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Joep van Lieshout (1963) gründete 1995 das Künstlerkollektiv AVL, um „die Rolle des Künstlers als Genie und isoliertes Individuum“ zu hinterfragen. Im Jahre 2001 rief er „AVL-Ville“ ins Leben, einen unabhängigen Stadtstaat im Hafen von Rotterdam. AVL-Ville verstand sich als provokativer Gegenentwurf zu staatlicher Herrschaft und Monopol, aber auch als Ausreizung des demokratisch verbürgten Grundrechts der Freiheit der Kunst. Denn weder Behörden noch Politiker duldeten den AVL-Stadtstaat mit eigener Verfassung, Währung und Flagge. Bekannt wurde Joep van Lieshout in den neunziger Jahren mit der Herstellung mobiler Häuser oder „Hüllen“, deren Konzeption die Freiheit der Bewegung, die Flexibilität der Gestaltung und die Unterwanderung behördlicher Genehmigungen zugrunde lag. Bei „Autocrat“ (1997) handelte es sich um eine mobile Unterkunft mit eigenem Schlachtraum, um über die Selbstversorgung nicht nur dem Ideal der Autonomie näher zu kommen, sondern „die Idee des Gesamtkunstwerks ins Extreme“ zu treiben. Im Auftrag des Walker Art Center in Minneapolis entwarf AVL ein mobiles Artlab, mit dem Kunst in Schulen und benachbarte Orte befördert werden konnte. Parallel dazu entwickelte AVL gebrauchsfertige Möbel wie die Serie „Bad Furniture“ (2004), funktionstüchtige Toilettenanlagen, Schlafkojen, Wohnkapseln und Büroeinheiten. Die künstlerische Auseinandersetzung mit soziokulturellen und gesellschaftspolitischen Belangen fand u.a. in der auf Mobilität fokussierten Konstruktion von Fitnessmaschinen (São Paulo Biennale, 2002), sado-masochistischen Vorrichtungen (Galerie Bob van Orsouw, 2002), Stuhlautomaten, mit denen man mittels Joystick durch Museumsausstellungen transportiert wird (Bonnefanten Museum, 2002), einer Biogasanlage (Biennale Venedig, 2003) und einer Bar in Form eines Verdauungsorgans (Art Basel, 2005) ihren Ausdruck. Die über zehnjährige Zusammenarbeit der Galerie mit Joep van Lieshout findet in der neuen Ausstellung Male Slave University einen weiteren Niederschlag. Male Slave University befindet sich in Slave City, eine Stadt, die von AVL als „a sinister utopian project“ für 200.000 Menschen charakterisiert wird. Slave City ist die Pervertierung einer hochentwickelten Leistungsgesellschaft, deren technoider Charakter zu Entmenschlichung und Automatismus führt. Slave City versteht sich als „first ‚zero energy’ town of its size in the world“, d.h. als autonome Einheit, die über eine Sonnen- und Windenergieanlage, einen Produktionsbetrieb für Biotreibstoff, eine Kompostierungsanlage, nach Geschlechter getrennte Universitäten, Call Center Units und Bordelle für Männer und Frauen verfügt. In Slave City wird alles einem Recyclingprozess unterzogen, selbst die Organe der Einwohner werden zwecks Wiederverwertung transplantiert. Deshalb ist Slave City „a green town that does not squander the world’s limited resources“. Die für eine 60 km2 grosse Fläche projektierte Slave City wird in der Ausstellung modellhaft in Form freistehender Skulpturen präsentiert. Obwohl Slave City im Hinblick auf ökologische Aspekte eine Vorzeigestadt zu sein scheint, erweist sie sich bei näherem Hinsehen als totalitär-repressives System. Die Einwohner werden mit dem Ziel der Profitmaximierung sklavisch ausgebeutet, und ein strenges Überwachungssystem sorgt dafür, dass jede Abweichung vom Leistungssoll drakonisch bestraft wird. In der Kritik van Lieshouts an einer völlig verdinglichten Gesellschaft schwingt viel Ironie mit: „Reine Witze interessieren mich allerdings nicht. Dafür aber knallharte Aussagen oder Botschaften in präzisen Formen, gepaart mit Humor“.

Birgid Uccia

Vernissage: Freitag, 13. April von 18.00 bis 20.00 Uhr. Der Künstler wird anwesend sein.