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Der Fotograf Christian Werner ist fasziniert von der Geschichte der alten BRD, „diesem Land, das es nicht mehr gibt und uns alle so geprägt hat“, und er untersucht sie in seinen Projekten in immer neuen Ansätzen.
Vor Weihnachten 2014 bat ihn ein alter Schulfreund, das Haus seines kurz zuvor verstorbenen Großvaters zu fotografieren. Ein Mann, der 80 Jahre alt geworden war, seine Frau um einige Jahre überlebt hatte und die Spuren einer typisch provinziellen westdeutschen Nachkriegsbiografie in einer Anordnung persönlicher Dinge um sich herum hinterlassen hatte. Christian Werner fotografierte das Haus an einem einzigen Tag, bevor es geräumt wurde. Die Momentaufnahme, die aus dem Leben von Herrn und Frau B. erzählt, bildet gleichzeitig ein Stück Wohnkultur und Lebensart der BRD ab. Im Kunstpalais wird die dichte, traurig-schöne Fotoserie zum ersten Mal präsentiert – mit einer Auswahl von über 40 Aufnahmen.

Das Haus
Christian Werners Inventur ist umfassend und persönlich – die Herangehensweise nicht bürokratisch, sondern vielmehr poetisch. Dabei arrangiert er nichts, sondern fotografiert die Dinge, wie er sie vorfindet. Das schokoladenbraune Furnierholz der Möbel erinnert an die Zeiten vor IKEA, Blumenmotive in poppigen Farben überziehen großzügig Wandtapeten, Kacheln, Vorhänge und Steppdecken. Unübersehbar sind die in den 1970ern beliebten Stickbilder, die Kissen und Wandschmuck zieren. Blumen, Landschaften, eine Ansicht von Rothenburg o. d. Tauber, sogar Dürers „Betende Hände“ dienen als Motiv. Der Hobbykeller ist natürlich mit einem Ping-Pong-Tisch, einer Bar und einer Fototapete ausgestattet.
Werners Kamera erfasst die Dekoration ebenso wie die praktischen Gegenstände des täglichen Lebens: Geschirr, Flaschenöffner, Vasen, Kerzen, eine Kuckucksuhr, Nippes, alles, was sich in einem 80-jährigen Leben ansammeln kann. Eine Besenstielparade weist auf den Ordnungssinn der ehemaligen Bewohner hin. Kreuze, Sinnsprüche und betende Hände zeigen ihre Religiosität.

Christian Werners fotografische Stillleben
Für seine individuelle Bestandsaufnahme wählt Christian Werner nicht nur sorgsam aus, was er fotografiert, sondern jeweils auch, wie er es fotografiert. Findet für jedes Ding die Komposition, die am besten passt. Mal geht er mit seiner Kamera nahe an die Objekte heran, schneidet Gegenstände an und wählt unerwartete Perspektiven. In einer anderen Raumsituation wiederum fotografiert er das Motiv frontal und auf Symmetrie bedacht. Unverkennbar miteinander verbunden sind die Bilder durch Werners markanten fotografischen Stil. Charakteristisch beispielsweise das grelle Blitzlicht, das die Dinge in Szene setzt – und das sich durchaus auch in ihren Oberflächen spiegeln darf. Das harte Licht verwischt Zwischentöne: Werner legt Wert auf scharfe Kontraste und intensive Farben.

Trotz aller Details, die einem Christian Werner in seiner Serie zeigt, kann sich der Betrachter dennoch nicht im fotografierten Haus orientieren, kein ganzes Zimmer ersteht vor dem inneren Auge. So schützt er zum einen die Privatsphäre der ehemaligen Bewohner. Zum anderen lassen sich die einzelnen Fotografien so zu einem immer neuen Mosaik zusammensetzen und liefern ein Zeitdokument für ein Stück der BRD – so, wie man sie zuvor noch nie betrachten konnte.

Der Fotograf Christian Werner (* 1977 in Paderborn) lebt in Berlin und veröffentlicht neben seinen freien fotografischen Essays auch regelmäßig Reportagen und Porträts in Magazinen und Zeitungen.
In Kürze erscheint auch ein Buch zu einer anderen Fotoserie, in der sich Christian Werner mit der Geschichte der Bundesrepublik befasst: „Bauformen des Gewissens. Über Fassaden deutscher Nachkriegsarchitektur“.

Der Katalog
Ergänzend zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Kerber Verlag. In zwanzig Textminiaturen, die zum Teil von kulturgeschichtlichen Überlegungen, zum Teil von ganz persönlichen Betrachtungen geprägt sind, widmen sich zeitgenössische Autoren unterschiedlicher Disziplinen den einzelnen fotografierten Objekten – wie dem Ehebett, dem Fransenkamm, dem Globus, der Fernbedienung oder der Gardine. Mit einem Vorwort von Amely Deiss und Texten von Philipp Albers, Paulina Czienskowski, Philipp Felsch, Nina Franz, Holm Friebe, Alexandra Heimes, Rafael Horzon, Oliver Kohlmann, Markus Krajewski, Harun Maye, Heike-Melba Fendel, Milena Mercer, Clemens Niedenthal, Cornelius Reiber, Anne Waak und vielen anderen.
186 Seiten, Hardcover mit Leinenbezug, 35 Euro, Ausstellungspreis: 28 Euro