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Unter dem schillernden Titel »Acid Mothers Temple« präsentiert die Kunsthalle Tübingen eine umfassende Werkschau des international erfolgreichen Künstlers Anselm Reyle. Der 1970 in Tübingen geborene und in Berlin lebende Künstler verwandelt die Museumssäle am Philosophenweg in ein psychedelisches Metakunstwerk. In diesem können vom 17. Oktober 2009 bis zum 10. Januar 2010 wichtige Beispiele seines Schaffens erlebt werden.

Was Anselm Reyle in seinem Berliner Atelier anfertigt, hat längst Eingang in einflussreiche Sammlungen und herausragende Museen in aller Welt gefunden. Nun stattet der Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg Tübingen einen Besuch ab - der Stadt, in der er 1970 in das Milieu der Studentenbewegung hineingeboren wurde. Während er in der New Yorker Gagosian Gallery mit einer Ausstellung jüngster Produktionen auftritt, präsentiert die Kunsthalle Tübingen eine umfangreiche Werkschau. Der schillernde Ausstellungstitel »Acid Mothers Temple« lässt ahnen, dass den Besucher hier mehr erwartet als eine museale Aneinanderreihung von Arbeiten. Reyle hat die Säle am Philosophenweg durch Einbauten und Lichteffekte in ein psychedelisches Metakunstwerk verwandelt. Eine konzentrierte Auswahl seines Schaffens fügt sich darin zu einem sinnlichen Gesamterlebnis.

Reyle versteht die hohe Kunst ästhetischer Übersteigerung. Ist es das, was ihn so erfolgreich macht? Liegt darin die faszinierende Kraft seiner Kunst? Nur zum Teil. Sein Haupttalent besteht im Aufspüren des bildungsbürgerlichen Geschmackskonsenses - und im lustvollen Überschreiten seiner Schmerzgrenzen. Dies hatte schon sein Karlsruher Akademieprofessor bemerkt, als er ihm ironisch empfahl, ein dekoratives Wagenrad neben seine Bilder aufzuhängen. Warum nicht gleich einen ganzen Heuwagen, dachte sich der examinierte Künstler später. Pinkfarben lackiert, ist er nun Blickfänger der Tübinger Schau. Mit gleicher Begeisterung hat sich Reyle mit den rüden Schweißkunstwerken der Punkszene beschäftigt. Ihre verfeinerten Nachbauten hängen nun als stimmungsvoll hinterleuchtete Wandreliefs an den Museumswänden. Oder er hat afrikanische Specksteinsouvenirs kompositorisch verbessert und vergrößert. In Bronze gegossen und mit Autoeffektlack übersprüht, stehen sie nun in der Ausstellung. Ungeniert treibt er das Spiel fort, das in der Pop Art begonnen wurde: Kunst und Konsum, High and Low bewusst ineinander aufgehen zu lassen.

Selbst die abstrakte Malerei fehlt nicht bei Reyles Spiel mit den Klischees. Bei den Streifenbildern reihen sich vertikale Bänder aus Farbe, Folie, Spiegel oder Effektpasten aneinander. Bei seinen Folienbildern hat er sich von billiger Dekorationsware inspirieren lassen. Den Faltenwurf der Folie hat der Künstler sorgsam gelegt. Die bisweilen scheinbar spontan darüber ausgeschüttete Neonfarbe ist in Wirklichkeit in mehreren Schichten aufgepinselt worden. In der Nachkriegsmoderne war die Abstraktion als Träger tiefgründiger Bedeutung oft elitär geblieben. Bei Reyle entwickelt sie sich dagegen zu einem Rausch aus Farben, Formen und Materialien, die unserer Alltagskultur entstammen und somit klar verständliche Assoziationen erzeugen. Mit Wagenrad, Autoeffektlack, Schweißkunst und abstrakter Kunst beschäftigt ich Reyle mit den Ausdrucksformen sozialer Milieus. In einem Raum der Tübinger Schau bezieht er Werke eines weiteren bekannten schwäbischen Künstlers mit ein, der sich in anderer Weise mit Milieus auseinandersetzte: des 1948 verstorbenen Malers Georg Friedrich Zundel, dessen Familie die Stiftung der Kunsthalle Tübingen zu verdanken ist.