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Ein gestrandeter Seemann, der sich ein Bein ausreißt, um daraus ein Signal zu basteln; eine ältere Dame, die ihren Kaktus streichelt; ein Geist, der aus einer Sprühflasche fliegt; Zwerge, die einen Schubkarren schieben, in dem ein monströses, erigiertes Geschlecht liegt; Donald Duck, dessen Schnabel aus Därmen geformt ist und eine auf einem Auge erblindete Minnie Mouse – aus diesen und anderen Kreaturen besteht das visuelle Repertoire der Skulpturen und Gemälde des holländischen Künstlers Bas de Wit (*1977). Auf den ersten Blick meinen wir, Figuren aus Comicstrips, Märchen und Erzählungen, die wir in unserer Jugend gelesen haben, zu erkennen. Was aber irritiert, sind die Deformationen, oder anders: die perfiden Dekonstruktionen der sich beim Anblick der Figuren einstellenden Assoziationen. Es ist eben nicht Minnie Mouse, die uns freundlich zublinzelt, sondern ein Minnie Mouse-Monster, das nicht wirklich niedlich ist. Und es ist auch nicht Defoes Held Robinson Crusoe, der hoffnungsvoll seiner baldigen Rettung entgegenblickt. Diese Figuren unterlaufen also unsere aus Klischees gespeisten Erwartungen genauso, wie es die exotischen Südseeschönheiten tun, die de Wit aus Gauguins Repertoire klont und dabei allerdings alle Ähnlichkeiten mit in der Kunst existierenden Personen dadurch vermeidet, daß die ihr Kind säugende Mutter gleichzeitig raucht; wir sehen also nicht die uns von uns ersehnte, zwar in Armut lebende, aber schöne und reine Wilde. Diese selektive Wahrnehmung und ihr eurozentristischer Hintergrund werden von de Wit unterlaufen. Und aus solchen Momenten der Subversion holen seine Werke ihr bildliches Potential.

Es geht dem Künstler nicht um die mehr oder minder ähnliche Abbildung der uns bekannten Figuren oder Situationen, sondern um die Erweiterung des Spektrums an Bedeutungen und die Potenzierung der möglichen Signifikate. Bas de Wit legt sich, seine Arbeiten und damit die Betrachter nicht fest und entzieht uns so die eine gültige Erzählung, die erlösende Moral. Strukturelle Offenheit – inhaltlich wie formal – kann also als ein für seine Werke gültiges Merkmal genannt werden. Damit regt de Wit Denkprozesse an, die er allerdings ins Leere laufen läßt. Als Betrachter wird man "ent- täuscht", weil die ersten Assoziationen nicht schlüssig sind. Die Inhalte verlieren auf diese Weise an Bedeutung und zugleich faszinieren die Möglichkeiten der Form- und Farbgebung, die wir auch im ästhetischen Nachvollzug der Entstehungsprozesse beim Künstler erleben.

Ihr Potential, den Betrachter zu beunruhigen, gewinnen Bas de Wits Werke auch aus ihrer je verschiedenen Produktionsweise. Oft steht das traditionelle finito dem gewollten non-finito gegenüber: Während einige Partien in den Gemälden perfekt die Wirklichkeit – was immer das bei Märchen- und Phantasiefiguren ist – simulieren und deshalb eindeutige Signifikate zu haben scheinen, bleiben andere gänzlich unvollendet. Sie wirken gebastelt, sorglos zusammengehauen, dem Chaos des Ateliers abgerungen. Während solche Partien auch inhaltlich unbestimmt bleiben, machen sie auf den Produktionsprozeß aufmerksam und schaffen insofern eine andere Klarheit: Bas de Wit formt seine Skulpturen aus giftigen Schäumen, über Masken, die er von Personen aus seinem Umfeld oder sich selbst abnimmt. Er läßt, wenn man so will, die Polyethurane sprießen, so daß es tropft und klebt, glibscht und subscht. In seinen Gemälden fließt und läuft das Acryl, das über sichtbare Vor- oder, genauer, Verzeichnungen in Kohle aufgetragen wird. Aus den Verzeichnungen entstehen – als würde de Wit sich surrealistischer Techniken bedienen –, neue Formen und Figuren. Das erzählerisch-assoziative Moment der Werke ist auf diese Weise von der ursprünglichen Planung abgelöst. Die postulierte Offenheit der Werke ist schließlich auch darin zu konstatieren, daß oftmals große Bildflächen, die scheinbar unbehandelt blieben, den denotierenden Bereichen gegenüberstehen. Dabei allerdings komponiert de Wit präzise, er kontrolliert das Bild und seine Fläche genau.

Der Titel unser Ausstellung, Breit für Leid, steht nicht allein für den Zustand der geistigen Umnebelung (breit»bekifft oder betrunken), die dem Künstler droht, wenn er bei der Produktion seiner Skulpturen seine Atemschutzmaske nicht vorschriftsmäßig benutzt, sondern auch für das Bereit-Sein zu leiden, auch wenn dies mehr innerbildlich geschieht, als auf den Betrachter übertragen wird. Und die erweiterten phonetischen Bedeutungen des Titels – das Präfix "Leit" vor Wörtern wie -funktion, -stelle, -hammel, das bayerische "Leut" im Sinne von Leute etc. – vernebeln mehr, als daß sie präzisieren. So sind auch die von de Wit gewählten Titel Ausdruck seines Bestrebens um strukturelle Offenheit der Werke und seines Spiels mit Signifikanten.

Pressetext

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Bas de Wit
Breit für Leid