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Jüngst hat das Städel Museum in Frankfurt ein bedeutendes Gemälde des Utrechter Malers Dirck van Baburen aus dem Jahre 1622 erworben, das einen jungen Sänger zeigt, der in virtuoser Weise eine Probe seiner Kunst gibt. Dieses Meisterwerk der Beobachtung wie der Inszenierung steht im Kontext einer ganzen Reihe von eng verwandten Musikantendarstellungen, die alle in den 1620er-Jahren in Utrecht entstanden sind. In diesem Zeitraum war die holländische Stadt geradezu ein künstlerisches Laboratorium, in dem die Maler mit der neuartigen Bilderfindung experimentierten und im Wettstreit miteinander immer wieder neue Lösungen entwickelten. Die drei Großen unter ihnen, Hendrick Terbrugghen, Gerard van Honthorst und Dirck van Baburen, hatten zuvor jeweils fast ein ganzes Jahrzehnt in Rom verbracht, wo sie die Kunst Caravaggios studierten und bald auch mit eigenen Bilderfindungen im Stile des Vorbilds reüssierten. Die Ausstellung versammelt zum ersten Mal eine umfangreiche und hochkarätige Auswahl von Musikanten- und Bordellbildern dieser sogenannten Utrechter Caravaggisten. Den Werken der Utrechter werden exquisite Gemälde Caravaggios gegenübergestellt, mit denen sich die Maler auseinandersetzten. Caravaggios berühmter "Lautenspieler", die Inkunabel des barocken Musikantenbildes, steht dabei im Mittelpunkt. Museen aus ganz Europa und den USA unterstützen dieses Projekt mit wichtigen Leihgaben. Zu den Leihgebern zählen u. a. das Kunsthistorische Museum in Wien, die Alte Pinakothek in München, das Rijksmuseum in Amsterdam, das Centraal Museum in Utrecht und das Museum of Fine Arts in Boston.

Ein junger Mann hat die Bühne betreten und sich in Pose geworfen. In der Linken hält er das Notenheft, aus dem er rezitiert, die Rechte unterstreicht in theatralischer Geste seinen Gesang. Den Kopf mit dem Federbarett hat er zurückgeworfen, den Betrachter – sein Publikum – aus dem Augenwinkel keck fixierend. Gleißendes Licht fällt auf die entblößte Schulter, die vom Gesang angespannte Halsmuskulatur und das sonnengegerbte Gesicht des Jünglings. Dirck van Baburen, der dieses Gemälde 1622 signierte, führt hier in virtuoser Weise anhand einer einzigen Halbfigur die ganze Klaviatur barocker Theatralik vor. Und doch hält er sich nicht an die Spielregeln des hohen Pathos, bringt Zweideutigkeiten und Brüche ein. Der Musikus ist kein gepflegter Gentleman, der zum abendlichen Vergnügen der feinen Gesellschaft eine Kostprobe seiner Kunst zum Besten gibt. Sein Haar ist wirr, sein Kinn schlecht rasiert, sein Blick fast frech, und die Bräunung seiner Haut verrät, dass er im Freien, unter sengender Sonne, seiner Arbeit nachgeht.

Dieses Meisterwerk, das Ende 2007 von der Kulturstiftung der Länder, der Hessischen Kulturstiftung und dem Städelschen Museums-Verein für das Städel erworben wurde, ist eines der eindrucksvollsten Beispiele der äußerst beliebten Musikantendarstellungen, die in Utrecht in den 1620er-Jahren entstanden sind. Die große Menge der erhaltenen Werke dieses Themenfeldes lässt darauf schließen, dass die Auftraggeber den Künstlern die Bilder förmlich aus den Händen gerissen haben müssen. Neben Dirck van Baburen (um 1595–1624) waren es vor allem seine beiden Utrechter Malerkollegen Hendrick Terbrugghen (1588–1629) und Gerard van Honthorst (1592–1656), die dieses Genre geprägt und zur Perfektion gebracht haben. Ihr virtuoses Spiel mit dem Hell-Dunkel, die dramatischen Lichteffekte, aber auch ihr kalkulierter Bruch mit dem "Decorum", den Gesetzen des Schicklich-Angemessenen, denen sie sich widersetzten, indem sie Modellen niedriger Herkunft Bildwürdigkeit zuerkannten – all dies verdankt sich einem großen Vorbild im fernen Italien: Caravaggio, der seinen holländischen Nacheiferern den Namen "Utrechter Caravaggisten" eintrug. Tatsächlich haben Terbrugghen, Honthorst und Baburen jeweils rund ein Jahrzehnt in Rom gearbeitet und dort die Auseinandersetzung mit der Kunst Caravaggios und der Maler seines Umfeldes gesucht.

Caravaggio hatte mit dem berühmten "Lautenspieler", der zu den Glanzstücken der Ausstellung zählt, die Inkunabel des barocken Musikantenbildes geschaffen, die bei den Malern seiner Nachfolge begeisterte Aufnahme fand. Darüber hinaus setzte auch Caravaggios neuartiger Stil Maßstäbe für eine ganze Künstlergeneration. Körperlichkeit und Beseeltheit der Figuren haben in seiner Malerei in vorher ungekannter Weise Ausdruck gefunden. Caravaggios beinahe aggressive, spotartige Beleuchtung, die einzelne Bildgegenstände dem tiefen Dunkel des sie umgebenden Raumes enthebt, und die ausgeprägte Nahsichtigkeit der Szenen, die distanzlos vor das Auge des Betrachters gerückt erscheinen, bewirken eine greifbare Plastizität der Körper, die von der Tiefe des Bildraumes unabhängig ist. Lichtregie und Nahsichtigkeit tragen aber auch zur Charakterzeichnung der Figuren und zur Aufladung der Szenen mit Dramatik und Pathos, Brutalität und religiöser Inbrunst, Erotik und Ironie bei.

Terbrugghen kehrte 1614 nach Utrecht zurück, Honthorst und Baburen 1620. Was sie an künstlerischen Neuigkeiten aus Rom mitbrachten, feierte in der holländischen Stadt im folgenden Jahr¬zehnt sogleich Triumphe. Ihre neue Bildsprache verdrängte rasch die etwas ausgelaugte spätmanieristische Tradition der Vorgängergeneration eines Paulus Moreelse oder Abraham Bloemaert. Nirgendwo außerhalb Italiens hat die Malerei Caravaggios derartige Folgen gezeitigt wie in Utrecht. Diesem spannenden Themenkomplex geht das Städel Museum unter dem metaphorischen Titel "Caravaggio in Holland" erstmals in einer Ausstellung nach. Den eindrucksvollen Auftakt im ersten Raum bilden drei Versionen der "Dornenkrönung", an denen sich der künstlerische Zusammenhang zwischen Caravaggio, seinen direkten italienischen Nachfolgern und den Utrechter Caravaggisten in einer Gegenüberstellung der neutestamentarischen Szene aus Caravaggios, Bartolomeo Manfredis und Dirck van Baburens Hand ganz unmittelbar nachvollziehen lässt. In den folgenden Räumen wird der thematische Schwerpunkt auf "Musik und Genre bei Caravaggio und den Utrechter Caravaggisten" entfaltet. Die Darstellung halbfiguriger Musikanten wie des "Singenden jungen Mannes" von Baburen bildet dabei den Kern der Ausstellung, die sich ganz bewusst auf die großen Drei unter den Utrechter Caravaggisten, Terbrugghen, Honthorst und Baburen, sowie auf das Jahrfünft von 1621 bis 1626, in dem das Musikantenbild seine entscheidende Ausprägung erfuhr, konzentriert. Diesen Gemälden wird eine exquisite Auswahl von Werken Caravaggios gegenübergestellt, auf welche die Utrechter Bezug genommen haben.

Eine konzentrierte Zusammenstellung von Druckgraphiken mit erläuternden Inschriften aus den Beständen der Graphischen Sammlung des Städel Museums ergänzt die Gemälde. Dabei tritt ein enger Zusammenhang der Musikantendarstellungen mit den für die holländische Genremalerei im Allgemeinen und die Utrechter Caravaggisten im Besonderen charakteristischen Wirtshaus- und Bordellszenen sowie den "Fröhlichen Gesellschaften" hervor. Ihnen wird die Ausstellung ein eigenes Kapitel widmen.

Seit der – späten – Wiederentdeckung Caravaggios und der Caravaggisten ab etwa 1950 und insbesondere in den letzten Jahren haben sich einzelne Ausstellungen mit dem Phänomen des Caravaggismus befasst. Die Städel-Ausstellung "Caravaggio in Holland" unterscheidet sich jedoch von den bisherigen Projekten durch ihre entschiedene Fokussierung auf die Musikanten- und Bordellbilder und durch die direkte Gegenüberstellung von Werken Caravaggios mit Gemälden der Utrechter Terbrugghen, Honthorst und Baburen. Deren Werke sind nun erstmals seit der 1987 in Braunschweig gezeigten Ausstellung "Holländische Malerei in neuem Licht. Hendrick ter Brugghen und seine Zeitgenossen" wieder in einer umfangreichen und hochkarätigen Auswahl in Deutschland zu sehen. Symptomatisch für die besondere Anerkennung, welche die Musikantenbilder der Utrechter Caravaggisten derzeit erfahren, ist auch ihre Bewertung auf dem Kunstmarkt. So wurde Ende Januar 2009 im Rahmen einer spektakulären Auktion bei Sotheby’s in New York Hendrick Terbrugghens "Dudelsackspieler" das zweitteuerste Los dieser auch sonst prominent besetzten Versteigerung. Was Sammler, Publikum und Fachwelt gleichermaßen fasziniert, ist die besondere Ästhetik dieser Malerei, die ihre Motive bei aller Moralisierung erstaunlich direkt mit Witz und Ironie in den Blick nimmt.

Kuratoren: Prof. Dr. Jochen Sander, Dr. Bastian Eclercy, Gabriel Dette

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Caravaggio
Musik und Genre bei Caravaggio und den Utrechter Caravaggisten
Kuratoren: Jochen Sander, Bastian Eclercy, Gabriel Dette

Werke von Caravaggio , Dirck van Baburen, Gerrit van Honthorst, Hendrick Terbrugghen ...