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Die numehr dritte COMTEC art ist zugleich die letzte in diesem Jahrhundert im vorletzten Monat des Jahrtausends. Die Geschichte der COMTEC art ist wegen ihrer Kürze schnell erzählt: Im November '95 entstand bei einem Besuch der Computerfachmesse COMTEC die Idee, die technik-, unterhaltungs- und effizienzorientierte Computerschau mit einer künstlerisch motivierten Computeranwendung zu konfrontieren. Warum sollte eine so kunst- und kulturorientierte Metropole wie Dresden nicht der Ort sein, wo die Frage nach dem Schicksal der Kunst und damit der menschlichen Wahrnehmung im Zeitalter der scheinbar uneingeschränkten digitalen Simulation von Wirklichkeiten aufgeworfen wird?

Nachdem auf der 96er COMTEC-Fachmesse drei Künstler aus der Region vertreten waren, startete 1997 die erste national ausgeschriebene COMTEC art mit einer Auswahl von 65 eingereichten Projekten. Zur zweiten internationalen COMTEC art '99 bewarben sich über 250 Künstler mit 220 Projekten aus allen Kontinenten.

Mit ihrer Teilnahme an der Ausschreibung haben so prominente Künstler wie der US-amerikanische Vater des zeitgenössischen Tanzes, Merce Cunningham, die international bekannte Palindrome Dance Company sowie der in England lebende Österreicher Hans Scheirl (Multimediakünstler) ihr Interesse für die COMTEC art bekundet.

Mit wachsender Publizität und einer darauf gegründeten Vervierfachung der Einreichungen gegenüber der 1997 erstmals stattgefundenen Messe hat sich der Anspruch besonders auch hinsichtlich der technischen Vorraussetzungen bedeutend erhöht. Vor allem die eingereichten interaktiven Installationen erfordern finanzielle, organisatorische und technische Aufwendungen, die mit den gegenwärtigen Ressourcen nur bedingt umsetzbar sind.

Erstmals wird die COMTECart neben ihrer Präsenz auf dem nunmehr neuen Dresdner Messegelände für fast drei Wochen im Kunst Haus Dresden über 50 Werke dem interessierten Publikum vorstellen. Das umfangreiche Rahmenprogramm beinhaltet neben der wissenschaftlichen Reflexion des Zusammenhangs von neuronalen und globalen Netzen, der computergestützten Visualisierung von Hirnströmen auch zahlreiche Performances mit künstlerischem und experimentellem Charakter.

Die langfristige Orientierung der COMTEC art auf die Wechselwirkung zwischen menschlichem Mentalkörper und Computer steht auch in diesem Jahr im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wie weit die Integration zwischen Choreografie, Komposition und Computer derzeit reicht, demonstriert die Performance "Press ESCAPE" der Palindrome Dance Company unter Leitung von Robert Wechsler (USA). Die Company wird die Bühne des Staatsschauspiels Dresden in einen virtuellen Klangraum verwandeln: Jede Bewegung der Tänzer im realen Raum korrespondiert in Echtzeit mit den im Computer gespeicherten Klangkoordinaten. Raum und Zeit, Choreografie und Komposition, Tanz und Klang verschmelzen auf der Grundlage neuester Computertechnologie zu einem Gesamtkunstwerk, dessen Dynamik letztlich von der realen Bewegung der Tänzer bestimmt wird. Aber nicht nur die äußere Bewegung, sondern auch die innere Bewegtheit der Akteure, ihre Muskelspannung und Herztöne werden gemessen und mit Hilfe des Computers in Klänge und Bilder verwandelt.

Der Auftritt der Palindrome Dance Company ist damit zugleich ein Ausblick auf das Theater des anbrechenden neuen Jahrhunderts.

Wider allen Spekulationen wird im Angesicht der Informationsgesellschaft weder der Mensch, noch das Theater verschwinden. Und doch scheint sich im Dialog mit dem Computer einiges zu ändern: an die Stelle der fixierten Rolle tritt das Spiel mit verschiedenen Identitäten und Welten: Physiologie, Genetik, Biochemie und Neuroelektrik werden wie das globale Internet zu Elementen eines leibhaftigen und zugleich virtuellen Dialogs. War das Theater nicht schon immer ein Labor zur Erkundung eines (un-)möglichen Menschen?

Allerdings scheint sich mit der Computerisierung und Globalvernetzung der Bühnenraum wie ein endloses Fraktal in die realen wie virtuellen Wirklichkeiten auszubreiten: Das Theatrale und Inszenierte findet seine letzte Verwirklichung im User, der seine Identität im Spiegel des globalen Datenmeeres um- und neuinszeniert.

Der Vision Friedrich Schillers vom "ästhetischen Staat" scheinen wir heute auf eine paradoxe Weise sehr nahe zu sein: Die flächendeckende Einführung von Multimediacomputern und ihre weltweite Vernetzung führte zu einer sehr weitgehenden Implantation des Kulturellen über die Dimensionen von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medienkultur direkt in den Alltag.

Zugleich befinden wir uns in einem beschleunigten Stadium kybernetischer Individualisierung, in dem der einzelne User gottähnlich nicht nur seine mehr oder minder erfundenen Botschaften in Form von Klang-Bild-Text- und Filmsymbiosen global kommunizierbar macht.

Darüber hinaus liegen die vernetzten Systeme der Zivilisation in einer Weise dem Einzelnen zu Füßen, auf dass er sie aufbreche, störe, transparent mache oder neustrukturiere. Alles scheint heute von jedem beliebigen Platz aus um- und neuprogrammierbar zu sein. Und wenn Robert Anton Wilson seinen neuen Prometheus (Der neue Prometheus, Hamburg 1987) als Herrscher über seine eigenen neuronalen "Schaltkreise", als freien, universellen Programmierer auch seines eigenen Geistes definiert, beruht doch diese eigenartige Analogie zwischen Hirn- und Computerprogrammierung auf einer längst in Gang gekommenen Relativierung der Schnittstellen zwischen "Außen" und "Innnen", zwischen "Objekt" und "Subjekt", "Welt" und "Ich". So steuern wir zusehends auf unmittelbare Verknüpfungen zwischen Geist, Körper, Gesellschaftssystematik und Computernetz zu. Ob nun in Form eines Eingriffes in den internationalen Devisenhandel, einer netzgestützten Hirnoperation, einer Visualisierung von neuronalen Prozessen, einer Implantation kostenloser Software ins Internet oder der computergestützten Manipulation von Erbanlagen: das Übergreifen des Einen auf das Andere ist scheinbar nicht mehr zu bremsen, noch zu kalkulieren.

Die vom diesjährigen Symposium aufgeworfene Frage "Neuronale Netze, globale Netze - Ende der Hierarchie?" zielt auf ein disziplinübergreifendes Nachdenken und Gestalten. Allerdings zeigte sich schon vor Beginn der COMTEC art '99, daß diese Fragestellung zwar eine offensichtliche politische, kulturelle, wissenschaftliche und wohl auch religiöse Brisanz enthält - doch scheint diese aus der Sicht der verstreuten Professionen und Disziplinen kaum bearbeitbar.

Mit der Verleihung der "Glodenen Nica" an die Schöpfer der Internetsoftware "Linux" hat die Ars Electronica die tradierten Vorstellungen von Kunst und Künstler aufs Neue erschüttert. Wer abschätzen kann, wie sehr "Linux" die klassische Tauschöknomie in Frage stellt, wird vielleicht in den - übrigens vernetzten - Schöpfern der Software nicht nur einen Pool von Programmierern, sondern vielmehr eine Art "soziale Plastik" wahrnehmen, die weit über die Beuys'sche hinausreicht.

Auch zur COMTEC art '99 wird die allgemeine Tendez offensichtlich: das Internet formiert sich als der Produktions- und Distributionsraum für computergestützte Kunst schlechthin. Allein drei von vier Preisträgerarbeiten basieren auf dem Internet oder beziehen dieses ein.

Am konsequentesten ist dabei die Arbeit der britischen Künstler Tom Corby und Gavin Baily. Ihre Installation "Reconnoitre" beruht auf einer von den Künstlern entwickelten Software, welche die Wege von Suchvorgängen im weltweiten Netz visualisieren. Beide dringen mit ihrem Projekt in die verborgenen Prozesse innerhalb und zwischen den Suchmaschinen ein. Die Visualisierung des Datenflusses ähnelt den berühmten "Wolken", den scheinbar chaotischen neuronalen Prozessen.

Das Stuttgarter Institut für Kommunikation und Gehirnforschung wird zur COMTEC art '99 Veranstaltungen zur computergestützten Analyse und Behebung von Lernschwächen bei Kindern anbieten. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen dabei Wechselwirkungen zwischen menschlicher Wahrnehmung, Hirntätigkeit und kommunikativem Verhalten.

Mit all diesen Aktivitäten zielt die COMTEC art auf ein genre- und disziplinübergreifendes Kunstverständnis - ein Kunstverständnis, welches den Computer nicht nur als Werkzeug, sondern als ein Medium zur Integration menschlicher Möglichkeiten versteht.

So gesehen ist die COMTEC art ein regional wie international wirkender Impuls für eine ganzheitliche, disziplin- und ressortüberschreitende Wahrnehmung. Vielleicht ist es genau dieser Impuls, an dem sich das gewachsene Engagement der Sponsoren aus der Wirtschaft orientiert. Allen Unternehmen, die ganz wesentlich zum Gelingen der COMTEC art '99 beigetragen haben, möchte ich für ihre großzügige Unterstützung danken.

Mein besonderer Dank gilt der Jury, allen Kooperationspartnern und Helfern.

Dr. Klaus Nicolai Vorwort (aus dem Katalog)

Katalog: in deutscher/englischer Sprache mit zahlreichen Abbildungen, 224 Seiten

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COMTEC art '99
Orte: Kunst Haus Dresden; Neue Messe Dresden

mit Joachim Blank & Karl Heinz Jeron, Tom Corby & Gavin Baily, Reinhart Büttner, Merce Cunningham, Harald Finke, Nikolaus Heyduck, Marion Elisabeth Schebesta, Hans Scheirl, Igor Stromajer, Robert Wechsler ...