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Corinna Schnitt “Futures”
06.09.2019 - 19.10.2019

Wir freuen uns sehr, in unserer kommenden Ausstellung Futures Werke von Corinna Schnitt zeigen zu können, die sich sämtlich dem titelgebenden Thema widmen. Es sind u.a. drei Filme aus den Jahren 2003 (Das nächste Mal), 2004 (Living a Beautiful Life) und 2015 (Vollendete Zukunft). Sie zeigen, wie nachhaltig Schnitt sich mit "Zukunft" in ihrem Œuvre auseinandersetzt. Alle Arbeiten führen uns eine mögliche oder gewünschte oder erlebte Zukunft vor Augen. Dem Film Vollendete Zukunft geben wir durch seine großformatige Projektion in unserem unteren Ausstellungsraum erstmals ein angemes- senes Forum. Für Vollendete Zukunft hat Schnitt eine Drohne über und um das Rathaus in Marl, das mit seinem Skulpturenmuseum Glaskasten Satellit bei Skulptur Projekte Münster 2017 war, fliegen lassen. Eine Kamera filmt das einstmals utopisch angelegte, aber inzwi- schen heruntergekommene Gebäude, das also selbst eine "vergangene Zukunft" verkör- pert. Zufällig anwesende Personen unterschiedlichen Geschlechts und Alters kommen ins Bild, ebenso wie acht von Schnitt eingesetzte Protagonisten, die sich mit Megapho- nen Sentenzen zuzurufen scheinen. Diese Sätze, die in der im deutschen Sprachgebrauch längst ungewöhnlichen Zeitform Futur 2 gesprochen werden, sind in Voiceover über die Szene gelegt. Dabei werden die das Megaphon haltenden Schauspieler nie sprechend ge- zeigt, und ihre Stimmen korrespondieren nicht mit den Bildern. Durch diesen Kunstgriff verallgemeinert Schnitt die getroffenen Aussagen: Sie gelten für alle, die den Film sehen, ebenso für diejenigen, die in Marl mit Megaphonen auf dem Rathausplatz stehen oder dort als Passanten zufälligerweise anwesend sind. Bei genauem Hinsehen und -hören wird schnell deutlich, daß viele Sätze aber präzise auf eine filmische Situation bezogen sind. So wird etwa von einem Lottogewinn gesprochen, während die Kamera einen hässlichen Häuserblock filmt. Oder es heißt, „Du wirst sehr glücklich gewesen sein“, während eine Gruppe älterer Menschen mit dem Rollator vor- beizieht. Einer auf dem Platz abhängenden Gruppe Jugendlicher verheißt die Stimme: „Du wirst sehr erfolgreich gewesen sein“ und „Du wirst in großen Häusern gewohnt ha- ben". Gegen Ende des Films folgt eine Art möglicher Lebensrückblick: "Bis zum Ende werden wir alle sehr glücklich gewesen sein", "Es wird ein langes, erfülltes Leben gewe- sen sein", während wir eine junge Mutter sehen, die ihre Kinder auf einem Spielplatz be- aufsichtigt. Sie wissen noch nicht, daß sie eines Tages zurückblicken werden. Solche be- wegenden Formulierungen, die sich auch als Memento Mori verstehen lassen, werden mitunter ironisch aufgelockert. So wird die Feststellung: "Sie werden wieder nur über Belanglosigkeiten geredet haben" durch einen Reigen von Fragen zum Essen, wie "Was wird die Mutter gekocht haben?" unterbrochen. Während Vollendete Zukunft uns Möglichkeiten aufzeigt, wie wir in Zukunft über unsere Leben denken könnten, wird in unserem zweiten Film, Das nächste Mal, die unmittelbare Zukunft der beiden Kinder, die hier nun Protagonisten sind, thematisiert. Noch sind sie für den Dialog, den sie führen, zu jung; die Diskrepanz zwischen ihren jungen, kurz vor der Pubertät stehenden Körpern und Stimmen zu den vorgetragenen Texten ist of- fensichtlich. Aber die klischeehafte Beziehung, die sich in diesen Texten spiegelt, droht den Kindern bereits; sie guckt gewissermaßen schon um die Ecke. Das Szenario spielt, wie sich gegen Ende des Filmes zeigt, im Rahmen einer überzivilisierten Welt, nämlich auf einer riesigen, begrünten Verkehrsinsel in Eindhoven. Im Grunde ist das derselbe städtebauliche Kontext, wie er in Vollendete Zukunft aus der Rücksicht geschildert wird. Schnitt schafft so ein in spießige Klischees gebettetes regelrechtes Horrorszenario, dem die Kinder "ausgesetzt sein werden". Ganz anders geht es den Protagonisten von Living a Beautiful Life, dem dritten Film un- serer Ausstellung. Hier sehen wir einem erfolgreichen US-amerikanischen weißen Ehe- paar dabei zu, wie es sein Leben und die gemeinsam errungenen Erfolge genießt und preist. Der Film hätte auch As Good As It Gets genannt werden können, so fabelhaft ist die geschilderte Situation. Aber: die Szene ist gestellt. Schauspieler sprechen ein von Corinna Schnitt verfasstes Skript. Es beruht auf den Antworten von Teenagern aus Los Angeles, die sie ihr auf die Frage nach ihren Vorstellungen, Träumen und Wünschen be- züglich ihrer eigenen Zukunft gegeben haben. Mit diesem Wissen wirkt der vermeintli- che Erfolg des Ehepaares und seiner konsumorientierten Sicht auf die Welt eher irritie- rend, ja beängstigend. Schnitt hat solche Statements von Jugendlichen sowohl in Los Angeles, als auch in Köln gesammelt und wir werden davon eine Auswahl von 20 zeigen. Dabei ist bemerkenswert, daß sich die Statements der Jugendlichen aus Köln nicht so sehr von denen ihrer kalifor- nischen Altersgenossen unterscheiden. Am Ende der Ausstellung erscheint ein Künstler- buch mit Faksimiles solcher Statements.