press release only in german

Monika Sprüth und Philomene Magers freuen sich, eine Ausstellung mit neuen Arbeiten von Andreas Gursky in Berlin zeigen zu dürfen. Mit der neuen Werkserie vollzieht der Künstler eine bedeutende Entwicklung in seiner Arbeitsweise und setzt sich mit dem Medium Fotografie auf neue Art und Weise auseinander.

Wie viele Arbeiten von Andreas Gursky verdankt sich auch die neue, sechsteilige Serie Ocean I-VI (2009-2010) einem spontanen Seherlebnis. Auf einem Nachtflug von Dubai nach Melbourne, so erzählt der Künstler, habe er längere Zeit auf den Flugmonitor gestarrt: das Horn von Afrika weit links, einen Zipfel Australiens weit rechts – und dazwischen die blaue Leere. Mit einem Mal habe er die grafische Darstellung als Bild wahrgenommen.

Der Weg vom Diagramm zu den großformatigen Fotoarbeiten gestaltete sich aufwendig. Gursky verwendete hochauflösendes Satelliten-Material und ergänzte es mit diversen Bildquellen aus dem Internet. Die Satelliten-Fotos beschränken sich jedoch auf die Wiedergabe scharf umrissener Landmassen. Daher mussten die Übergangszonen zwischen Land und Wasser wie die Weltmeere selbst vollständig künstlich generiert werden; und da sie den weitaus größten Anteil in den Arbeiten ausmachen, ist ein gigantisches Projekt entstanden, nur vergleichbar mit dem Aufwand, den Gursky bei der Serie F1 Boxenstopp (2007) walten ließ. Dass all diese Partien nichtsdestoweniger den Eindruck realer Meerestiefen vermitteln, ist Gurskys bildnerischer Präzision geschuldet. So orientierte er sich an Untiefekarten um die Meeresoberflächen farbig auszudifferenzieren.

Auf den zweiten Blick erkennt man, dass Gurskys Bildinteresse nicht etwa kartografisch motiviert ist. Die Distanzen zwischen den Kontinenten folgen nicht einem systematischen Programm, wie es zum Beispiel „Google Earth“ bietet, sondern sind nach kompositorischen Gesichtspunkten leicht verkürzt oder gedehnt. Vor allem aber rücken Gurskys Arbeiten ins Zentrum, was die Kartografie nur schematisch und am Rande behandelt, weil es ökonomisch kaum nutzbar ist: Das Meer. In nachtblaue Farben getaucht, die sich deutlich von den Farben kartografischer Meeresdarstellungen abheben, verleiht Gursky seinen Ozeanen eine Dimension des Erhabenen, die sich sonst nur in den Meeresdarstellungen der Malerei finden lässt.

Folgt man den alten Kosmogonien, so erhält die Welt ihr Antlitz erst durch die Verteilung der Elemente Erde und Wasser aus dem Ungeschiedenen und Formlosen; erst dann beginnen sich Meere und Landmassen wechselseitig zu charakterisieren. So gesehen erscheint es geradezu tröstlich, dass an den Rändern der Bilder von Gursky Land- und Eismassen auftauchen. Angesichts der klaffenden Abgründe, die sich inmitten der Bilder ausbreiten, geben sie dem Auge Halt und Orientierung. Umgekehrt aber beziehen die Ozeane ihre überwältigende Wucht erst im Kontrast zu den Landmassen, die aus ihnen mit aller Schärfe und Detailreichtum hervorleuchten.

Indem er das Formlose und Unfassbare der Ozeane in den Bildmittelpunkt rückt, von den Kontinenten aber nur Ränder und Bruchstücke sehen lässt, geht Gursky über die Darstellung des Kosmos als einer gefügten Ordnung hinaus – aus der Mitte heraus erwächst eine unbestimmte, namenlose Bedrohung. Damit spricht der Künstler ein sehr gegenwärtiges Lebensgefühl an: nämlich das Gefühl der Aussichtslosigkeit, angesichts der fortschreitenden Zerstörung der Natur durch den Menschen jemals wieder die alte Ordnung des Kosmos herstellen zu können. Gurskys Ocean I-VI erscheinen wie der Vorgriff auf einen Zustand der Welt, die in die Unbewohnbarkeit zurückgeworfen wurde. Insofern verhält sich das einzige Bild, das einen Kontinent ins Zentrum stellt – die Antarktis – komplementär zu den übrigen Motiven des Zyklus. Von jeher menschenfeindlich wie das Meer, erscheint dieser Kontinent unter der Prämisse globaler Erwärmung nunmehr wie ein endzeitliches Menetekel, bei aller Schönheit im Detail.

Indem diese Arbeiten in ihrem Blick auf das Weltganze Distanz gebieten und dabei die Peripherien statt der Zentren zur Geltung bringen, stellen sie sich quer zu den Interessen ökonomischer Nutzbarkeit und Verfügbarkeit. Aus dem Mitternachtsblau des Formlosen, das wir mit übermenschlicher Größe verbinden, gewinnen wir hingegen eine Vorstellung von der Unverfügbarkeit der Welt. Damit bewegen sich die neuen Arbeiten von Gursky an der Spitze des zeitgenössischen Diskurses.