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Gemälde sind nicht automatisch Kunstwerke; Bilder nicht automatisch Gemälde. Aber auch wenn etwas Zeit vergangen ist, seit der Kunstkritiker Jules Janin 1893 euphorisch über die Daguerreotypie schrieb: „es handelt sich um die zarteste, feinste und vollkommenste Reproduktion, die göttliches und menschliches Vermögen nur erreichen können“, sucht weiterhin auch der geschulte Blick bei Fotografien zunächst nach technischer Raffinesse und erst dann nach dem Bild. Daran ändert auch die häufig genannte Tatsache nichts, daß die Grenze zwischen Fotografie und Malerei durchlässig geworden ist. Die Beschreibungen, die dem fotografischen Bild mitgegeben werden, um es als Kunstwerk werten zu können, leben nach wie vor von der etablierten Grenzziehung zwischen den beiden historisch aufgebauten Kontrahenten. Fotografien werden dann zu Bildern, wenn sie mit malerischen Effekten spielen, aus Formen Farbverläufe werden lassen oder bekannte Gegenstände durch Nahsichtigkeit, gezielte Detailreduktion – wahlweise auch durch Reihung – zu reinen Formkonstellationen wandeln. Wer positiv über eine scharf gestochenen fotografische Aufnahme – die genau zu dokumentieren scheint, was zu sehen war – reden will, beginnt vorsichtshalber mit einem „obwohl“ und rettet sich dann schnell hinüber zur sicheren Seite des „kompositorischen Gesamtaufbaus“ und der fein abgestimmten „malerischen Farbpalette“.

Diesen sprachlichen Fluchtversuchen in gut eingeübten Beschreibungskategorien der Malerei stehen vom 22. Mai bis zum 3. Juli in den Räumen des Alten Rathauses Göttingen sieben fotografisch gestaltete Bildwelten von acht Künstlern und Künstlerinnen gegenüber. Gemeinsam ist Frank Höhle, Carsten Humme, Stephanie Kiwitt, Jana Müller und Wiebke Elzel, Adrian Sauer, Sebastian Stumpf, Rebecca Wilton, daß sie aus Timm Rauterts Klasse für Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig stammen.

Gemeinsam ist ihren Bildfindungen in Motiv und Wahl der Mittel wenig oder nichts, außer man faßt – so paradox es auch zunächst klingen mag – gerade die Unterschiede der fotografischen Arbeiten als ihre eigentliche Gemeinsamkeit.

Die acht Künstler und Künstlerinnen zeigen Vielfältiges: präzise ausgeleuchtete Porträtaufnahmen, Landschaftsbilder, Architekturfotografien – detailgenau sowohl von Innen- wie auch von Außenräumen – bis hin zu den beliebten Reisefotografien, die dem flüchtigen Moment zur Dauer verhelfen sollen. Die Motivpalette hat ihre Wurzeln in einer langen fotografischen Tradition. In keinem der Leipziger Bilder werden allerdings die Erwartungen eingelöst, die mit dem fotografischen „Festhalten“ ungenannt und noch mehr geleugnet mitlaufen. Vielmehr werden sie als Bildstrategie offengelegt, die das fotografische Bild wesentlich mitgestalten. Ganz bewußt stellen sich diese Fotoarbeiten, wenn auch von einem immer wieder anderen Blickwinkel, zu ihrer eigenen Geschichte, und eröffnen so durch Fotografie einen ganz eigenen, höchst eigenwilligen Blick auf das Medium Fotografie, das häufig mehr in der Fremd- statt in der Eigenbeschreibung sein Prädikat Kunst erhält.

Das Konzept der Analyse von Fotografie durch Fotografie überzeugt in dieser Ausstellung vor allem durch seine zahlreichen überraschenden Bildfindungen. Jules Janin hätte das wahrscheinlich weit weniger überrascht als manchen modernen Betrachter, denn er ergänzt seine Huldigung an den Lichtabdruck mit den Worten: „Nehmen sie weiterhin zur Kenntnis, daß auch, wenn das Licht arbeitet, der Mensch der Meister bleibt.“

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