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Eröffnung Freitag, 13.09. um 19:00 Uhr

Wir freuen uns, „Soft Shell“, die erste Einzelausstellung der englischen Künstlerin Alice Channer (* 1977, Oxford, GB) in Deutschland anzukündigen.

Channers Skulpturen knüpfen an Verbindungen der Generation von britischen Künstlern wie Richard Deacon und Tony Cragg an, die Anfang der 1980er Jahre international bekannt wurden. Deren Skulpturen synthetisierten skulpturale Abstraktionen mit sozialen und naturbezogenen Metaphern und Fundobjekte mit traditionellen Guss- und Modellierungsverfahren. Sie experimentierten mit den Strukturen und Beschaffenheiten unterschiedlicher purer Materialien wie Holz, Metall und Bronze und kombinierten diese mit gefundenem, benutzem Material, z.B. altem Linoleum. Eine Dekade später gelang den britischen Künstlern, darunter Damien Hirst und Sarah Lucas, der internationale Durchbruch. Das damalige Frühwerk dieser Künstler definierte die Skulptur neu als Assemblage − von Fundobjekten, die mit assoziativen Erzählungen angereichert, vergleichbar mit Wörtern innerhalb der Syntax eines Satzes, sind. In dieser Zeit gerieten die traditionellen Herstellungsprozesse der Skulpturen weitgehend ins Abseits, als sich die vormals dynamische Schnittmenge zwischen einer selbstreflexiven künstlich-abstrakten Formensprache und die nach außen gerichteten Verbindungen der Fundobjekte trennten.

Alice Channer reaktiviert die Aspekte der ehemaligen Synthese wieder. Ihre Skulpturen, für deren Produktion sie traditionelle und hochmoderne Konstruktionsprozesse kombiniert, sind synthetischer Ersatz sowohl für natürliche und industrielle Formen als auch für Strukturen von selbstreflexiver Künstlichkeit. Sie erodieren die Unterschiede zwischen Organik und Synthetik sowie zwischen real und künstlich, die von unserer digitalen, post-industriellen Kultur bereits ausgedünnt worden sind. Ihre Werke tendieren nicht dahin, direkte Darstellungen von natürlichen Phänomenen, sondern eher alternative Realitäten zu sein, durch Materialien und Werkprozesse produziert, die den Stoffen und Entwicklungsprozessen der Natur rivalisierend gegenüberstehen.

Die Ausstellung „Soft Shell“ im Kunstverein Freiburg besetzt die Halle mit einer Serie von neuen Skulpturen. Sie regen an, gewohnte Erfahrungen zum Verhältnis von Kunstobjekten zu dem Raum, den sie bewohnen, und zu der Welt außerhalb der Parameter einer Kunst-Installation, zu überdenken. Blaue Polyesterfolie liegt auf den Fensterscheiben des flachen Glasdachs, als wäre es eine von der reflektierenden Farbe des Himmelslichts gefärbte Wasseroberfläche und der Boden des Erdgeschosses ein Seegrund, auf welchem Ökosysteme wuchern, die getrennt von denen oberhalb der Oberfläche bleiben. Die entstehende Andersartigkeit und Ferne der unterschiedlichen Ökosysteme korrespondiert mit der Art, wie die offenkundige Künstlichkeit von Channers Skulpturen sie von Alltagsobjekten entfremdet und ihnen so eine fast übernatürlich-fantastische Aura verleiht. Tzunami (2013) dominiert die große Ausstellungshalle des Kunstvereins, ein doppelt gelegter, 140 cm breiter Seidenstoff, der vom Dach bis zum Boden hinabfällt, wo die Enden zu jeder Seite, ähnlich wie zwei in entgegengesetzte Richtungen gelegte Teppiche, auslaufen. Das im Digitaldruck mit einem grau- und braunfarbenen Muster auf den Stoff aufgetragene Motiv erinnert an eine übergroße Schlangenhaut. Das räumlich über die vertikalen Endpunkte der Halle hängende Werk kombiniert natürliche Assoziationen und abstraktes Design. Ein weiteres Werk, Soft Shell (smaller) (2013), besteht aus auf dem Boden verteilten, wellenförmigen, polierten und freistehenden Stahlbändern. Es sind synthetisch-industrielle Destillationen von Formen, die mit organischen Erscheinungen assoziiert werden können, die z.B. durch Wasser- oder Gletschererosion hervorgerufen werden. Lebensgroße „Finger“, jeweils aus Aluminium oder Bronze gegossen – abgetrennt von ihrem Körper, zu sehr gebogen, um menschlich sein zu können, jedoch durch einen Transformationsprozess von einer weiblichen, menschlichen Hand abgeleitet – balancieren quer über dünne, obere Kanten der wellenförmigen Stahlelemente, wie grausige Überreste einer Naturkatastrophe, die alle sonstigen Spuren menschlichen Lebens ausgelöscht hat. Sie teilen den unnatürlichen Metallschimmer einer Serie aus Aluminium gegossener „Felsen“, die den Seidenstoff der hängenden Skulptur auf dem Boden beschweren. Die mit der industriellen Herstellung von poliertem Aluminium verbundenen Vorstellungen wirken der Ähnlichkeit der „Felsen“ als Formen natürlicher Ablagerungen entgegen, wie deren offensichtliches Gewicht der sie umgebenden Illusion von Schwerelosigkeit durch die hängende Skulptur oder der balancierenden Finger trotzt. An den Wänden im Erd- und direkt darüber im Obergeschoss sind azurblaue, gebogene längliche Formen aus PU-Kunstharz angebracht, mit Titeln wie DFR302 (2013) oder ID2404 (2013). Die Buchstaben- und Zahlenkodierung der Titel legt eher eine unpersönliche, industrielle Herstellung als den subjektiven Schaffensprozess der Künstlerin von einzelnen Werken im Atelier nahe. Diese Abgüsse unterschiedlicher Textilien, etwa von Leggings, scheinen aber auch durch natürlich Kräfte geformt worden zu sein, ähnlich wie Seetang oder versteinerte Wurzelfragmente. Ihre neonartige Farbigkeit und Transluzenz führt jedoch die Assoziationen wieder weg von der Natur und hin zur künstlichen Welt industrieller plastischer Produktionsverfahren und des 3D-Drucks. Auf der Galerie im Obergeschoss liegen zweifach gekurvte, polierte Aluminiumbleche − Exoskeleton (2013) − auf dem Boden. Anders als die auf ihren Kanten stehenden Wellenformen im Erdgeschoss scheint diese Skulptur wie ein gestrandetes Skelett auf den Rücken gelegt worden zu sein, mit der durch die aufwärts gewölbten Formen angedeuteten Möglichkeit zu fließen, was wiederum durch die spezielle Anordnung am Boden unmöglich scheint.

Die Ausstellung „Soft Shell“ fordert die reflexiven, kulturell konditionierten Erwartungen heraus, Skulpturen entweder natürlich (auf Fundobjekten basierend), darstellend (figurativ) oder formalistisch einzuordnen. Stattdessen zeigt Channers Werk, dass die Skulpturen weder Bilder noch Abstraktionen sind, sondern vielmehr deren präzedenzlose Verschmelzungen. Indem ihre Skulpturen organische und synthetische Konnotationen synthetisieren, wirken sie in Bezug auf die gewöhnlichen Interpretationen des Raumes, den sie besetzen, verstörend. Sie machen ihn weder zu einem Kunstraum noch zu einem realen oder einem fiktiven Raum, sondern zu einer verlockenden instabilen Alternative, an die man sich erst langsam, wie an unvertraute Gravitationsgesetze, gewöhnen muss.

Alice Channer, geb. 1977 in Oxford (GB), lebt und arbeitet in London. Ihr Studium der Bildenden Künste und der Bildhauerei absolvierte sie am Goldsmith College und am Royal College of Art in London. Ihre Arbeiten wurden unter anderem in folgenden Einzelausstellungen gezeigt: 2007 That Make Up Some Things, Associates Gallery, London; 2010 Inhale, Exhale, Charles Rennie Mackintosh Gallery, Glasgow School of Art, Schottland; 2012 Cold Blood, Lisa Cooley, New York; Out of Body, South London Gallery, London; 2013 Invertebrates, The Hepworth Wakefield, GB. Zwischen 2007 und 2013 waren ihre Arbeiten in folgenden Gruppenausstellungen zu sehen: 2008 Strange Solution, Art Now, Tate Britain, London; 2011 The Cat Is On The Table, Spazio A, Pistoia, Italien; 2012 Contemporary Collection Display:The Space Between, Tate Britain, London. Derzeit ist Alice Channer in der von Massimiliano Gioni kuratierten Gruppenausstellung The Encyclopedic Palace auf der 55. Biennale in Venedig vertreten.

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Alice Channer
Soft Shell