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Eröffnung: 7. Mai 2008, 20 Uhr

Im Rahmen des Kulturprogramms zur 9. UN-Naturschutzkonferenz „Biologische Vielfalt“ (Convention of Biological Diversity CBD) 2008 in Bonn und in Kooperation mit den Botanischen Gärten der Universität Bonn Mit der realen Weltsicht um 1500 eröffneten sich für die Künstler ganz neue Bildthemen innerhalb der europäischen Malerei. Die exakte Darstellung von Pflanzen und Tieren emanzipierte sich zu einer eigenen Gattung innerhalb der Aquarellmalerei. Albrecht Dürer (1471 - 1528) hat mit seinem bekannten Aquarell „Großes Rasenstück“ (1503) einen kleinen Kosmos geschaffen, in dem Schafgarbe, Wegerich, Löwenzahn und Rispengräser aufeinandertreffen. Für ihre künstlerische Arbeit “Grassoden“ erhielt Cornelia Genschow 2001 den Lucas – Cranach – Preis der Stadt Kronach. Grasbüschel ersetzten den Pinsel und peitschten die halbflüssige Ölfarbe auf die Leinwand. Erst im Bild kam das gestische Arbeiten zur Ruhe. Inzwischen hat sich Genschows künstlerisches Werk weiterentwickelt, wobei sich die Beobachtung der Natur und deren künstlerische Umsetzung wie ein roter Faden durch ihr Werk ziehen. Wenn die konzeptionelle Arbeit während einer Werkphase ausgereift ist, folgt sorgfältige Recherche, erst dann eine Fortführung in anderen Medien wie Malerei, Zeichnung und Fotografie sowie neuerdings auch Graffito.

Der Bonner Rauminstallation „Streuner“ gehen kleinere Projekte seit 2006 voraus, in denen Genschow die Arbeitsprozesse vom Auffinden der Gräser bis zur Herstellung von Graffitos an ausgesuchten Orten erprobte. Im aktuellen Projekt des Kunstmuseums durchdringen sich Ästhetik und biologische Recherche: So konnte Genschow mit Unterstützung der Botanischen Gärten in Bonn 100 Schablonen nach den verschiedenen Grasspezies aus den sogenannten Versuchsfeldern der Universität anfertigen. Die Künstlerin steuert den prozessualen Vorgang via Fotografie, Bildbearbeitung und vergrößerter Kopie. Die Schablonen werden durch eigenhändiges Abzeichnen und das Ausschneiden der Grasumrisse mit dem Skalpell entwickelt und haben schon Unikatcharakter. Erst kurz vor der Ausstellungseröffnung werden die Schattenrisse der Gräser dann mittels der Schablonen und gemäß konzeptioneller Vorstellungen der Künstlerin auf die Wände des Kunstmuseums gesprüht.

Die schwarzen Graffitos auf neutralem Grund werden Assoziationen vergrößerter Scherenschnitte wecken, wie wir sie aus der Kunst der Romantik bei Philipp Otto Runge (1777-1810) kennen. In späteren Jahren ließ Runge vor allem Blumen und ornamentale Pflanzengebilde entstehen, die unmittelbarer Ausdruck seines bildnerischen Denkens waren. Runge soll die Schere als Verlängerung seiner Finger empfunden haben. Dass der Scherenschnitt in der Kunst der Gegenwart mit Kara Walker (*1969, lebt in New York) eine visuelle Vieldeutigkeit erreicht hat, zeigen ihre Darstellungen der Südstaaten-Geschichte der Afroamerikaner, die sie mit ihrer eigenen vermengt. 2006/2007 war ihre Rauminstallation „Aufstand!“ (2000) mit einem Teil der Guggenheim Sammlung im Kunstmuseum zu sehen. Die zusätzliche farbige Lichtprojektion bezog den Betrachter der „schwarzen“ Bildgeschichten als Schatten mit ein. Zurück zur Installation von Cornelia Genschow: Es werden nun nicht mehr vereinzelte Gräserexemplare (Streuner) - wie im Juli 2006 im Stadtbild von Celje/Slowenien - auf Häuserwände oder Brückenpfeiler gesprüht, die damals Teil der Stadtidentität wurden. Vielmehr arbeitete die Künstlerin zur Blütezeit der Gräser im Sommer 2007 systematisch in den Versuchsfeldern der Botanischen Gärten und in ihrem Atelier. Dazu gehörte Ausgraben, Bestimmen, Notieren, Transportieren, Fotografieren, Kopieren/Vergrößern, Zeichnen, Schablonen schneiden, Sprühen von Graffitos für die Fotodokumentation, usw.

Im Kunstmuseum werden die einzelnen Gräser auf drei Wände und in zwei Reihen übereinander gesprüht. Also nicht in einer „dramatischen“ Inszenierung, sondern erhaben und gleichberechtigt immer im gleichen, lockeren Abstand. Die Anordnung mutet enzyklopädisch an, und die Wahrnehmung vom Schwebezustand der Gräser-Graffitos wird verstärkt durch das helle Graugrün des Fonds. Genschow sprüht einige wenige Gräser, die vor dem Aussterben bedroht sind, mit Pink. Dies ist einerseits als ein deutliches Bekenntnis zur biologischen Vielfalt zu verstehen, andererseits aber auch eine Möglichkeit, in der Reihung bildnerische Akzente zu setzen. Auf der vierten Wand finden wir die Namen der Gräser in deutscher und lateinischer Sprache, dies nicht nur aus Gründen der Taxonomie, sondern auch um den Reichtum der Sprache in der Bestimmung der Pflanze aufzuzeigen. In einem Plastikwürfel sind die Samen der 100 Gräser aufbewahrt, die in nuce alle Gräser enthalten. Dies ist die andere Seite einer künstlerischen Bewältigung des selbstgestellten Themas „Streuner“ /“Tramps“.

Kuratorin: Dr. Irene Kleinschmidt-Altpeter

Rahmenprogramm: 24. Mai, 2008, 15 Uhr Dorothea Lamertz - Führung 25. Mai 2008, 11 Uhr Künstlergespräch Cornelia Genschow und Dr. Irene Kleinschmidt-Altpeter 7. Juni 2008, 15 Uhr Gottfried Bertram - Führung 8. Juni 2008, 11 Uhr Susanne Grube - Führung

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Cornelia Genschow
STREUNER / TRAMPS
Rauminstallation

Kuratorin: Irene Kleinschmidt-Altpeter