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Eine neuere Zeichnung von Bernhard Fruehwirth zeigt die freigelegte linke Hals- und Schulterpartie eines Mannes, eine Arbeit, vergleichbar in etwa mit einer Zeichnung, wie sie auch in einem älteren anatomischen Lehrbuch zu finden wäre. Im Blick unter die Hautoberfläche treten - abgelöst von Haut- und Fettanteilen - Muskeln, Gefäße, Blutbahnen und Nerven hervor. In dieser Arbeit, die durch die präzise Darstellung menschlicher Körperfunktionen besticht, fälllt schließlich ein eingeschobener Fremdkörper auf, der in diesem pulsierenden Organismus sein ganz natürliches Eigenleben zu führen scheint: ein Möbelstück, ein Sessel. In “Das kleine Fauteuil” (2000) wurde der Körper gemäß der psychischen Befindlichkeit bei der gestischen Bearbeitung der Bildoberfläche also “möbliert”. Fruehwirth selbst hat jene Stelle in “Das kleine Fauteuil”, in der Organismus und Objekt eine beinahe unmerkliche Verbindung eingehen, als Passage beschrieben, als Durchgangsstation, als Ein- und Ausgang. Innenleben und Außenraum gehen also ein kommunikatives Austauschverhältnis ein - hier durch eine Öffnung, die dem Spiel des Sphärischen symbolisch Raum verschafft. Für das Thema der wechselseitigen Abhängigkeit von individuellem Erleben in Reaktion auf Erfahrungen in der Außenwelt und die Schwierigkeit, diese beiden Ebenen in einem Bild zu bannen, wurde im “kleinen Fauteuil” eine sprechende Metapher gefunden. Das Thema selbst jedoch lässt sich auf Fruehwirths gesamte Arbeit übertragen, insbesondere aber auf sein zeichnerisches Werk. Die Arbeit lebt sehr stark von dem Versuch, verschiedene körperliche Erfahrungen oder emotionale Zustände über die Darstellung von räumlichen Situationen zu transportieren. Dabei stößt der Künstler immer wieder auf Widerstände der eigenen Arbeit gegenüber: So entstehen Situationen, die immer wieder in sich zusammenfallen, Situationen, die sich im genauen Schauen als brüchig erweisen. Genau dieser Prozess der permanenten Korrektur oder im Umkehrschluss die Verselbstständigung von gewissen Dynamiken - Anziehung und Abstoßung - aber scheint mir eine entscheidende Qualität in der Arbeit zu sein. Generell scheint die Zeichnung für Veranschaulichungen - im weitesten Sinne - psychischer Zustände ein geeignetes Medium zu sein, wird doch das Zeichnen traditioneller Weise nicht nur als irgendeine von vielen künstlerischen Praktiken begriffen, sondern - nach wie vor einen primären Status gegenüber anderen Disziplinen einnehmend - als kognitiver Prozess breschrieben, in dessen Verlauf die Darstellung komplexer, von verschiedenen Komponenten vielfach durchdrungener Sachverhalte mit einfachsten Mitteln - der Linie - gelingen kann. Das Zeichnen ist dem klassischen Verständnis nach also ein Darstellungsverfahren, um Situationen visuell Ausdruck zu verleihen, die über keinerlei anschauliche Referenz verfügen. Diese Sichtweise scheint mir für die Arbeit Fruehwirths nach wie vor Gültigkeit zu haben: Denn durch minimale Eingriffe in die optischen und psychologischen Grundkomponenten, die räumliche Darstellungen situativer Zusammenhänge in der Regel zwangsläufig begleiten wie Perspektive und Mimesis, gelingt ihm ein Entkommen in fiktive und auch (re-) konstruierte (Erinnerungs-) Räume. Mit seinen Zeichnungen errichtet Fruehwirth ein hybrides Gerüst, das den Körper wie ein Seismograph umfasst, athmosphärische Signale aufnimmt, verarbeitet und umgekehrt wieder in den Körper zurückschickt. Was in den Zeichnungen genau passiert und was sie in dem Betrachter “anstellen”, ist auf einer sprachlichen Ebene nur sehr schwer zu fassen: in die Tiefe schauen, Abgründe erforschen, auf einem hohen Seil balancieren, Schwindelzustände erregen wären mögliche Umschreibungen für einen ersten inhaltlichen Einstieg. Setzt man auf einer formalen Ebene an, so ist als erstes festzustellen, dass es keine durchgängigen Motive in der Arbeit Fruehwirths gibt. Vergleichbar der Dynamik psychologischer Prozesse, scheinen vielmehr spezifische Situationen spontanes Interesse zu erwecken, da sie an nicht näher spezifizierbare Gefühle erinnern. Es gibt ein Interesse an Architektur, ja, aber auch hier gilt das Prinzip des dynamischen und variablen Zugriffs auf unterschiedlichste räumliche Arrangements: So sind die ersten Zeichnungen präzise Rekonstruktionen des eigenen Jugendzimmers (“1975-90”, 1995/96) - ein verschwundenes Zimmer, das mittlerweile von der Mutter bewohnt wird. In einer Art archäologischen Annäherung an die persönliche Biographie entstehen darüberhinaus auch Zeichnungen anderer privater Räume, aus denen in der Folge Details herausgezoomt werden wie ein Regal mit Büchern, ein Tonband, ein Kofferradio oder - in einer neuen Arbeit - ein kaputter Sessel. Diese Gegenstände werden als Versatzstücke des sozialen - individuellen und kollektiven - Lebensraumes lesbar. Das Gleiche ließe sich aber auch behaupten von der Darstellung der Villa Frank Sinatras in Palm Springs Anfang der siebziger Jahre - die Vorlage bildete hier ein Ausschnitt aus einem Magazin der “Bunten” - oder des Zimmers der Königin Marie Antoniette, ein Bild, das Fruehwirth, wie viele andere auch, im “Vorbeigehen” entdeckt hat. Verwaiste Zonen des Alltäglichen bzw. städtische Randzonen sind dabei genauso bearbeitungswürdig wie verschiedene Formen von Repräsentationsarchitektur. trotz dieser Variabilität der Referenz- und Anknüpfungspunkte gelingt es Fruehwirth Perspektiven auf die sozialen und kulturellen Wirkungszusammenhänge von architektonischen Phänomenen und deren Bedeutung für den individuellen und kollektiven Lebensraum zu entwerfen. Wie geht das? Wieder eine mögliche formale Annäherung: In den Zeichnungen sind zum Beispiel durchgängig die Fluchtpunkte “falsch” gesetzt, die Perspektiven stimmen nicht genau. Das liegt unter anderem daran, dass als Vorlagen in der Regel fotografische Aufnahmen der Räume herhalten - eine Entscheidung, die möglicherweise auch darauf zurückzuführen ist, dass unser Gedächtnis ein fotografisches ist. Gerade aber durch die perspektivischen Verzerrungen sowie durch die Reduktion auf verschiedene Details, durch Auslassungen und Hinzufügungen oder aber durch starke zeichnerische Gesten - das in zarter Linienführung dargestellte verspielte und üppige Interieur des Arbeitszimmers Kaiser Franz Josefs in der Wiener Hofburg zum Beispiel wurde mit einem dicken Filzstift durchgestrichen (Skizze, 1998) - erweitert sich unser Verständnis von Raum: Wir können mit ihm einen Ort verbinden - ohne ihn unbedingt benennen zu können. Wiedererkennungseffekte scheinen aber auch keine Rolle zu spielen; wichtiger ist ein emotionaler Zugang, das Herstellen einer athmosphärischen, auch diffusen Verbindung zum Dargestellten. Gaston Bachelard hat in der “Poetik des Raumes” unsere Seele als Wohnung beschrieben, möbliert mit unseren Erinnerungen, aber auch mit unseren “Vergessenheiten” (dem Unbewussten), und daraus gefolgert: “Wenn wir uns an Häuser oder Zimmer erinnern, lernen wir damit, in uns selbst zu wohnen.” Ich denke, damit ist ein entscheidender Punkt in der Arbeit Fruehwirths angesprochen, nicht nur einen möglichen inhaltlichen Zugang betreffend, sondern auch den prozessualen Charakter der Arbeitsweise herausstellend. Betritt man beispielsweise den Arbeitsraum des Künstlers, ist man versucht, dem ältesten künstlerischen Ausdrucksmedium - der Zeichnung - beinahe performative Qualitäten zuzusprechen: Man bewegt sich in einem Laboratorium. Insbesondere die Zusammenschau von verschiedenen Entwurfsstadien, das Sichtbarwerden der vielen Referenzpunkte - in vor allem eigenen, aber auch fremden Fotografien, Zeitungsausschnitten, Texten etc. -, das Überlappen und Ineinandergreifen von verschiedenen Themenkomplexen, das bewusste und vielleicht unbewusste Verbinden von Material unterschiedlichster Herkunft, zeigt, dass es Bernhard Fruehwirth um die Darstellung des Zusammenfallens von Raum und Emotion geht, die grundlegendste Erfahrung überhaupt, die komplexeste zugleich. Es geht um die Herstellung von größtmöglicher Dichte in einem Medium, dass in Gestus und Ausdruck die größtmögliche Leichtigkeit und Luftigkeit für sich in Anspruch nimmt, die einem Medium überhaupt zugesprochen werden kann. Maren Lübbke (Pressetext)

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