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Das Unheimliche entzieht sich eindeutiger Definition. Was als unheimlich empfunden wird hängt von individueller Wahrnehmung ab und wird zudem vom jeweiligen sozial- wie technikhistorischen Kontext bestimmt. Das Unheimliche bleibt im Verborgenen, wird nicht dargestellt, doch immer wieder neu hervorgerufen durch Bilder und Bewegungen, durch Motive oder formale Aspekte, die Vertrautes ins Unkenntliche und zugleich Erinnerbare verwandeln, die bekannte Sicherheiten in Ambivalenzen aufzulösen scheinen. Die „gefährliche Vibration des Heimlichen“ (Hélène Cixous) drängt an die Oberfläche des Bewusstseins und ein bereits überwundenes animistisches, ja primitives Denken widersetzt sich einer materiellen Realitätsprüfung. Neue Gewissheiten werden immer wieder von der Rückkehr alter irrationaler Überzeugungen überflutet.

Es scheint, als würde die Wahrnehmung dargestellte und vertraute Wirklichkeiten überschreiten, in Hinblick auf eine vermutete Realität hinter den gezeigten Bildern. Im Unheimlichen werden die irrationalen Konsequenzen fortschreitender technologischer Aufklärung wahrnehmbar. Denn was beispielsweise ein Bildschirm eröffnet, scheint doch nur Ausschnitt und Teil von etwas zu sein, „das endlos in das Universum hinausreichen kann“ (André Bazin) und intellektuelle Verunsicherung auszulösen vermag. Medien erzeugen ihre Ausdehnungen mit den Mitteln der Fiktion – imaginierte Gesichter, körperlose Stimmen, virtuelle Architekturen, verlebendigte Gegenstände. In diesen Vorstellungsräumen handeln wir, stellen Kontakte her, knüpfen Beziehungen, treffen Entscheidungen, entwickeln Emotionen oder verausgaben uns – real.

Der Selbstentwurf, den wir einer medialen Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, verdankt sich ausgewählten Informationen, die jedoch fragmentarisch bleiben und sich den technischen Gegebenheiten unterwerfen. Keine konkrete Person tritt einem gegenüber, man spiegelt sich auch nicht in der unmittelbaren Aufmerksamkeit der anderen. Personen zerfallen in ihre Mitteilungen und Fotografien, individuelle Charaktere sind zu erschließen über ihre Vorlieben und Abneigungen, soziale Zugehörigkeiten lassen sich über Netzwerk und Nachfrage verfolgen. Wer sich in den medialen Raum hinausbegibt, wer dort lebt und handelt, kann nicht auf unmittelbarer Kommunikation aufbauen, kann sich nicht in der direkten Wahrnehmung der „relevant others“ narzisstisch wiederfinden. Vielmehr projizieren wir Fragmente unseres Ichs in einen technischen Kosmos, spalten es regelrecht ab und pflegen sein virtuelles Überleben und zugleich die unbewusste Gewissheit eigener Unsterblichkeit. So können wir uns gewissermaßen selbst begegnen, wobei sich unsere selbst erzeugten Doppelgänger schon längst von unserem eigenen und vertrauten Spiegelbild unterscheiden und verselbstständigt haben.

Wir sind mit Stellvertretern konfrontiert, die uns vertraut und dabei dennoch fremd geworden sind, die wir wohl kennen und doch haben sie nie zuvor so ausgesehen. Die medialen Doppelgänger sind bloß die Erscheinung technischer Möglichkeiten, sie dokumentieren weder Wahrhaftigkeit noch Authentizität und begegnen uns in den Masken unheimlicher Wiedergänger, die möglicherweise Geheimnisse preisgeben, Intimes offenlegen, Obsessionen, andere verborgene Wünsche oder Ängste enthüllen mögen oder uns auf einige Grundfunktionen maschinengleich reduzieren. Heimliches soll verborgen bleiben und doch ist unser Bedürfnis nach Kommunikation auch von dem tiefen Wunsch getragen, umfassend erkannt, wahrgenommen und verstanden werden zu wollen.

In diesen Doppelgängern findet sich auch die verdrängte Angst vor der Wiederkehr der Toten wieder, die nicht endgültig verschwinden. Die nicht begrenzbaren Orte unserer Vorstellung lassen Raum für die Geister und Wiedergänger, die uns gleichsam als verdrängte Vorboten des Todes heimsuchen. Diese Geister erschrecken nicht als ewig Untote in Leintüchern oder herabhängenden Fleischfetzen, auf nächtlichen Friedhöfen oder entlegenen Herrensitzen. Ihre Schatten und Schemen begegnen uns vielmehr in den Lücken und der Leere heimeliger Umgebungen, in deren reale Koordinaten wir uns vor dem Netz zurückziehen und von deren sicheren Terrains aus wir zu agieren vermeinen. Kurzum: Das Unheimliche zeigt sich „am Rande von etwas anderem“ (Hélène Cixous) wie beispielsweise - als Blick aus Augen, die aus einem fremden Gesicht, einem ihnen nicht mehr zugehörigen Körper blicken, - als Schatten, die sich verselbstständigt haben, - als Körperteile, die nicht mehr von Willen und Bewusstsein kontrolliert sind, - als Gegenstände, die verwechselbare Eigenschaften des Lebendigen annehmen, - als Schnittstellen, die in und nicht aus dem realen Raum führen, - als Spiegelbilder, in denen man sich nicht mehr wiedererkennt, - oder nicht zuletzt als virtuelle Doppelgänger und irre Fragmente, die all ihre Verletzlichkeit preisgeben.

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Das Digitale Unheimliche
Kuratorin: Brigitte Felderer
Künstler: Peter Campus, Cordula Ditz, Bogomir Doringer, Torsten Lauschmann, Bjørn Melhus, David Moises, Bernd Oppl, Liddy Scheffknecht, Gillian Wearing