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Die Epoche von Barock und Rokoko verbindet man gemeinhin mit prunkvoller höfischer Festkultur, spielerischer, koketter Erotik, Maskerade und Rollenspiel. Hinter aller Freizügigkeit steht jedoch keine ungezwungene Natürlichkeit, sondern ein hochartifizielles System von Ritualen, Codes und Gesten. Es ist kein Zufall, dass das Barock auch ein Zeitalter großer Mathematiker war, zudem geprägt von der Faszination für mechanische Maschinen und die Bewegung, die diese künstlich erzeugen konnten.

Barocke Plastiken sind oft von einem Bewegungsdrang beseelt, der die Festigkeit des Holzes oder des Marmors zu transzendieren scheint. Die Skulpturen in den Gärten und Parks des Rokoko verharren auf ewig in exaltierten Posen, die ein lebender Mensch kaum wenige Minuten einhalten könnte. Ähnliches gilt für eine Serie farbig gefasster, von der Frontalität und Statuarik vieler ihrer früheren Werke stark abweichenden Figuren Pia Stadtbäumers. Auch wenn keine direkten kunsthistorische Vorbilder vorliegen, glaubt man, Gestalten aus Bildern von Watteau, Boucher oder Fragonard wieder zu erkennen. Dort sind meist junge Frauen oder Männer miteinander oder mit sich selbst beschäftigt, bilden eine eigene Sphäre, in die wir Betrachter einen heimlichen Blick werfen dürfen. Die Gesten und Posen, die im frivolen Spiel immer wieder aufeinander antworten, finden wir auch bei Pia Stadtbäumers Figuren. Doch hier fehlt ihnen das Gegenüber, die Gesten gehen ins Leere. Der „Guitarman“ spielt Luftgitarre. Die stark unterlebensgroßen Skulpturen tragen die Namen ihrer heutigen Modelle, und ihr fast an Wachsfiguren erinnernder Naturalismus trägt die Züge unserer Zeit. Die kokette Selbstbespiegelung ist stillgestellt. Der Spiegel, dem „Barbara“ ihr Hinterteil vorführt, ist schwarz.

Spiegel, die in Schlössern die Räume unendlich erscheinen lassen, könnten auch als Symbol des Barock gelten, dessen Komplexität Richard Alewyn in seinem wunderbaren Buch über die höfischen Feste auf den Punkt eines einfachen Gleichnisses bringt: Die Welt ist ein Theater. Und in eine Art Theateraufführung führt uns auch Corinna Schnitt mit einem Film, den sie 2002 in „Schloss Solitude“ gedreht hat. Das in den 1760er Jahren errichtete Jagdschloss im Westen Stuttgarts beherbergt heute Gastateliers für Künstler und eine Sommerakademie. Durch die Rokokoräume schreitet eine historisch gekleidete höfische Dame, die sich im Spiegel betrachtet und dabei in monotoner, mechanischer Wiederholung den Satz „Ich bin was Besond’res“ singt. Antworten tut ein Chor, der sich, wenn die ungeschnittene Kamerafahrt den Blick auf die Vortreppe freigibt, als heutiger Polizeichor entpuppt. Radikal bricht die Gegenwart in die zunächst geschlossen historische Inszenierung ein. Auf die subjektive Selbstbespiegelung antwortet eine objektive Instanz der Staatsgewalt.

Hinter aller Lebensfreude stehen nicht nur Machtstrukturen, sondern auch die grundsätzliche Vergänglichkeit des Daseins. Daran erinnert vor allem die im 17. Jahrhundert zu ihrer Blüte gekommene Stillebenkunst. Pia Stadtbäumers „Hasenkopf“, eine Steinzeugterrine, erinnert an die Tierköpfe, die man auf niederländischen Stilleben des 17. Jahrhunderts häufig findet. Wie auf solch einem Gemälde hat Corinna Schnitt Porzellangeschirr, Blumen und Früchte in ihrem Film „Hänschen Klein“ inszeniert. Das Arrangement steht jedoch nicht in einem reich ausgestatteten bürgerlichen Interieur, sondern auf einem Terrassentisch in der minimalistischen Eleganz einer betont schmucklosen Neubausiedlung. Eine Wippe neben dem Gehweg wirkt wie Kunst am Bau, ein Kind scheint sich noch nicht hierher verirrt zu haben. Alles wirkt so unbenutzt und künstlich wie auf einer Bühne. Corinna Schnitt hat schon in vielen anderen Filmen gezeigt, dass sich auf der Bühne des heutigen Alltagslebens ähnlich viele Perspektiven entdecken lassen wie im Spiegelkabinett des barocken Theaters.

Ludwig Seyfarth

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Corinna Schnitt und Pia Stadtbäumer
Hof halten
Video und Skulptur