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Ob Hula-Hoop oder Karaoke im Museum, Teleshopping auf der Kunstmesse oder Kochshow im Kunstverein – Christian Jankowski nistet sich als Eulenspiegel in Unterhaltungsindustrie und Kunstbetrieb ein und nutzt die Formate der Massenmedien, um die Rolle von Kunst, Politik, Entertainment, Wirtschaft und globalen Vermarktungsstrategien zu hinterfragen. Dies geschieht nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit hintergründigem Humor und der Lust an Maskerade und spielerischem Rollentausch. Video, Film, Fotografie und Installationen sind die adäquaten Medien seiner künstlerischen Strategie. Christian Jankowski (geboren 1968) lebt und arbeitet in New York, Berlin und Stuttgart, wo er als Professor für Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste lehrt. Trotz internationaler Beachtung und Ausstellungen von New York bis Neuseeland präsentiert das Kunstmuseum vom 13. September 2008 bis 11. Januar 2009 seine erste umfassende Schau in Deutschland von frühesten Arbeiten wie »Die Jagd« (1992) bis zur Premiere von »Dienstbesprechung«, seinem neuen, eigens für Stuttgart geschaffenen Werk.

Bereits vor dem Museum irritieren Jankowskis »Living Sculptures« (2007): Sind die lebensgroßen Figuren Straßenkünstler oder Skulpturen? Und worin besteht der Unterschied? Zweifelnd und neugierig berühren die Passanten die täuschenden Täuschungen. Im Foyer des Museums lädt eine Karaoke-Bar die Besucher zum Mitsingen ein und schreibt sich zugleich ebenso subversiv wie unterhaltsam in diese Art der Entertainment- Massenware ein (»The Day We Met«, 2003). Schließlich animiert im Treppenhaus auf Ebene 2 die Videoinstallation »Rooftop Routine« (2007/2008) rechtzeitig zum 50. Jahrestag von Hula-Hoop das Publikum zum Selbstversuch in der Reifen schwingenden Gymnastik.

Die Doppelbödigkeit dieser interaktiven Arbeiten wirft erste Fragen nach dem Verhältnis von Kunst, Unterhaltung und körperlicher Ertüchtigung auf. Das für Jankowski zentrale Thema Film wird gleich hinter der Museumskasse im Erdgeschoss vorgeführt: Die Videoarbeit »16mm Mystery« (2004) fesselt hier mit einer ebenso poetischen wie politisch brisanten Metapher auf die Macht der bewegten Bilder. Dass sich Jankowskis Werk aus Aktion und Performance entwickelt, bleibt in der gesamten Ausstellung erkennbar. Die Arbeiten aus den 1990er Jahren besitzen noch deutlich dokumentarischen Charakter, so beispielsweise »Der sichere Ort« (1994) im Treppenaufgang oder die Trilogie der Verwandlungsvideos »Mein Leben als Taube« (1996), »Direktor Pudel« (1998/ 2003) oder »Flock« (2002) im ersten Raum auf Ebene 1, gefolgt von der Installation »Lehrauftrag « (2000), deren Demo-Transparente den zweigeschossigen Zentralraum des Museums auf den ersten Blick in einen Hochschulcampus der Studentenbewegung verwandeln.

Zunehmend jedoch wird die Performance nicht per Video von Jankowski selbst dokumentiert, sondern die Produktion wird direkt in Fernsehsendungen verlagert und live ausgestrahlt . So befragt Jankowski 1999 anlässlich seiner Einladung zur Venedig-Biennale verschiedene Fernsehwahrsager zu seinem Erfolg an der Lagune. Die Mitschnitte der Live- Sendungen werden zur Biennale-Arbeit (»Telemistica«) und begründen 1999 seinen internationalen Erfolg. Jankowski unterläuft und entschlüsselt das TV-Entertainment, indem er dessen Formate nutzt und dabei die Grenze zwischen Fernsehen und Realität neu beschreibt . Diese Vorgehensweise wird zum künstlerischen Prinzip und ist Thema der angrenzenden Ausstellungsräume: »Telemistica« (1999), »Kunstmarkt TV« (2008), »The Holy Artwork« (2001). Die Installation »Kochstudio« (2004) präsentiert Christian Jankowski und Alfred Biolek inmitten des Künstlers privatem Küchenmobiliar.

Die zweite Ausstellungsebene empfängt die Besucher in einer Art Kinosaal mit der Vorführung des Videos »Rosa« (2001) und endet in einem ›Gruselkabinett‹. Hier zeigt sich Jankowskis Interesse am Phänomen Horror innerhalb der medialen Unterhaltungsindustrie anhand von drei Videoarbeiten aus dem Jahr 2006 (»Playing Frankenstein«, »Lycan Theo3 rized« und »Angels of Revenge«) samt der dazu gehörigen Fotoserie und einem abstrusen Konvolut von Silikon-Prothesen aus dem Video »Lycan Theorized«. Dazwischen reflektieren zwei Werkgruppen ›made in China‹ – 34 Plastik-E-Gitarren mit integrierten Musikaufnahmen chinesischer Fabrikarbeiter (»And Your Bird Can Sing«, 2008) sowie eine Serie großformatiger Gemälde chinesischer Kopisten aus Dafen (»China Painters«, 2007) – globale wirtschaftliche Verflechtung und den darin eingebetteten Kulturtransfer.

Überraschung und Höhepunkt der Stuttgarter Präsentation ist ein neues Werk, das den Ort der Ausstellung selbst ins Visier nimmt: Die »Dienstbesprechung« des Kunstmuseums- Teams findet (ausnahmsweise) auf der dritten Etage statt. Bei den Vorbereitungen zu seiner eigenen Ausstellung hatte Jankowski Einblick in die vielfältigen Funktionszusammenhänge des Betriebs ›Museum‹ gewonnen und daraus die Idee entwickelt, dass die Museumsmitarbeiter – per Los und auf Zeit – einen Rollentausch vornehmen. Das Resultat dieser künstlerischen Versuchsanordnung wird auf der obersten Ausstellungsebene erstmals zu sehen sein: ein »Imagefilm« über das Museum mit ungewöhnlicher Besetzung, ergänzt durch 13 Monitorpaare, auf denen die filmischen ›Übergabeprotokolle‹ der 13 beteiligten Mitarbeiterduos gezeigt werden. Die Spuren des Rollentausches sind außerdem an verschiedenen Stellen der Ausstellung sichtbar. Damit wird nach dem Willen des Künstlers die Ausstellung selbst zu einem Gesamtkunstwerk, in das auch der zweisprachige Katalog als Künstlerbuch einbezogen ist (Hatje Cantz Verlag, 288 Seiten und 225 Abbildungen mit komplettem, vom Künstler redigiertem Werkverzeichnis.

Die zahlreichen Videoarbeiten auf über 1.500 qm Ausstellungsfläche machen eine besonders sorgfältige Ausstellungsarchitektur (Architekt Ingo Bergmann) und einen hohen technischen Aufwand mit differenzierter Schaltung, Soundduschen und beweglichen Projektionsflächen erforderlich.

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Christian Jankowski
Kuratorin: Marion Ackermann