der Film als zeitbasiertes Medium zunehmend ins Zentrum des Kunstkontextes bewegt, versteht sich 3’ als ein Beitrag zu dieser an Brisanz gewinnenden Frage nach dem Umgang mit dem "Filmischen" im Ausstellungskontext. 3’ begegnet dieser Anforderdung, indem sie zwei dieser Ebenen synchronisiert und die vermeintlich kurze Aufmerksamkeitsspanne des Betrachters mit der Projektionszeit zusammenführt.

Der Kurzfilm lebt aus der Ökonomie von Zeit und Erzählung. Die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit generiert dabei ungeachtet von Form und Stil einen signifikanten Charakter. Die Idee der Verdichtung setzten die eingeladenen Künstler auf unterschiedlichsten Ebenen in ihren für 3’ geschaffenen Filmen um.

Für Jonas Åkerlund, bekannt durch extrem schnell geschnittene, hyperaktive Musikvideos, ist es in dem Film "Turn the Page" die ausschnitthafte narrative Miniatur. Die Geschwindigkeit der Schnitte, das Tempo der Erzählung, die immer wieder durch den Einsatz der wuchtigen Musik von Metallica angetrieben wird, nähren sich aus dem Clip, die illusionistische Erzählung über das Leben einer Frau als Prostituierter und Mutter einer kleinen Tochter aus dem Feature und dessen linearer Chronologie.

Sarah Morris hat mit der Kurzversion ihres eigenen Films "Los Angeles" den Trailer als eine der gängigsten komprimierten Erzählformen gewählt. Auch hier gibt die Musik das Tempo vor und bildet die Klammer um die aspektreiche Assoziationskette dieses Meta-Films über die amerikanische Filmindustrie, der geschickt die Formate des langen und des kurzen, des künstlerischen und des populären Films miteinander verschränkt.

Doug Aitken bedient sich für seinen Beitrag "The Moment" der offenen Form assoziativer Fragmente. In seinem Film steht die Zeit beinahe still, um dann im Takt des Herzschlags beschleunigt zu werden. Menschen werden bei intimen Tätigkeiten wie dem Schlafen und Aufwachen oder banalen wie dem Drücken eines Lichtschalters gezeigt. Die Aneinanderreihung transformiert das Individuelle in ein Muster. Die synonymen Bilder werden immer schneller miteinander verwoben, alles Vereinzelte kulminierend zu einem Strang zusammengeführt, um dann in einem Kreis geschlossen zu werden.

Markus Schinwalds Film "1 part conditional" arbeitet mit dem Moment der psychischen Zuspitzung. In seinem Film wird die Dichte der Erzählung gerade durch das Fehlen von Geschwindigkeit geschaffen. Eine fast leere, großräumige Wohnung mit aneinander gereihten Türfluchten und Parkett, ein kaputter Schrank. Eine weibliche Hauptdarstellerin bewegt sich in merkwürdig zuckenden Bewegungen. Ein Mann sitzt bewegungslos in einem Stuhl. Schinwald schafft eine surreale Atmosphäre und bezieht sich in der erratischen Struktur seines Films auf die Tradition des Experimentalfilms.

Auf unterschiedlichste Weise führen die Filme der Ausstellung vor Augen, dass sich der Kurzfilm in seiner ihm eigenen Poetik anderer Strukturen und Konzeptionen bedient, als der narrative Langfilm. Er geht abstrakt, assoziativ und fragmentarisch mit Ideen, Handlungen und Personen um, um Affekt und Identifikation und mitunter das Gefühl für die Unendlichkeit einer Geschichte zu erzeugen.

INTERNET: 3’ wird auch im Internet unter www.schirn.de abrufbar sein. Auf der Homepage der Schirn wird eine Applikation eingerichtet, auf der alle Filme zu sehen sein werden. Einzige Einschränkung ist eine Nutzungsdauer von 3’ pro Tag.

KATALOG: 3’. Hg. von Max Hollein, Hans Ulrich Obrist und Martina Weinhart. Mit einem Vorwort von Max Hollein, Interviews mit Lars Henrik Gass, Ingvild Goetz, Boris Groys, John G. Hanhardt, Alexander Kluge und Peter Weibel sowie Texten von Max Hollein, Gertrud Koch, Mark Nash, Hans Ulrich Obrist, Robert Pfaller, Ulrich Wegenast und Martina Weinhart. Deutsch/Englisch, ca. 256 Seiten, 160 Farbabbildungen, ISBN 3-8321-7488-5, DuMont Verlag, Köln Pressetext

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3’
Die Schirn hat für die Ausstellung 3´ bei zehn KünstlerInnen zehn Filme von 3 Minuten in Auftrag gegeben
Kuratoren: Max Hollein, Schirn; Hans Ulrich Obrist, Paris; Martina Weinhart, Schirn

KünstlerInnen: Doug Aitken, Jonas Akerlund, Teresa Hubbard & Alexander Birchler, Isaac Julien, Sarah Morris, Philippe Parreno, Roth / Stauffenberg, Anri Sala, Markus Schinwald, Yang Fudong

3’ - Präsentation der Filme

Stationen:
30.09.04 - 02.01.05 Schirn Kunsthalle, Frankfurt
01.04.05 - 29.05.05 Centro Galego de Arte Contemporánea,
Santiago de Compostela