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Die Ausstellung "Anton Stankowski. Kinderspiele" wagt eine verblüffende Gegenüberstellung. Eine Gruppe von 40 vergleichsweise großformatigen schwarz-weiß-Fotografien Anton Stankowskis und 33 Originalcollagen treffen aufeinander. Formalästhetisch entfaltet sich so eine denkbar große Spannung. Einerseits bewegte und bewegende Schnappschüsse von spielenden Kindern, andererseits eine Serie von Blättern, die konsequent ausschließlich mit dem Quadrat als geometrischer Grundform, mit Farben und Kompositionen spielt. Was die beiden Werkgruppen verbindet, ist ihr Erschaffer Anton Stankowski - und sein nachdrückliches Interesse für das Thema Kind und Spiel.

Anton Stankowski, 1906 in Gelsenkirchen geboren, 1998 in Esslingen gestorben, hat als Grafiker, Maler, Zeichner, Fotograf und Theoretiker ein umfangreiches und vielgestaltiges Werk hinterlassen. Dabei durchdrangen sich lebenslang sein freies und sein angewandtes Schaffen. Als Grafiker hat Anton Stankowski Bemerkenswertes zur visuellen Umwelt Nachkriegsdeutschlands beigetragen. Als Grafik-Designer u.a. für IBM oder SEL hatte seine so genannte "funktionelle Grafik" beispielhaften Charakter. In den 1960er Jahren entstanden das legendäre "Berlin-Layout", das visuelle Erscheinungsbild der Stadt oder auch die Wortmarken Signal Iduna oder Viessmann. Auch das Signet der Deutschen Bank stammt von Anton Stankowski, der zudem theoriebildend als Lehrender an der Ulmer Hochschule für Gestaltung und als Autor von Texten und Büchern zur Grafik und Typografie wirkte. Als Maler und Zeichner - als wichtiger Vertreter der Konstruktiven Kunst - wurden ihm Einzelausstellungen und Publikationen u.a. in der Staatsgalerie Stuttgart, im Haus Konstruktiv Zürich oder im Josef-Albers-Museum Bottrop gewidmet.

Was die Fotografie betrifft, so hat Anton Stankowski mit rund 40.000 Negativen einen bislang nur in kleinen Teilen eröffneten Schatz hinterlassen. Er birgt zahllose sachfotografisches Aufnahmen - ein Inventar der Dinge, viele davon entstanden zur Verwendung für Reklamezwecke - Dokumentarbilder, Reportagefotografie, Momentaufnahmen, experimentelle Fotografie. Die Motivgruppe der "spielenden Kinder" umfasst Fotografien, die über 70 Jahre hinweg Anton Stankowskis fotokünstlerische Beobachtung der Kinderwelt dokumentieren. Er hält teils tradierte, teils vergessene Formen des kindlichen Spiels fest: Reiterspiele, Murmeln, Fußball, Blinde Kuh, Wintervergnügen, Balance- und Geschicklichkeitsübungen. Die Aufnahmen sind Erinnerungen an Gelsenkirchen, an das Revier, es sind ungeschminkte Reportagefotos, Straßenfotos, Bilder der Kriegs- und Nachkriegszeit, Bilder einer jeweils unmittelbaren Lebensumwelt in Zürich und Stuttgart. In den Aufnahmen hat sich ein subjektiv erfasstes Stück Sozialgeschichte in eindrucksvoller Weise verdichtet.

(Spiel)kulturtheoretisch sind die Aufnahmen hochinteressant, nicht zuletzt aber kunsthistorisch. Anton Stankowski begann Mitte der 1920er Jahre zu fotografieren. In dieser Zeit war er Schüler von Max Burchartz an der Essener Folkwangschule. Damit stieg er unmittelbar in jenen Jahren in die Fotografie ein, in denen diese sich von der Malerei und deren tonangebender Ästhetik emanzipierte. Inmitten einer lebendigen Debatte gehörte Anton Stankowski zu den Pionieren der so genannten "Neuen Fotografie". Diese zeichnete sich durch Abbildschärfe, Ausschnitthaftigkeit, Nahaufnahme, Gegenlicht, "Vogelperspektive", extreme Auf- und Untersichten (inspiriert von Alexander Rodtschenko, Lazlo Moholy-Nagy) aus. Man experimentierte mit Nachbearbeitungen im Labor (z.B. Solarisation, Fotogramm), mit der Collage und Montage, für die u.a. John Heartfields Arbeiten eine Anregung waren. Impulse setzte Anton Stankowski mit seiner sehr frühen, kühnen Verbindung von Fotografie und Typografie.

Die Ausstellung Anton Stankowski. Kinderspiele erzählt von der unstillbaren visuellen Neugier Anton Stankowskis, von seinem fotokünstlerischen Blick, der hierarchiefrei und unbefangen auf die Dinge und die Menschen seiner Umwelt blickt. Eine Auswahl von berühmten Fotografien anderer Motivgruppen wird in der Delmenhorster Ausstellung die Gruppe der "spielenden Kinder" ergänzen und somit die Dimension eines visuellen Universums erfahrbar machen.

Dieser programmatischen Breite und Offenheit steht "Gucken" gegenüber: eine Serie von Originalcollagen, die durch ihre Verbindung von Konsequenz, Konzept und Spiel verzaubert - mit ihrem Anspruch einer Schule des Sehens für jung und alt.

Die Originalcollagen "Gucken" aus dem Jahr 1968 sind der Entwurf des gleichnamigen legendären Kinderbuchs von Anton Stankowski. Sie geben Einblick in eine der Fotografie diametral entgegen gesetzte visuelle Welt Anton Stankowskis - und bleiben dennoch beim Thema. Der Protagonist des Buches ist das Quadrat: groß, klein, stark, mächtig, oben, unten, links, rechts, fliegend, tanzend, fallend, vorn, hinten, in der Reihe, gerade, schief, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, hell, dunkel ... Was entsteht, ist eine spannende, textbegleitete Schule des Sehens, die Kindern und Erwachsenen gleichermaßen Grundphänomene der Wahrnehmung und Gestaltung entdecken lässt. Die Texte stammen von Eugen Gomringer, einem der bedeutendsten Vertreter konkreter Poesie.

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