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Der I. Teil von "Aurora. Zwischen Nacht und Tag" fand im Frühjahr 2007 in Wroclaw/Polen statt, unter Beteiligung von Phillip Kleinmichel, Tomasz Kozak, Doris Lasch & Ursula Ponn, Olga Lewicka, Florian Ludwig, Anna Mitus, Stefanie Peter, Julia Pfeiffer, Roseline Rannoch, Markus Selg und Carsten Zorn. Der Ausgangspunkt für das Projekt ist die Allegorie der Morgenröte, des kurzen Zeitraumes zwischen Nacht und Tag, der für Momente steht, in denen Aufbrüche zu ganz Anderem und Neuartigem möglich werden, die Hoffnung auf Veränderung machen und Chancen zur Verwirklichung von Utopien bergen. Die antike Versinnbildlichung der Morgenröte – die Mythe der Göttin Aurora – bietet eine zwar noch vorbegriffliche, aber bereits komplexe ästhetische und allegorische Reflexion solcher Momente sowie ihrer Voraussetzungen, Umstände und Probleme. Unser Projekt “Aurora. Zwischen Nacht und Tag” greift diesen Bedeutungsreichtum Auroras auf, um die Frage nach möglichen Utopien, Veränderungen, Aufbrüchen sowie nach der Rolle von Kunst und Ästhetik darin unter den aktuellen historisch-gesellschaftlichen Bedingungen neu zu stellen.

Die erste Ausstellung zum Projekt "Aurora. Zwischen Nacht und Tag" in Wroclaw war für uns, mit ihrem Ort (dem subterranen Bereich eines polnischen Kunstvereins mit deutscher Geschichte - das BWA Wroclaw), ein auch bildhaft idealer Ort für den Beginn eines solchen Projektes. Das Bild des Tores (in Wroclaw die Fassade des Kunstvereins BWA Awangarda, die vom selben Architekten entworfen wurde wie das Brandenburger Tor in Berlin; nun die Torstraße, siehe den nächsten Abschnitt) und seiner Durchschreitung begleitet uns von Anfang an bei dem Projekt "Aurora. Zwischen Nacht und Tag" in metaphorischer wie buchstäblicher, etwa architektonischer Hinsicht. Der II. Teil der Ausstellung findet nun mit 16 Künstlern in den zwei obersten Etagen eines der ältesten Häuser in Berlin-Mitte statt, in der Torstraße 111. Nach einem Beginn im Dunklen arbeiten wir uns nun hervor ans Licht, und finden uns an einem sehr speziellen Ort in Berlin wieder:

Das Haus selber ist seit Jahrzehnten nicht renoviert worden und erinnert somit auf eine inspirierende Weise an die Zeit, in der in Berlin in den 90-er Jahren ein Aufbruch der Kunst möglich schien. Die Frage, um die wir die Berliner Edition von Aurora nun erweitern, und die sich aus dem Ausstellungsort und Standort Berlin wie von selbst ergibt, betrifft die Kunst als gesellschaftliche Utopie sowie die Frage, was heute noch an Realisierungen von Utopien möglich ist; heute, also nach den Erfahrungen des letzten Jahrhunderts, das wie kein anderes gleichermaßen reich war an Utopieentwürfen wie an deren Niederlagen.

Insbesondere vor der gegenwärtigen kommerziellen Vereinnahmung der Kunst, die zuweilen den Eindruck erweckt, Künstler wäre nur ein Beruf unter anderen und Kunst lediglich ein Produkt unter vielen, möchten wir mit Euch der Frage nach möglichen erneuten Aufbrüchen und Realisierungen utopischer Entwürfe nachgehen, und zwar in ästhetischer wie theoretischer Hinsicht.

Prolog: Nachtwache für Aurora (eine Nachtwache bis zur Morgenröte im 37. Stock des Hotels “Park Inn” am Alexanderplatz, Berlin-Mitte)

Im Vorfeld der Ausstellung haben wir in Berlin an einem speziellen Ort einen performativen, eine Nacht (bis zur Morgenröte) andauernden Prolog veranstaltet. Er fand im 37. Stock des Hotels "park inn" am Alexanderplatz statt, ein symbolisch aufgeladenes Gebäude, das eine große Differenz und Distanz zu dem ruinenartigen Gebäude in der Torstraße darstellt, und als Rahmung den Charakter des dortigen Ausstellungsrahmens verschiebt, und gemeinsam mit jener Vergegenwärtigung von vergangenen (zum Teil zerbrochenen) Utopien also, zu der das Haus in der Torstraße zunächst anregt, eine spannungs- und anregungsreiche Atmosphäre schafft.

Den Prolog, unsere "Nachtwache" für Aurora gestalteten wir mit Musik-, Film-, Performance- und Textbeiträgen der am Projekt beteilgten Künstler und Autoren. Ein (deutsch-englisches) Künstler- und Autorenbuch zur Ausstellung ist in Planung.

Aurora. Zwischen Nacht und Tag

Aurora, die Göttin der Morgenröte, von den Griechen unter dem Namen Eos verehrt, begleitet ihren Bruder Helios in den Tag. Während er den Sonnenwagen lenkt, geht Aurora ihm voraus. Die ersten Lichtstrahlen bereiten den Weg hinaus aus der Dunkelheit. Mit dem besonderen Licht, der erfrischenden Luft und dem Tau der Morgenröte werden seit jeher aufkeimende Hoffnung und sehnsüchtige Erwartung, auf neue Sichtbarkeit und Klarheit, verbunden und gefeiert. Ein kairos, ein kurzer Zeitraum, in dem alles möglich scheint, ein verführerischer Moment des Versprechens, der Verheißung – von jener Sinnlichkeit, die Aurora verkörpert: Ihr aus Rache, für eine Liebschaft, von der eifersüchtigen Aphrodite eingeflößt, ließ eine unstillbare Begierde nach jungen sterblichen Männern Aurora jeden Morgen nach diesen Ausschau halten, auf ihrem Weg über den Horizont. Die Röte des Morgens ist die der Scham Auroras darüber. Von Homer die Rosenfingrige genannt, steht die Göttin der Morgenröte so auch für die Beschwernisse aller Prozesse des Übergangs, nicht zuletzt der Aufklärung – der immer neu zu durchmessenden Strecke zwischen Tag und Nacht, Traum und Wachheit, Ungewissheit und Klarheit. “[Verworrenheit] ist die unerläßliche Voraussetzung für die Entdeckung der Wahrheit, da die Natur keinen Sprung macht aus der Dunkelheit in die Klarheit des Denkens. Aus der Nacht führt der Weg nur über die Morgenröte zum Mittag.” (Alexander Gottlieb Baumgarten)

Das mit ihr verbundene Versprechen von Neubeginn, vom Aufbruch zu neuen Ufern, hat „Aurora“ zu einem beliebten Namen für politische Programme gemacht; aber auch für Konsumprodukte und – wissenschaftliche wie militärische – Großprojekte moderner Forschung. Ingenieure, Militärs und Bürokraten benannten Raumkapseln, Raketen und Versuchsflugzeuge nach der römischen Göttin. Das Programm der europäischen Raumfahrtagentur zur Erkundung unseres Sonnensystems steht unter ihrem Schutz. „Aurora“ hieß jener Panzerkreuzer, aus dem – tatsächlich oder einer gut gepflegten Legende nach – der erste Schuss zum Auftakt der Oktoberrevolution abgefeuert wurde. Die jüngst bekannter gewordenen, nach der Morgenröte benannten Raketen heißen Fadschr – und wurden im Iran entwickelt. Einige von ihnen sind an die Hisbollah-Milizen weitergegeben worden. Die Fadschr-3 hat 45 Kilometer Reichweite, die Fadschr-5 kann Ziele im Abstand bis zu 75 Kilometer treffen.

Immer wieder haben sich aber vor allem auf Veränderungen hoffende, dem Neuen verschriebene Kulturprojekte den Namen „Aurora“ gegeben – wie die um 1820 von Heinrich Laube in Breslau herausgegebene Zeitschrift für Theaterkritik. Das wohl bekannteste unter diesen Projekten erhielt diesen Namen von seinem Autor Friedrich Nietzsche. In der Vorrede zu seiner „Morgenröte“ sieht man ihn noch als einen „’Unterirdischen’ an der Arbeit“ – „einen Bohrenden, Grabenden, Untergrabenden. Man sieht ihn, vorausgesetzt, dass man Augen für solche Arbeit an der Tiefe hat –, wie er langsam, besonnen, mit sanfter Unerbittlichkeit vorwärts kommt, ohne dass die Not sich allzu sehr verriete, welche jede lange Entbehrung von Licht und Luft mit sich bringt; man könnte ihn selbst bei seiner dunklen Arbeit zufrieden nennen. Scheint es nicht, dass irgendein Glaube ihn führt, ein Trost entschädigt? Dass er vielleicht seine eigene lange Finsternis haben will, sein Unverständliches, Verborgenes, Rätselhaftes, weil er weiß, was er auch haben wird: seinen eignen Morgen, seine eigne Erlösung, seine eigne Morgenröte?...“

Aus dem Dunkel sich durch die Morgenröte langsam in den Tag hineindenken. Ein Augenblick, in dem Dunkelheit und Licht sich allmählich voneinander trennen, und gleichzeitig doch, noch, ineinander verflochten sind. Ein Augenblick, in dem die Schönheit des Sinnlichen Schritt für Schritt aus der Unsichtbarkeit tritt, wahrnehmbar wird – und sich der ästhetischen Reflexion öffnet. Die Rosenfingrige enthüllt das im Dunkel noch Verborgene, Wartende, lässt die narzisstischen Verblendungen der Nacht allmählich in eine Sichtbarkeit übergehen – die allererst die Anerkennung des Anderen wie des Selbst möglich macht. Aurora stellt die unvermeidliche Herausforderung vor Augen, die Erfahrungen der Nacht und all ihre Gestalten, die Träume, das Unheimliche irgendwann den Mächten des Tages zu konfrontieren – dem Licht, der Ordnung, der Vernunft. Sie stellt die Frage, was dabei von ihnen bleibt, wie die Reize und die Qualen der Nacht für den Tag zu retten sind, die phantasievolle Hingabe an die eigenen privaten, idiosynkratischen Mächte, die Sehnsucht nach Umnachtung, nach Auslöschung der Welt und des Anderen. „Die Verwertung der Traumelemente beim Aufwachen“, so Walter Benjamin, „ist der Kanon der Dialektik. Sie ist vorbildlich für den Denker und verbindlich für den Historiker“. Die Allegorie der Morgenröte verkörpert die Dialektik von Dunkelheit und Licht, Einsamkeit und Gesellschaft, Sinnlichkeit und moderner Ästhetik, purer visueller Überzeugungskraft und aufklärerischer Reflexion – sowie, nicht zuletzt, von Geschichte und Zukunft.

Unser Projekt begibt sich in dieses Feld der Bedeutungen von „Aurora“, um sie nochmals zu erweitern und zu verschieben. Es zielt auf ihre Erneuerung durch Aktualisierung. Wie lässt Aurora sich heute neu denken – im Wissen um die apokalyptischen Perspektiven, und Depressionen der Gegenwart? Was erhoffen wir heute? Mit wechselnden ästhetischen, politischen und historischen Kontexten rücken immer wieder andere Fragen und Aspekte am Bild, an der Allegorie Auroras in den Blick. Die polnische Kunst beginnt gerade, sich mit den Gespenstern, dem Unbewussten und Verdrängten der aufgeklärten spätkapitalistischen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Die westliche Kunstszene ist schon seit einiger Zeit von Versuchen geprägt, sich diesen Geistern der Nacht zu stellen. Unser Projekt fragt, was auf diese Arbeit an den Träumen, Sehnsüchten und Ängsten der Nacht folgen könnte. Es soll diese beginnenden und laufenden Auseinandersetzungen mit weitergehenden Fragen, Ausblicken und Positionen in ein Gespräch, eine neue Dialektik verwickeln.

Die Wahl der Orte für die Realisierung des Projekts folgt dem Gedanken, an zwei konkrete Verkörperungen jenes ’Zwischen’ – und der von dort aus möglichen Aufbrüche – zu erinnern und anzuknüpfen, für das Aurora steht: Berlin und Wroclaw, als Vermittler, Brücken und Wandler zwischen Ost- und Westeuropa. Zwei Städte, die exemplarisch für immer neue Wendungen, Um- und Aufbrüche in der deutsch-polnischen und europäischen Geschichte stehen. Der hier dokumentierte erste Teil von „Aurora. Zwischen Nacht und Tag“ fand in Wroc∏aw statt, in den Kellerräumen des BWA Awangarda, das seinen Sitz im ehemaligen Palais des Fürsten von Hatzfeld hat. Es wurde Ende des 18. Jahrhunderts nach Plänen von Carl Gotthard Langhans erbaut, desselben Architekten, der auch das Brandenburger Tor entworfen hat – einen jener Triumphbögen, deren Durchschreiten einmal, Walter Benjamin hat daran erinnert, als ‚rite de passage’ gedacht wurde: als ‚Hindurchdrängen durch einen engen Spalt’, von dem man sich eine Wiedergeburt erwartete.

Olga Lewicka, Berlin/Wroclaw, September 2006

Prolog: Nachtwache für Aurora In der Nacht vom 29. auf den 30.03.2008 0:30 h - 6.30 h

Hotel Park Inn Panoramasaal 37.Stock Alexanderplatz 8 10178 Berlin Mitte

mit Mad Angus Filip Caranica Le Coeur Annette Frick Wilhelm Hein Thomsz Kozak Doris Lasch & Ursula Ponn Olga Lewicka Maria Muhle Roseline Rannoch Topmodel Carsten Zorn und anderen

Es besteht die Möglichkeit, in Erwartung Auroras, im Casino nebenan sein Glück zu versuchen (bis 3h; Abendgarderobe erforderlich)

Aurora. Zwischen Nacht und Tag, Teil II. Ausstellung 03.04.-27.04.2008 Torstraße 111 10119 Berlin-Mitte

Eröffnung am Mittwoch, den 02.04. 2008 19.00 Uhr

Aleksander Cigale Friederike Clever Stephan Dillemuth Michaela Eichwald Annette Frick Wilhelm Hein Tomasz Kozak Doris Lasch & Ursula Ponn Olga Lewicka Bernadette Mittrup Roberto Moreira Jr. Julia Pfeiffer Roseline Rannoch Przemyslaw Sanecki Markus Selg Astrid Sourkova

Öffnungszeiten Donnerstags und Freitags16h-18h Samstags 14h-17h und nach Vereinbarung

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Aurora. Zwischen Nacht und Tag
II. Teil
Orte: Hotel Park Inn , Berlin; Torstraße 111, Berlin
Kuratoren: Olga Lewicka, Roseline Rannoch

mit Mad Angus , Filip Caranica, Le Coeur , Annette Frick, Wilhelm Hein, Olga Lewicka, Maria Muhle, Roseline Rannoch, Topmodel , Carsten Zorn, Aleksander Cigale, Friederike Clever, Stephan Dillemuth, Michaela Eichwald, Annette Frick, Wilhelm Hein, Tomek Kozak, Doris Lasch & Ursula Ponn, Olga Lewicka, Bernadette Mittrup, Roberto Moreira Jr., Julia Pfeiffer, Roseline Rannoch, Przemyslaw Sanecki, Markus Selg, Astrid Sourkova

www.auroraberlin.de