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Noch während seines Studiums an der Kunstakademie Münster in der Klasse von Guillaume Bijl hat der koreanische Künstler Changwon Lee um das Jahr 2000 zu der ihm eigenen, unverwechselbaren Ausdrucksweise gefunden. Und auch bei der Auswahl seiner in den letzten Jahren entstandenen Werke, welche die galerie januar vom 2. 3. – 5. 4. 07 zeigt, handelt es sich – kategorial gesprochen – um Bildobjekte oder auch Wandreliefs, in denen sich Merkmale des Zwei- und Dreidimensionalen ineinander vermitteln.

Das Wandrelief „Passanten“ (2007), das in Bochum erstmals zu sehen ist, misst 250 x 400 cm und ist das bei weitem größte Werk der Ausstellung. Es nimmt nahezu die gesamte Stirnwand im Obergeschoss des Galeriehauses ein. Trotz des erheblichen Formats aber ist es typisch für Lees Kunst insgesamt und kann stellvertretend einstehen auch für kleinere Reliefs der Ausstellung.

Beim ersten Blick auf „Passanten“ aus der Ferne meint man – dem Titel gemäß – dunkle Silhouetten anonym Vorübergehender zu sehen. Erst bei näherer Betrachtung erkennt man, dass die Figuren in Bewegung keine gemalten bzw. fotografierten, das heißt keine flachen Abbilder der alltäglichen Wirklichkeit sind, sondern sich einer tatächlich körperhaften Ursache verdanken: Und zwar hat Changwon Lee hier – wie auch sonst häufig - einen rechtwinklig begrenzten, weißen Bildkasten von geringer Tiefe mit dem strengen Raster übereinander gereihter horizontaler Holzstege versehen, die – ähnlich den offen stehenden Lamellen einer Jalousie – in stets gleichen geringen Abständen übereinander gereiht und ebenfalls weiß lackiert sind. Auf ihnen hat der Künstler in genau kalkulierter Ordnung lose schwarze Teeblätter so angehäuft, dass sich die im einzelnen wirre Mikrostruktur des natürlichen Materials für unser Auge insgesamt zur überzeugenden Makrostruktur von Passanten zusammenschließt. Man muss noch hinzufügen, dass sich am Boden unterhalb des Wandreliefs weitere – offenbar herabgerieselte -Teeblätter befinden, welche das rein Materielle der vom Relief erzeugten Illusion diesem - im Wortsinne – zu Grunde legt wie auch eine Spur seines Herstellungsprozesses vergegenwärtigt.

Es ist eine faszinierende Erfahrung, wie nicht nur die dunklen Teeblätter selbst als das materiell Greifbare, sondern ebenso auch die völlig ungreifbaren immateriellen, nämlich durch die Teehäufchen veranlassten Schattenbildungen vor dem weißen Hintergrund des Reliefs zu dem figurativen Gesamteindruck zusammenspielen. Die Passanten verdanken ihre Phänomenalität sowohl der stofflichen Greifbarkeit der Teeblätter wie der Tatsache, dass durch Reflexion ihre immaterielle Phänomenalität vor der Rückwand des weißen Reliefs erzeugt wird.

Angesichts von Lees Wandrelief sind wir veranlasst, zwischen einem Blick auf die Mikro- und die Makrostruktur oder auch zwischen Nah- und Fernsicht zu wechseln, so wie wir überhaupt herausgefordert sind, unterschiedliche Blickeinstellungen und Positionen gegenüber dem Wandrelief auszuprobieren, um zu bemerken, dass die durch die Teeblätter figurierten Passanten ihr Aussehen, das heißt vor allem ihre gegenständliche Lesbarkeit je nach unserem Standort wie auch je nach Lichteinfall naturgemäß ändern.

Letztlich bleibt das Figurierte durch Lees Wandrelief immer distanziert und in absoluter Entfernung, denn wer sich ihm nähert, sieht die Passanten keineswegs deutlicher, sondern - ganz im Gegenteil - immer undeutlicher werden: Je geringer unsere Distanz, desto mehr verschwindet der figürliche Eindruck zugunsten des Blicks auf das materielle Substrat der Teeblätter wie auch umgekehrt sich bei zunehmender Distanz das materielle Substrat der Teeblätter verunklärt zugunsten des Gewinns an figürlicher Lesbarkeit der Passanten. Niemals aber kann man die absolute Distanz der Passanten durchbrechen: Man kann ihre Illusion gleichsam nicht scharf stellen für den Blick. Sie bleiben auch in einiger Entfernung des Betrachters vom konkreten Relief immer reine optische Erscheinungen: verschwimmende, entkörperlichte Erscheinungen sozusagen – sehr zugunsten der Lebendigkeit und Jeweiligkeit der erzeugten Illusion gewiss.

Ulrich Fernkorn

Changwon Lee, geb. 1972 in Inchon, Korea hat seine künstlerische Ausbildung zunächst 1991-97 als Bildhauer in einem Studium der Freien Kunst an der Nationalen Universität von Seoul erhalten, ehe er 1999-2006 an der Kunstakademie Münster in die Klasse von Guillaume Bijl kam, dessen Meisterschüler er seit 2004 ist. Sein in den letzten Jahren entstandenes Werk hat überregional Anerkennung gefunden und ist international ausgezeichnet worden, zuletzt 2006 mit dem DAAD-Preis für ausländische Studierende der Kunstakademie Münster.

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Changwon Lee