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Eröffnung: Mittwoch, 11. Februar 2009, 19 Uhr

In ihrer ersten Einzelausstellung in Salzburg zeigt Anna Artaker Abbilder der Totenmasken aus dem Merkurov Museum in Gyumri/Armenien, die der armenisch-sowjetische Bildhauer Sergej Merkurov (1881–1952) den Helden der Sowjetunion abgenommen hat.

Der Ausstellungstitel beschreibt, was man sieht und verweist zugleich auf Kurt Krens Film „48 Köpfe aus dem Szondi Test“ (1960). An die Stelle der Anstaltsfotos der Psychotiker bei Kren treten jedoch Merkurovs Gipsmasken als Träger von Präsenz und Bedeutung. Als Objekte gefilmt (16mm, s/w) und fotografisch in jeweils zwei Ansichten (Porträt und Profil) erfasst, sind die chronologisch gereihten Masken zugleich Fragment sowjetischer Geschichtsschreibung wie unheimliche Physiognomie ihrer (toten) Helden.

Sergej Merkurov studierte u. a. bei Auguste Rodin in Paris und lernte Lenin im europäischen Exil kennen. Nach der Oktober-Revolution wurde er zu einem „offiziellen“ Bildhauer der Sowjetunion und schuf bis zu seinem Tod 1952 vor allem monumentale Skulpturen sowjetischer Heldenfiguren. Außerdem nahm er über 300 bedeutenden Persönlichkeiten der Sowjetunion die Totenmasken ab, darunter Lenin, Sergej Eisenstein, Lew Tolstoi und Maxim Gorki, aber auch Parteifunktionäre wie Felix Dserschinski, Leiter der gefürchteten Geheimpolizei Tscheka, oder Andrej Schdanow, verantwortlich für die repressive Kulturpolitik und Zensur unter Stalin. Das Museum im Geburtshaus des Bildhauers versammelt etwa 50 der von ihm angefertigten Totenmasken.

Ausgangsmaterial für Kurt Krens Film „48 Köpfe aus dem Szondi Test“ (1960) sind die Porträtfotos aus dem Persönlichkeitstest, den der Psychiater Leopold Szondi (1893–1986) 1937 entwickelt hat. Der Test operiert mit 48 Porträtfotos, aus welchen die Testteilnehmer sympathisch und unsympathisch erscheinende Personen auswählen. Aufgrund dieser Auswahl von Physiognomien, die allesamt im psychopathologischen Sinne „triebkranken“ Personen angehören, versuchte Szondi die psychische Konstitution (Triebstruktur) der Testteilnehmer abzuleiten.

Der Stakkato-Rhythmus, in dem Kren die Gesichter aus dem Szondi-Test vorführt, macht die vorgesehene Betrachtung der Porträts unmöglich. Indem er mit dem Bild/Abbild als Träger von Bedeutung spielt, stellt Krens Film die Zu- bzw. Einschreibung von Eigenschaften in die menschliche Physiognomie in Frage.

Durch die Überführung der auratischen Totenmasken („das letzte Antlitz“) in die (Massen-)Medien Film und Fotografie thematisiert Anna Artaker die Ikonografie der (Sowjet-)Propaganda, die auf der Stilisierung von Gesichtern zur Heldenmaske gründet. Gleichzeitig reflektiert sie die Verwertung des auratischen Bildes durch die Massenmedien, die auf der scheinbar aussagekräftigen Physiognomie der mediatisierten Persönlichkeit beruht. Die bloße Abbildung des Gesichts wird in diesem Kontext zur Ausblendung von Inhalt, da dieser den Zügen der abgebildeten Person nur vermeintlich eingeschrieben ist. Die Abdrücke der toten (mehr oder weniger bekannten) Gesichter verweisen so auch auf den Wunsch nach Bedeutungsevidenz genau dort, wo nur unlesbare Spuren bleiben, denen das Sichtbarmachen des Unsichtbaren auferlegt wurde.

Anna Artaker, geboren 1976, lebt und arbeitet in Wien. Sie hat in Wien und Paris Kunst und Philosophie studiert und beschäftigt sich u. a. mit Bildproduktionen im Dienst von Geschichtsschreibung bzw. mit dem Verhältnis der Fotografie zu ihrem Gegenstand, d.h. zu der Realität, auf die jedes Foto verweist (und die es – je nachdem – abbildet, inszeniert, idealisiert, kritisiert…).

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Anna Artaker
48 Köpfe aus dem Merkurov Museum