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Eröffnung: Mittwoch, 17. Juni 2009, 20 Uhr

Pressetext:

Die Kunsthalle Nürnberg zeigt in ihrer aktuellen Ausstellung Viele Tote im Heimatland: Fanta, Sprite, H-Milch, Micky und Donald! eine konzentrierte Auswahl von André Butzers (*1973 in Stuttgart) großformatigen Gemälden aus den Jahren 1999 bis 2008. Der heute in Rangsdorf bei Berlin lebende Künstler war Gründungsmitglied der Akademie Isotrop, eines selbstverwalteten Lehrinstituts, das zwischen 1996 und 2000 in Hamburg bestand. Gemeinsam mit Künstlerkollegen wie Jonathan Meese oder Markus Selg bildeten sich die rund zwanzig beteiligten Künstler – in Ablehnung bzw. in Ergänzung zu einer institutionalisierten Ausbildung – selbst aus. Künstlerische Praxis und theoretische Auseinandersetzung spiegelten sich in Ausstellungen, Vorträgen, Konzerten sowie in dem Magazin ISOTROP.

Über die Erfahrung mit diesem „Künstlerkollektiv“ entwickelt André Butzer in den 1990er Jahre eine eigene Bildsprache, die sich sowohl mit der ungegenständlichen Malerei von Albert Oehlen auseinandersetzt als auch eine zentrale Beschäftigung mit Künstlern wie Edvard Munch oder Asger Jorn widerspiegelt. In Butzers Gemälden treffen abstrakte, bisweilen ornamental anmutende Elemente auf gegenständliche, groteske Figurationen. Die sich abzeichnenden Gestalten werden meist nur durch ihre „Eckpunkte“ Kopf, Hände und Schuhe identifizierbar. André Butzer bezeichnet seine Malerei selbst häufig als „Science-Fiction Expressionismus“. Seine narrative Malerei zitiert triviale Elemente der Comicund Popkultur und gibt zugleich vielfältige Hinweise auf historisch bedeutsame Referenzen. Diese Anspielungen, die sich auch in den Werktiteln dokumentieren, verweisen auf die deutsche Vergangenheit, die USA oder auf internationale Großkonzerne wie Siemens, Bosch, IBM, Sony oder Coca Cola.

Die Bildsprache des Comics ist zentrales Element der Malerei Butzers, jedoch nicht im Sinne Roy Lichtensteins, der erstmals 1961 in dem Gemälde Look Mickey den industriellen Stil des gedruckten Comics in Malerei übertrug. In einer speziell entwickelten Maltechnik, die statt Farbflächen nur gleichmäßige Farbpunkte verwendete, zeigte Lichtenstein Amerikas bekannteste Comicfigur Mickey Mouse beim gemeinsamen Angeln mit Donald Duck. Im Widerspruch dazu arbeitet André Butzer nicht nach konkreten Bildvorlagen, sondern übertraÅNgt Comicelemente, wie überdimensionierte Köpfe und Augen, grinsende Münder oder freundlich winkende, weiß behandschuhte Hände, in expressive Malerei. Dabei gibt er seinen Figuren ein vollständig verändertes, fratzenhaftes Aussehen und lässt sie in einer fiktiven Bildwelt agieren.

Seit 1999 bevölkert André Butzer diese Bildwelt mit einer eigens entwickelten Genealogie von Typen. Zu diesem Figurenkosmos gehören beispielsweise die Schande-Menschen: Der Kopf des Schande-Menschen ist ein lächelnder Totenschädel mit seitlichen Ausstülpungen und dunklen Augenhöhlen. Rückführbar ist diese Physiognomie auf den Totenkopf als Erkennungszeichen der Waffen-SS. Diese trug das Totenkopf-Abzeichen auf dem rechten Kragenspiegel. Den Führer der SS „porträtiert“ Butzer auf seinem Gemälde Heinrich Himmler (2006) als groteskes Totenkopf-Wesen. Der Wanderer (in der Ausstellung zu sehen), eine weitere Figur aus Butzers Typengenealogie, erscheint als Abwandlung des Schande- Menschen mit schweren Stiefeln und gekrümmtem Wanderstab.

Die Gestalt des Friedens-Siemens tritt ab 2000 in Butzers Wesenswelt: Einem filmischen Close-up ähnlich, zeigt der Künstler lediglich den ballonartigen Kopf der Gestalt, der körperlos und daher scheinbar schwebend das gesamte Bildformat füllt. Die schwarz-weißen Comicaugen sind übergross, die Münder lächeln meist selig. Butzers Wortschöpfung Friedens-Siemens wirkt wie eine absurde Synthese, die zwar nicht konkret wird, sich jedoch mit Kriegsindustrie und Zwangsarbeit assoziieren lässt. Zugleich thematisieren die wiederkehrenden Verweise auf Industrielle auch ein für Butzers Malerei zentrales Motiv: die serielle Malweise bzw. die „Massenkultursimulation“. In einem Interview erläutert der Künstler 2008: „Ich wollte meine eigene, selbstproduzierte Massenkultur machen, ich wollte industrielle Fertigung simulieren. Aber mit den nicht dafür vorgesehenen Mitteln.“ In diesem Kontext stehen auch die Gemälde, die auf Henry Ford verweisen, der durch die Fließbandarbeit die industrielle Produktion revolutionierte. Butzer malt 2005 eine Serie mit fiktiven Familienportraits des Industriellen. Neben diesem erdachten „Figurenpersonal“ existieren in Butzers Bildwelt auch fiktive Ort wie Nasaheim, auf die US-amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde verweisend, oder Annaheim, eine Abwandlung von Anaheim, jenem Stadtteil von Los Angeles, in dem Walt Disney 1958 das erste Disneyland als „the happiest place on earth“ Wirklichkeit werden ließ.

Nach diesen früheren Werken mit narrativen Titeln, die spezifische Informationen vermitteln und mit Anspielungen auf Walt Disney, Henry Ford, die USA oder den Nationalsozialismus operieren, entstanden in den letzten Jahren titellose, nicht gegenständliche, monochrome Arbeiten. Jedoch, so betont André Butzer, hätten ohne die seriell angelegten Figurenbilder, keine abstrakten Gemälde entstehen können: „Die sogenannten abstrakten und die sogenannten figurativen Bilder sind für mich nur möglich geworden, weil sie voneinander wissen und sich gegenseitig legitimiert haben.“ Donald Duck taucht auch in den ungegenständlichen Bildern auf, jedoch nicht bildlich, sondern auf einer abstrahierten Ebene. André Butzer stellt sich einfach vor, wie wohl Donald Duck malen würde oder wie ein Bild aussehen würde, dass die Ente sich über die Wohnzimmercouch hängen würde. Die Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg wird von einem zweisprachigen (dtsch./engl.) Katalog begleitet, der eine erste kompakte Übersicht über die Werkentwicklung der letzten zehn Jahren gibt. Der Katalog enthält Texte von Max Henry, Gregor Jansen und Roberto Ohrt, er ist im Kerber Verlag erschienen.

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André Butzer
Viele Tote im Heimatland: Fanta, Sprite, H-Milch,
Micky und Donald! Gemälde 1999-2008