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Im Werk des Kontrabassisten und bildenden Künstlers BENJAMIN PATTERSON (*1934 in Pittsburgh, USA), Mitorganisator der „Internationalen Festspiele Neuester Musik“ in Wiesbaden und Gründungsmitglied von FLUXUS, verbinden sich Musik, Komposition, Performance, Objekte, gefundene Materialien sowie autobiographische und gesellschaftlich-politische Bezüge auf einzigartige Weise. Die Ausstellung im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden ist die einzige europäische Station der vom Contemporary Arts Museum Houston konzipierten Retrospektive und bietet einen Überblick über Pattersons dichtes Œuvre, das sich über mehr als 50 Jahre erstreckt. Im Spannungsverhältnis von kunsthistorischem Rückblick und heutiger Kunstpraxis werden neben den frühen Beiträgen zur FLUXUS-Bewegung auch neue, bisher nicht gezeigte Arbeiten aus dem Atelier des Künstlers sowie das Environment BEN’S BAR gezeigt.

Die Ausstellung im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden bietet mit einer Vielzahl an Objekten, Papierarbeiten und Materialien aus verschiedenen europäischen Sammlungen und dem Archiv des Künstlers selbst einen Überblick über Pattersons umfangreiches Werk.

Mit Materialien zu Benjamin Pattersons wechselvoller Biographie leitet die Sektion NOTES ON AN ORDINARY LIFE durch die vier Etagen der Retrospektive. Nach seiner Ausbildung und Auftritten als klassischer Kontrabassist, wendete sich Benjamin Patterson ab 1961 verstärkt der experimentellen Musik zu, nahm an avantgardistischen Festivals teil und organisierte Happenings mit Gleichgesinnten. Patterson arbeitete und vernetzte sich u. a. mit Georg Maciunas, John Cage, Mary Bauermeister, Robert Filliou, Wolf Vostell und Nam June Paik. Er lebte u. a. in Ottawa, Stuttgart, Köln, New York und Paris, bevor er Wiesbaden zu seiner Wahlheimat machte, wo er bis heute lebt und arbeitet.

Die größte Sektion der Werkschau widmet sich den NECESSARY OBJECTS, assemblierten Arbeiten aus alltäglichen Materialien und Fundstücken, die zum Teil aus Aktionen und Performances heraus, teilweise im Atelier entstanden. Ausgehend von der Performance VARIATIONS FOR DOUBLE BASS, baute Patterson einen Kontrabass mithilfe von Holzflügeln und Campinggaskartuschen zum FLYING BASS (2010) um. Schlichte Deckenlampen aus dem Baumarkt, die alternierend aufleuchten, verweisen in der Installation FLUXUS CONSTELLATION (2002) auf die Persönlichkeiten des internationalen Fluxus-Netzwerks. Die Arbeit TWO FOR VIOLIN AFTER NAM JUNE PAIK (1991) entstand aus Pattersons Aufführung von Paiks Stück ONE FOR VIOLIN SOLO. Die Einzelteile der in der Performance zerstörten Violine arrangierte er als klassisches Stillleben. Während die Arbeit einerseits die gegenseitige Anregung der Künstlerinnen und Künstler innerhalb des FLUXUS-Netzwerks repräsentiert, zeigt Patterson schalkhaft im „gerahmten“ Format wie unpräzise und interpretationsbedürftig sich das Ephemere von Fluxus museal einfangen und konservieren lässt.

Die Sektion METHODS AND PROCESSES: SCORES, ACTIONS AND HAPPENINGS zeigt Pattersons Scores und Skizzen in Form einer „Bibliothek“. Zum Selbststudium der zahlreichen Handlungsanweisungen für Musikstücke, Opern, Performances und Aktionen lädt das BLACK AND WHITE FILE (1999) ein.

Wie und warum er Künstler wurde, thematisiert Patterson in seiner Installation BLAME IT ON PITTSBURGH (1997) im Zentrum der Ausstellung. Auf Plexiglastafeln kombiniert er Protokolle von mehr als 20 psychoanalytischen Sitzungen mit Fotografien aus seinem Leben. In dem abgedunkelten Raum sind Besucher dazu aufgefordert, mithilfe von Taschenlampen selbst „Licht ins Dunkel“ zu bringen.

Der anschließende Teil der Ausstellung ist dem neuesten künstlerischen Output aus dem Atelier Pattersons gewidmet. Gezeigt werden Arbeiten der jüngsten Schaffensphase des Künstlers, die in Houston und New York noch nicht zu sehen waren. Eine weitere Besonderheit innerhalb der Retrospektive in Wiesbaden ist zudem der SPIELRAUM in der zweiten Etage, der Platz für spontane Aktionen, Präsentationen und Performances von Patterson sowie Kolleginnen und Kollegen bietet. Benjamin Patterson selbst kuratiert das Programm innerhalb der eigenen Retrospektive, womit sich der Rückblick auf sein Lebenswerk und die Intervention gleichwertig gegenüber stehen.

In Anlehnung an die ersten Mail-Art-Aktionen wird darüber hinaus Fluxus nicht nur physisch, sondern auch digital als „kollektive Episode“ (Patterson) erlebbar. Parallel zur Ausstellung wird im Internet eine elektronische Meinungsumfrage zum Thema Fluxus mit einem Fragebogen durchgeführt, den Patterson speziell hierzu entworfen hat.

Im kleinen Kino in der dritten Etage des Kunstvereins können historische Performanceaufzeichnungen auf den originalen Klappsitzen erlebt werden, auf denen die Besucher 1962 den Internationalen Festspielen Neuster Musik beiwohnten. Der Weg dorthin führt durch Benjamin Pattersons einziges öffentlich zugängliches Environment BEN’S BAR. TO BE HEARD. TO BE SEEN. TO BE THERE (1990), das sich seit 2007 als Dauerleihgabe im NKV befindet. Die im Titel komprimierte Aussage des Environments, dass viele Dinge sich bei einem geselligen Barbesuch einfacher lösen ließen als durch Streit und Krieg, schloss Patterson in New York angesichts des zweiten Golfkrieges. Es ist das Fazit eines lebenserfahrenen Künstlers, dessen eigener Werdegang von Rassendiskriminierung und politischen Unruhen gezeichnet ist, und der eine der letzten Avantgarden des 20. Jahrhunderts aktiv mitbegründete.

Die Ausstellung wurde von Valerie Cassel Oliver, Senior Curator am Contemporary Arts Museum Houston konzipiert und kuratiert. Im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden wurde sie von Elke Gruhn und Sara Stehr in enger Zusammenarbeit mit Ben Patterson neu zusammengestellt und erweitert.

Stellvertretend für den Schirmherren der Retrospektive Generalkonsul Edward (Ned) M. Alford, wird Jeffrey Hill, der Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des US-Generalkonsulats Frankfurt, die Ausstellung eröffnen. Um punkt 18 Uhr, was 12 Uhr mittags New Yorker Zeit entspricht, findet die Performance „Identical Lunch (Variation)“ von Alison Knowles statt. An einer langen Tafel zwischen Museum und Nassauischem Kunstverein Wiesbaden werden 1000 braune Papiertüten, die jeweils ein Eiersandwich enthalten, serviert, dazu gibt es ein Glas Rosé-Sekt. Die Eröffnung der Ausstellung findet gemeinsam mit dem Museum und dem Stadtmuseum Wiesbaden statt.

Zur Ausstellung ist ein begleitender Katalog in englischer Sprache erschienen, inklusive CD und Werkübersicht, und mit Aufsätzen von Valerie Cassel Oliver (Kuratorin, Contemporary Arts Museum Houston), Marcia Reed (Getty Research Institute), Jon Hendricks (Silverman Collection, MoMA), Betrand Clavez, (Universität Lyon), Benjamin Patterson u. a.. Zur Ausstellungsstation im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden erscheint ein Begleitband mit deutschen Übersetzungen sowie ergänzenden Abbildungen und Texten, unter anderem von Benjamin Patterson, Elke Gruhn und Sara Stehr.