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Cy Twombly ist die erste monographische Präsentation in den Räumlichkeiten von Daros Exhibitions gewidmet. Anhand von 30 Gemälden, Plastiken und Zeichnungen – die eigenen Bestände werden durch sechs Leihgaben aus dem Kunsthaus Zürich und aus einer Schweizer Privatsammlung ergänzt – gelingt ein repräsentativer Überblick über das Schaffen des amerikanischen Künstlers, dessen schöpferische Einzigartigkeit sich formal in klassischen Werkkategorien bewegt. Twombly wurde 1928 in Lexington, Virginia, geboren und hat unter anderem am Black Mountain College (North Carolina) studiert. Ein Stipendium führte ihn 1952 nach Europa, wo er zusammen mit Robert Rauschenberg nach einem längeren Rom-Aufenthalt ausgedehnte Studienreisen in Italien und Nordafrika unternahm.

Den Auftakt zur Ausstellung bildet eine Gruppe von zwei- und dreidimensionalen Arbeiten aus den vierziger und fünfziger Jahren, die Twomblys Auseinandersetzung mit dem Abstrakten Expressionismus bekundet, auf sein Interesse an Mythen hinweist und die Ausbildung des zeichnerischen Stils dokumentiert. Das grossformatige Panorama von 1955 wird seinem Titel insofern gerecht, als es gleichsam programmatisch vorwegnimmt, womit sich der Künstler in Zukunft beschäftigen wird: die Umkehrung der Hell-dunkel-Beziehung, das Verhältnis zu Bewegung und Raum sowie “the physical act of handwriting” (Robert Pincus-Witten).

1957 kehrt Twombly nach vierjähriger Abwesenheit ins mediterrane Rom zurück, das seine Wahlheimat wird. In Arcadia, 1958, wird die Leinwand zur poetischen Tagebuchseite: Er skizziert Gesehenes, notiert Erlebtes und findet auch für Ungeschriebenes eine Form. 1959 bringt eine Wende. Die “symbolisch weisse Unschuld eines Mallarmé” (Twombly) zeichnet seine karge, stille Malerei, Untitled, Lexington, nun aus. Dieses Weiss verändert seine malerische Qualität nochmals deutlich, als der Künstler dazu übergeht, mit Ölfarbe zu arbeiten: Untitled, Roma. Denn sie besitzt ganz andere Eigenschaften als die von ihm bis dato bevorzugte Wandfarbe. Zudem finden sich auf diesem Bild bereits Zahlen und Zeichen, die Twomblys spezifisches Vokabular bilden werden.

Spätestens in den farbintensiven Bildern von 1961 werden die sinnliche Spontaneität und die physische Unmittelbarkeit seiner Kunst anschaulich: “Die Eros-Zeichen wuchern und gewinnen mythische Fülle” (Franz Meyer). Auf die hochsommerliche Schwüle und das vitale Begehren der Ferragosto-Serie folgt die Betrachtung einer in ihrem Kern tragischen Liebesgeschichte: Hero and Leander, 1962. Erlebbar wird hier Twomblys Beschreibung des künstlerischen Prozesses als eine «drängende Aktion des Entstehens, der mittelbare oder unmittelbare Druck, der im akuten Gestaltungsakt zum Klimax führt».

Mitte der sechziger Jahre gibt er die explosive Malerei zugunsten einer konzeptuellen Bildsprache und einer reduzierten Farbigkeit auf. Er knüpft dabei an die weisse Malerei auf dunklem Grund von 1955 sowie an ein Erforschen von Bewegung und Raum respektive von Raum und Zeit an. Mit Untitled, 1971, entsteht ein grosses «Wandtafel-Schreib-Bild» (Franz Meyer), das sich in erster Linie durch einen hohen Reduktionsgehalt auszeichnet. Die Horizontallinien in der unteren Bildhälfte werden durch gezielte, kurze Vertikalen metrisch unterbrochen: Die Zeit verlangsamt sich, das grosse Bildfeld wird zum Landschaftsraum und die Zeit zum Fluss.

Die Landschaft und das Fliessen erfahren rund ein Jahrzehnt später im vierteiligen Hero and Leandro, 1981–1984, eine naturalistische und gleichzeitig mythologische Formulierung. Die narrative Bildfolge handelt von einer verhängnisvollen Liebe und ihrem tragischen Ende. Formal zeichnet sie sich durch eine Rückkehr zur malerischen Intensität der frühen sechziger Jahre und durch ein Steigern der stofflichen Dichte aus.

In den achtziger Jahren gewinnen starkfarbige Zeichnungen auf Papier und Skulpturen an Bedeutung. Neben der Sehnsucht nach mediterranen Mythen wird zunehmend auch diejenige nach dem Osten spürbar. Während sie in der Zeichnung Suma von 1982 in buddhistischen Zitaten zur Geltung kommt, kann die stark stilisierte plastische Form von Rotalla, 1990, als sitzender Buddha interpretiert werden.In der gleichen Zeit tauchen vermehrt auch Blumen in Twomblys Motivwelt auf, die Ausdruck von Freude, Jugend und Vergänglichkeit sind. Er wählt pflanzliche Formen für die monumentale Plastik Untitled, 1983, und für Carnations, eine siebenteilige Zeichnungsserie von 1989. Der Ausdruck gewinnt durch die Technik – Aquarell und farbige Kreide auf festem Bütten – an Unmittelbarkeit, während die Konzeption als Suite das Moment von Bewegung und Veränderung suggeriert.

Nach einem chronologischen Auftakt im ersten Ausstellungsraum werden im grossen zweiten Saal die Werkgruppen aus den sechziger und achtziger Jahren zusammengeführt. Der intimere dritte Raum ist reduzierten, minimalen Arbeiten vorbehalten. Diejenigen, die in die Welt von Cy Twombly eintauchen, werden die Erfahrung machen, dass seine Werke das unmittelbare Dasein betreffen. Der Künstler verliert sich dabei aber nicht in Subjektivem oder in Gemeinplätzen, weil er nicht nur Erlebtes und Gesehenes notiert, sondern auch Noch-nicht-Zugängliches skizziert. Seine formale wie inhaltliche Empfindsamkeit und seine Sprache der Poesie schaffen die Voraussetzung dafür. Seine Kunst ist vernehmbar, doch lässt sie sich weder fassen noch dechiffrieren. Sie evoziert indes eine eigentümliche Stille, eine spezifische Latenz, die eine adäquate Rezeption – eine Rezeption, die in erster Linie unsere Sinne fordert, sie aktiviert und sensibilisiert – erst möglich macht.

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Cy Twombly