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Eröffnung : Freitag, 9. November 2007, 19 Uhr

Ausgehend von der umfassenden Werkgruppe Nobuyoshi Arakis in der Sammlung des Kunstmuseum Wolfsburg zeigt das Kunstmuseum eine komplementäre Ausstellung fotografischer Arbeiten zu der in der Halle stattfindenden programmatischen Ausstellung "Japan und der Westen: Die erfüllte Leere".

Japanbesucher sind immer wieder überrascht über die beiden Extreme, die das zivilisatorische Erscheinungsbild dieser Insel am Ostrand Asiens prägen. In dem wuchernden Konglomerat der Städte verliert man sich auf der einen Seite in einem bunten Dickicht der Konsumkultur, auf der anderen Seite begegnet man der stillen Ästhetik des Zen, die nicht nur die traditionelle Kunst und das traditionelle Kunsthandwerk prägte, sondern auch die formale Grundtendenz im Gegenwartsdesign und in der international geachteten japanischen Architektur darstellt. Verzicht und Abundanz, Leere und (Über-)Fülle gehören zum Erscheinungsbild Japans. Nach der Konzentration auf die '"erfüllte Leere" im Projekt "Japan und der Westen", soll der Blick auf drei Beispiele der japanischen Gegenwartsfotografie gelenkt werden, die diese Polarität zur Entfaltung bringen. Auf opulenten Fotografien Arakis, die sich der Fülle des urbanen Lebens und des Erotischen hingeben, antworten die zurückhaltenden Bilder von Sugimoto mit ihrer stillen Eleganz und eindringlichen Schlichtheit.

Neben Nobuyoshi Arakis Arbeiten aus der Sammlung und weiteren aktuellen Beispielen seiner Tätigkeit wird eine Werkgruppe Ryuji Miyamotos mit Werkbeispielen Hiroshi Sugimotos präsentiert. Beide Fotografen wurden während ihres Kunststudiums nachhaltig von den amerikanischen Kunstströmungen der Minimal Art und der Konzeptkunst beeinflusst. Hiroshi Sugimoto und Ryuji Miyamoto arbeiten nach dem Konzept der Serie, indem sie einzelne Bildideen über längere Zeit konsequent verfolgen. Arakis Werk ist stark von der Alltagsästhetik des heutigen Japan geprägt, dem Lebensgefühl der japanischen Großstadt mit all ihren Licht- und Schattenseiten. Die Ausstellung zeigt 130 Fotografien der drei Künstler aus einem Zeitraum von 1972 bis 2004.

Hiroshi Sugimoto wurde 1948 in Tokio geboren, siedelte zum Studium am Art Center College of Design in Los Angeles in die USA über und lebt heute in New York. Sugimotos strenge Fotoserien verführen zur Benutzung von Superlativen: Perfekter, reduzierter und klarer können Fotografien nicht sein. Das Kunstmuseum zeigt eine Reihe von "Seascapes", "Theaters" und einen Teil der Werkgruppe "Hall of Thirty Three Bays". Für die von 1990 bis 2001 an verschiedenen Orten der Welt aufgenommenen "Seascapes" (Meeresansichten) hat Sugimoto die Kamera jeweils so positioniert, dass der Horizont die Bildfläche in zwei gleich große Flächen teilt und die weitere Umgebung ausgeblendet ist. Ruhe und Zeitlosigkeit standen hier für Sugimoto im Zentrum seines Interesses und er sagt zu dieser Serie: "Das Werk lässt einen innehalten und etwas genau betrachten. Es friert die Welt ein und hält sie fest, unbeweglich, so dass man sie erforschen und studieren kann. Wenn man die Welt studieren will, muss man die Welt anhalten." Der Faktor Zeit ist auch für die Serie der "Theaters" grundlegend. Hierfür hat der Künstler zahlreiche amerikanische Autokinos und Lichtspielhäuser der Zwanziger und frühen Dreißiger Jahre fotografiert. Dabei ließ er während der gesamten Filmvorführung die Kamerablende geöffnet, so dass durch die extreme Langzeitbelichtung die Kinoleinwand als weißes Rechteck hervortrat. In Sugimotos Werk der "Hall of Thirty Three Bays", das 1995 entstand und aus insgesamt 48 Fotografien besteht, von welchen zehn in Wolfsburg ausgestellt werden, überlappen sich die Einzelbilder motivisch. Sugimoto war es nach langen Verhandlungen gelungen, die Mönche des berühmten Klosters Sanjusangendo in Kyoto zu überzeugen, die eintausend nebeneinander ausgestellten Kannon-Buddha-Skulpturen abzulichten. Die Fotoserie erzeugt ein Schwindel erregendes Unendlichkeitsgefühl, da die Statuen in sich die Idee der nicht identischen Reproduktion eines Objektes tragen und Sugimoto die Serialität durch seine Arbeitsweise perpetuiert.

Der 1947 in Tokio geborene Fotograf Ryuji Miyamoto richtet seine Kamera auf die verdrängte Seite der Vergänglichkeit von Architektur. Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zählt eine 34 Bilder umfassende Serie von Fotografien zu seiner Sammlung, die 1995 in der durch ein starkes Erdbeben zerstörten Stadt Kobe aufgenommen wurden. Die Zerstörungen der Häuser, die Materialität der zerborstenen Fassaden, Etagen und Wände erhalten durch Miyamotos Aufnahmen eine schier skulpturale Qualität. Mit seiner Kamera bleibt Miyamoto meist auf Augenhöhe des Betrachters, mal mit mehr, mal mit weniger Abstand zum Gegenstand. Seine Bildausschnitte sind perfekt komponiert. Es sind die Komplexität der Bildschichten, von Ruinenbergen, Kabelsträngen und Brandspuren und auch die gleichzeitig nahezu vollkommene Abwesenheit von Menschen auf diesen Aufnahmen, die sie so beklemmend und zeitlos machen. Wir wissen, dass an den von ihm gezeigten Orten bis vor dem Moment des Zusammenbruchs Menschen gelebt, geliebt und gelacht haben. Wir ahnen auch, dass dort, wo jetzt der Ort der Verwüstung, des Todes zu erkennen ist, auch schon bald wieder neue Häuser stehen und Menschen leben werden. Aber der gefrorene Moment, in dem es aussieht, als ob hier kein Mensch je mehr leben könnte, dieses paradoxe Atemholen der Überlebenden vor dem Neubeginn, lässt den Betrachter innehalten.

Nobuyoshi Araki wurde im Kunstmuseum Wolfsburg im Jahr 1995 mit einer großen Einzelausstellung bedacht. Ein Teil der Fotoserie "Tokyo Novelle" gelangte im folgenden Jahr in die Sammlung des Hauses. Die Motive entstammen fast ausschließlich Arakis Lebenswelt Tokio: Ecken, Straßen, die Stadt als Landschaft, Getränkeautomaten, der Himmel über Tokio, Porträts seiner Bewohner, die Eidechsen, die Arakis Katze Chiro angeschleppt hat, die Terrasse seiner Wohnung, Stillleben verwelkter Blumen, Friedhöfe, vor allem aber immer wieder meist weibliche Akte, nicht selten kunstvoll gefesselt. Der Titel der Serie "Tokyo Novelle" ist Programm: Araki, der in seiner Jugend Essays und Kurzgeschichten schrieb und der sein Werk gelegentlich mit kurzen Texten untermalt, betreibt seine täglichen Fotoexkursionen in Tokio gleichsam als Ich-Erzähler. In der Ausstellung des Kunstmuseum Wolfsburg werden außer dieser berühmten Werkgruppe selten gezeigte Beispiele aus der Serie "The Past" präsentiert, die in den Jahren 1972 bis 1973 entstanden sind. Der Stadtraum und seine Menschen sind hier bereits das Thema des Künstlers und er versucht, durch das manuelle Transportieren des Filmes gleich zwei Motive aus der Fülle seiner visuellen Eindrücke festzuhalten. Von geradezu obszöner Üppigkeit ist eine der jüngsten Fotoserien des Künstlers: Die Painting Flowers. Araki hat unterschiedliche Blüten und Blumensträuße mit Farbe bestrichen oder bespritzt. Bisweilen ist dem Betrachter nicht klar, ob es sich um die natürliche Farbe einer exotischen Blüte handelt oder ob es die Farbmanipulation des Künstlers ist. Die in der abend- und morgenländischen Kultur weit verbreitete Blütenmetaphorik erhält bei ihm eine abgründige, dekadente Seite.

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Japanische Fotografie der Gegenwart
Nobuyoshi Araki, Ryuji Miyamoto, Hiroshi Sugimoto