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Ort: Haus Salve Hospes

Der Kunstverein Braunschweig widmet Carsten Nicolai, einem der international renommiertesten Künstler, die mit Sound arbeiten, eine umfassende Einzelausstel-lung. Stark vernetzt und kollaborativ agiert Carsten Nicolai an den Schnittstellen zwischen den Genres und fusioniert Kunst, Musik und Naturwissenschaft zu ganzheitlichen Sinneswahrnehmungen. Zumeist geht Carsten Nicolai von physika-lischen und akustischen Phänomenen wie Klang- und Lichtfrequenzen oder elektro-magnetischen Feldern aus, die Grauzonen des Wahrnehmbaren bespielen. Diese in seinen raumgreifenden Installationen op-tisch und akustisch erfahrbar zu machen, bildet den Kern seines künstlerischen Vorgehens. Für Braunschweig konzentriert sich Carsten Nicolai auf Sound sowie dessen skulpturale Qualität und gibt Einblicke in seine Inspirationsquellen. Dabei sind verschiedenartige Schallfrequenzen sein Material, das durch komplexe technische Apparate erzeugt und ins Visuelle übertra-gen wird.

Ähnlich dem Phonographen, der – gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Vorgänger des Plattenspielers erfunden – erstmalig Klang reproduzierbar machte und von Rainer Maria Rilke in seinem Aufsatz „Ur-Geräusch“ (1919) beschrieben wurde, findet Carsten Nicolai Formen für die Aufzeichnung und Wiedergabe von Schallwellen. Das Ur-Geräusch, das für die Ausstellung titelgebend ist, steht für die Vermittelbarkeit, die Medialität von Sound.

Ein zentrales Werk in der Ausstellung ist crt mgn (2013) – eine Installation, die auf die Arbeit Magnet TV (1965) des Video-kunst-Pioniers Nam June Paik Bezug nimmt: Wie Paik so inszeniert auch Carsten Nicolai die Störung des elektro-nisch erzeugten Bildes: Videoaufnahmen von Neonröhren werden in Echtzeit über-tragen und deren Wiedergabe durch unre-gelmäßig schwingende Magnet-Pendel beeinträchtigt. Die so entstandenen Verschiebungen von Farben und Formen generieren samt den hörbar gemachten Abweichungen im elektrischen Schaltkreis ein buchstäbliches Klang-Bild.

Invertone, eine 2007 erstmals gezeigte, raumgreifende Soundinstallation, liegt das Phänomen zugrunde, dass Schallwellen sich theoretisch auslöschen, wenn Sound auf sein phaseninvertives Spiegelbild trifft. Von zwei sich gegenüberstehenden Laut-sprechern geht ein „weißes Rauschen“ aus, ein in der Bandbreite beschränktes Rauschen, das als stark höhenbetontes Geräusch wahrgenommen wird. Verteilt sich dieses Geräusch gleichmäßig über den gesamten Raum, so ist es jedoch an einer einzigen Stelle – nämlich exakt in der Mitte zwischen den beiden Lautsprechern – nicht zu hören. Auf subtile Weise ver-führt Invertone zum akustischem Bewusst- und Im-Raum-Sein.

Ein Ansatz, der in der raumgreifenden Installation static balance (2007) umso spürbarer wird. Durch zwei parabolisch geformte, einander gegenüber platzierte, großformatige Spiegel wird eine Soundku-lisse erzeugt, die – ähnlich einer akusti-schen Landkarte – Felder von erhöhter und geringerer Sounddichte wahrnehmen lässt. Der Besucher ist dazu animiert, sich durch den Raum zu bewegen und sich dabei von akustischen Pfaden leiten zu lassen. Als Ergänzung zu den Video- und Sound-Arbeiten, die im unteren Stockwerk gezeigt werden, versammelt Carsten Nicolai im Obergeschoss Materialien, die die Entstehung und Umsetzung einzelner Werke nachvollziehbar machen. Es sind Objekte wie Kristalle, Magnetbänder, Schleifen oder zu Knoten zusammenge-bundenen Lederbänder, die neben Auszü-gen aus Büchern präsentiert werden. Diese Installation, die sich über die gesamte Etage erstreckt, hat Züge eines Archivs und Arbeitszimmers und lässt auch an Fundstücke aus einer Wunder-kammer denken. Carsten Nicolai (geb. 1965 in Chemnitz, lebt in Chemnitz und Berlin) nahm an der documenta X teil und gewann 2001 den Ars Electronica Preis. 2007 wurde ihm im Zuge seiner Einzelausstellung im Haus Konstruktiv gemeinsam mit der Stadt Zü-rich der Zürich-Prize verliehen. Im selben Jahr war Nicolai Stipendiat der Villa Mas-simo in Rom. Seine Werke wurden mehr-fach auf der Venedig Biennale sowie in zahlreichen internationalen Gruppenaus-stellungen u.a. im Guggenheim Museum, New York, Centre Pompidou, Paris, und in der Tate Modern, London, gezeigt. Meh-rere Institutionen widmeten ihm umfas-sende Einzelausstellungen: u.a. das S.M.A.K., Gent, die Schirn Kunsthalle, Frankfurt, Neue Nationalgalerie, Berlin, und Hamburger Kunsthalle, das Musée d‘Art Contemporain, Montréal, oder das Museum für Moderne Kunst, Frankfurt.