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Eröffnung: Freitag, 28. August 2009, 18 Uhr (anschliessend Sommerfest im Hof)

Performances & Videos von Cory Arcangel, Jessica Ciocci, Jacob Ciocci, Shana Moulton, Ryan Trecartin: Samstag, 5. September 2009, 19–23 Uhr

Die Ausstellung bringt unter dem Titel DETERIORATION, THEY SAID die amerikanischen Künstler – Cory Arcangel, Jessica Ciocci & Jacob Ciocci / Paper Rad, Shana Moulton sowie Ryan Trecartin & Lizzie Fitch – zusammen, die im migros museum für gegenwartskunst je ein Einzelprojekt präsentieren werden. In ihren Arbeiten schaffen diese Kunstschaffenden allesamt eine übersteigerte, farbgeladene Ästhetik, die mit ihrer exzessiven Zeichendichte auf den konsumorientierten Zustand der westlichen Gesellschaft reagiert. Die vier Positionen befassen sich in ihren Bildräumen mit einer Kultur des Überschusses, formulieren ihre Kritik durch eine Form der Aneignung und lösen gleichzeitig eine wahre Bilderflut aus. In der Tradition des Experimentalfilms und der «Scatter Art» werden mögliche unkonventionelle Erzählmuster sowie die Auflösung von Stereotypen untersucht. Die Videoarbeiten werden dabei oftmals in skulpturalen Settings gezeigt, in welchen populärkulturelle Splitter mit handgefertigten Formen zu einem «intermedialen Gesamtkunstwerk» amalgamiert werden.

Die Arbeiten von Cory Arcangel (*1978 in Buffalo) thematisieren oftmals das scheinbar Obsolete. Die künstlerischen Arbeiten, die daraus entstehen, kennen keine medialen Grenzen – dazu gehören Videoinstallationen mit veralteten Heimcomputer-Spielsystemen, Videos mit einer Low-Tech-Ästhetik, Performances oder Computerprogramme. In der Ausstellung wird er seine Videoarbeit A Couple Thousand Short Films about Glenn Gould (2007) erstmals in der Schweiz präsentieren. Für diese benutzt der Künstler zwei sich konträr verhaltende Ausgangspunkte, die er miteinander korrelieren lässt. Einerseits handelt es sich um die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach aus dem Jahr 1741 – die zum Standardrepertoire jedes Konzertpianisten zählen –, andererseits das Phänomen der unzähligen YouTube-Videos, die Amateurmusiker beim Spielen zeigen. Arcangel arrangierte den ersten Satz der Goldberg-Variationen neu und (audio)visualisierte die Komposition anhand von YouTube-Videos, die er neu schnitt. In Arcangels Version wird pro Note jeweils ein Video eingesetzt. Die Doppelprojektion – stellvertretend für die Akkolade beim Klavier – wird so zu einem hysterischen Kaleidoskop verschiedenster Musikinstrumente und -praktiken, die in der Tradition eines Flicker-Experimentalfilms das Hirn einer visuellen Reizüberflutung aussetzen.

Mit Humor untersucht die Künstlerin Shana Moulton (*1976 in Kalifornien) in ihren Videos und Performances die Wechselwirkung einer populären Kultur, geprägt von Konsum und kommerzialisierten New-Age-Philosophien, sowie einer «elitären» Kultur, veranschaulicht etwa durch den Spiritualismus eines Mondrian und den späteren Arbeiten Georgia O’Keeffes, die in New Mexico entstanden. Die psychedelischen Low-Tech-Videos, die an die späten 1970er und 1980er Jahre erinnern, aber auch wichtige Vertreter der früheren Filmgeschichte wie Maya Derens Filme zeigen eine ständige «Migration der Form(en)» – also Formen, die zwischen «high» und «low» oszillieren. In der Rolle der Cynthia – ein Alter Ego der Künstlerin –, einer hypochondrischen, gelangweilten Hausfrau, sucht die Figur in den als Serie angelegten surrealistischen Videos Whispering Pines (2002 bis heute) stets erneut in der häuslichen Konsumwelt die Erlösung, die immer wieder scheitert. In der Ausstellung werden die Videos in einem skulpturalen Setting präsentiert.

Das Label Paper Rad, das im Jahr 2000 von Jessica Ciocci (1976 in Lexington, Kentucky), Jacob Ciocci (1976 in Lexington, Kentucky) und Ben Jones (*1977 in Pittsburgh, Pennsylvania) gegründet wurde, verwendet die verschiedensten Medien wie Video, Zeichnung, Wandmalerei und vermischt Kunstsparten wie Mode und Fotografie. Paper Rad setzt sich – sowohl kollektiv als auch individuell – zu einem multimedialen Gesamtunternehmen zusammen. Paper Rad ist nicht nur im Kunstraum tätig, sondern infiltriert auch den Cyberspace. Ebenso arbeitet Paper Rad immer wieder mit anderen Künstlern zusammen. In den Videos – viele stammen von Jacob Ciocci – werden oft TV-Film-Mitschnitte mit selber gezeichneten Comics und Animationstricks zu schnell geschnittenen, halluzinatorischen Höhenfahrten montiert, die als Kommentar auf die heutige Medienwelt gelesen werden können. Die Mandala-artigen, regenbogenfarbigen Neo-Geo-Zeichnungen von Jessica Ciocci reflektieren in ihrer Mischung aus «Überschuss» und «Monotonie» unmittelbar die heutige Konsum- und Jugendkultur. In Paper Rads komplexen Rauminszenierungen verschmelzen immer wieder individuelle Arbeiten mit solchen, die kollektiv entstanden sind, und bilden einen verführerischen, aber auch trügerischen «Teppich», hinter dem die Abgründe einer konsum- und medienverseuchten Welt liegen.

Die Skulpturen von Ryan Trecartin (1981 in Webster, Texas) und Lizzie Fitch (1981 in Bloomington, Indiana) zeichnen sich auf den ersten Blick einerseits durch ihre Fragilität und Kleinteiligkeit, andererseits durch ihre farbenfrohe, formverspielte und narrative Plakativität aus. In der Skulptur Choice Shopping (2006) streckt etwa eine Figur mit kürbishaftem Kopf ihre Hand nach einer – an Hans Bellmers Puppen erinnernde – anthropomorphe Strumpffigur aus und berührt diese knapp. Beim genaueren Hinsehen wird sichtbar, dass die Geste der Zuneigung die Spannung des Gewebes, das mit Konsumgütern gefüllt ist, zur Folge hat. Die Geste der Zuneigung hin zum Konsum wird zur den Körper definierenden Instanz. Für ihre Skulpturen, die mit den unterschiedlichsten Techniken und Materialien entstehen, wovon eine der wichtigsten das Pappmaché darstellt, kollaborieren Trecartin und Fitch für ihre Skulpturen oftmals mit weiteren Künstlern. Die Herstellung von Pappmaché ist nicht nur eine einfache und kostengünstige Methode, einen skulpturalen Körper aufzubauen, sondern erinnert auch an Kindheitserfahrungen, wobei man mittels dieser Technik Masken und Kostüme bastelte. Die Skulpturen dienen des Öfteren auch als Props und Bühnenbilder für Trecartins Filme.