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Ein meteorologisches Phänomen in der Eiswüste: der Boden, weiß von schneebedeckt, der Himmel von Wolkenmasse, Nebel oder Schneefall eisgrau eingefärbt und das Sonnenlicht so stark gedämpft, dass eine Grenze zwischen Oben und Unten, zwischen Himmel und Boden nicht mehr zu erkennen ist. Für den Menschen darinnen ist es ein Schwebezustand, die Suche nach dem Horizont, nach einem Orientierungspunkt in der Leere des unendlich ausgedehnten Raumes, dem weißen Chaos.

Es ist die Suche des eigenen Weges, der eigenen Identität in solch einem Chaos, dass Hin- und Hergerissensein in dem Durcheinander und Nichts von Möglichkeiten und Determinanten, welche den Menschen von jeher beschäftigt.

In der Ausstellung "Beyaz Kaos | White Out" zeigen Eva Liedtjens und Cassandra Mehlhorn zeitgenössische Positionen von acht etablierten wie auch Nachwuchskünstlern mit türkischen Wurzeln, welche sich ob nun in der Türkei oder im Ausland lebend, mit unterschiedlichen Facetten der Identitätssuche und möglichen Leitbildern und Formen der Sozialisierung auseinandersetzen.

Mit bissiger Ironie und Übertreibung bilden die graphischen Arbeiten von Extrastruggle (*1970, Istanbul) Stereotype der türkischen Kultur ab. Mit dem 1997 gegründeten Projekt Extramücadele/ Extrastruggle entwirft er, ganz wie ein fiktiver Graphik-Designer Logos für imaginäre Klienten. Unter diese fallen jegliche soziale Gruppen, sei es das Mädchen mit Kopftuch, dem der Weg in die Universität versperrt ist oder der linke Intellektuelle. So wie ein Logo nicht die Wirklichkeit zeigt, sondern vielmehr in abstrahierter, generalisierter Form für etwas steht, so steht auch das Abgebildete nicht im Mittelpunkt. Es ist vielmehr der Akt der gedanklichen Konstruktion und die ewige Frage nach dem Verhältnis von Objekt, Bild und Abbild welcher hier nachgegangen wird. Die Graphiken bebildern somit das Chaos, die Vielfalt und die Klischeehaftigkeit der Türkei als Konstrukt Nation.

Mehmet Ali Uysal’s (*1976, Mersin) Wandarbeiten sind raumbezogene Arbeiten. Die weiße Wand als Grenze des Ausstellungsraumes wird zum wesentlichen Teil der künstlerischen Arbeit, erweitert als dessen Material, Form und Inhalt benutzt. Uysal gibt den Betrachtern die Möglichkeit den Ausstellungsort, die Arbeit in ihrem Kontext, neu zu erfahren.

Demet Taşpınar (*1972, Istanbul), die neben ihrer künstlerischen Arbeit eine große Zeit im Jahr als Schiffsärztin auf Expeditionen um die Welt verbringt, hat ihre Leidenschaft für das Beobachten und Filmen in der Antarktis entdeckt. Dort stöbert sie Strukturen, Atmosphären und szenische Miniaturen auf, die sie anschließend in poetische Kompositionen verpackt.

In seinen Gemälden reflektiert Gökçen Cabadan (*1980, Izmir) über die Rolle welche die Idealvorstellung und Kategorisierung des Menschen in der Positionierung unserer selbst spielt, welche Grenzen sie aufzeigt und welche Orte sie zuweist.

Die Fotografien von Dilek Gökçen Acay (*1983, Istanbul) führen uns in ihre ganz eigene poetisch-skurrile Welt. So manch leise phantasievolle Klänge treffen auf eine verstörend traumhafte Ästhetik. Traum oder Alptraum. In den inszenierten Fotografien tritt die Künstlerin zumeist selbst als anonyme Protagonistin auf. Verfremdet, maskiert und unkenntlich verwischt das Porträt und wird zu einem Teil der Kulisse. Ein Bühnenbild, ein Ort voller Geschichten. Er erzählt uns von Heimat, zu Haus sein, den Koffer packen und auf Reisen gehen.

Güneş Terkol (*1981, Ankara) erzählt uns Geschichten aus Stoff und Garn. Geschichten welche das alltägliche Leben reflektieren, gesellschaftliche Strukturen aufdecken. Deren Protagonisten, oft Frauen, ihre Stimme erheben, sich auflehnen oder anpassen an die sozialen und kulturellen Gegebenheiten der heutigen Türkei. Das Nähen und der Gebrauch recycleter Materialien als Ausdrucksform ist in sich selbst ein Akt des Auflehnens gegen traditionelles Rollendenken. Die sie umgebende Welt, die Geschichten die das Leben erzählt, verwebt sie in ihre humorvollen Stoffarbeiten, Zeichnungen, Videos und Musikstücke. Die Künstlerin ist zudem Mitglied des Istanbuler Musik- und Performance-Kollektivs Ha Za Vu Zu.

Nilbar Güreş (*1977, Istanbul) setzt sich in ihren Arbeiten mit aktuellen Identitätspolitiken, insbesondere Gender- und Migrationsfragen auseinander. Weibliche Identität und deren Performanz im öffentlichen Raum werden von ihr kritisch hinterfragt und die patriarchalen Strukturen der Türkei, sowie generelle gesellschaftliche Vorstellungen von Normalität und Sexualität werden herausgefordert.

Die lebensgroßen Holzskulpturen Yaşam Şaşmazers (*1980, Istanbul) zeigen uns Kinder in ihrer eigenen Welt zwischen Gut und Böse. Die Unschuld des Kindes, das reine, unverdorbene Wesen ist hier nicht aufzufinden. Vielmehr scheint in den kindlichen Körpern eine ungewisse Boshaftigkeit zu schlummern. Die Werte der Welt der Erwachsenen, das Richtige und Falsche, noch nicht ganz verinnerlicht, sind sie unverstanden in ihrem ganz eigenen moralischen Kosmos.

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Beyaz Kaos / White Out
Kuratoren: Eva Liedtjens, Cassandra Mehlhorn

Künstler: Demet Taspinar, Extrastruggle , Gökcen Cabadan, Gökcen Dilek Acay, Günes Terkol, Mehmet Ali Uysal, Nilbar Güres, Yasam Sasmazer