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Thema der Ausstellung ist die Entstehung und Entwicklung des Nachtbildes in der abendländischen Malerei vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Dabei stehen nicht die allegorischen Personifikationen, wie sie für die Nachtdarstellungen vor der Renaissance typisch sind, im Zentrum, sondern Bilder nächtlichen Geschehens. Die Entstehung des Nachtbildes muß im Zusammenhang mit der malerischen Erschließung von Bildraum und Bildlicht in der frühen Neuzeit gesehen werden. Denn der Raum nächtlicher Finsternis wird allein durch die Einbeziehung von Lichtquellen, die das Geschehen im Dunkel beleuchten, darstellungsmöglich. Insofern ist die Nacht nicht nur ein Thema der Mentalitäts- und Technikgeschichte, das existentielle menschliche Belange berührt, sondern auch ein genuines Thema der Kunstgeschichte. Denn gerade aufgrund der Abwesenheit des Lichtes muß die Darstellung der Nacht die Malerei herausfordern, deren eigentliche Domäne die Gestaltung von Farbe und Licht ist.

Als Nachtstücke gelten Bilder, deren Raum und Gegenstände allein von nächtlichen Himmelskörpern oder von künstlichen Lichtquellen beleuchtet werden. Natürliche (Mond, Sterne) und künstliche (Feuer, Fackeln, Kerzen, Lampen) Lichtquellen können, vor allem in Bildern mit christlichen Themen, auch durch ein sakrales Licht (Glorienschein, himmlisches Licht) oder Lichtstrahlen ohne bestimmbare Quelle ersetzt werden.

Anfänge der Nachtmalerei

Als frühestes Nachtbild gilt das zerstörte Gemälde Geburt Christi um 1475 von Hugo van der Goes. Nach Erwin Panofsky gilt es als das erste "nocturne absolute". In der Ausstellung ist es durch eine Kopie von Michel Sittow vertreten. Neben diesem zeigt das frühe Werk Geburt Christi von Geertgen tot Sint Jans aus Barcelona, wie in Nachtstücken zum ersten Mal ein Bildlicht von der Lichtquelle ausstrahlt, das die in der Finsternis der Nacht verborgenen Gestalten und Gegenstände erleuchtet.

Im Anschluß an diese Gründungswerke entwickeln sich vor allem in der niederländischen und italienischen Malerei im 16. Jahrhundert ganze Nachtbildschulen. Ihre bevorzugten Bildmotive entnehmen sie vor allem den biblischen Themen, die eine nächtliche Darstellung nahelegen. Als hervorragende Nachtbildmaler wurden in Italien schon zu Lebzeiten Künstler wie Giovanni Savoldo, Luca Cambiaso sowie Jacopo und Francesco Bassano geschätzt.

Bedeutende Nachtbilder, die dem Einbruch des Lichtscheins in die tiefe, alles verhüllende Finsternis eine dramatische Dimension und seelischen Ausdruck verleihen, haben seit Anfang des 16. Jahrhunderts auch Adam Elsheimer und Caravaggio geschaffen. Sie leiten die Entwicklung des barocken Nachtstücks ein, das einen Höhepunkt in der Geschichte der Nachtmalerei darstellt.

Kerzenlichtbilder und Genredarstellungen

Nach der Einführung des Kerzenlichtes durch Correggios Gemälde Judith und Holofernes (um 1513) und El Grecos Darstellungen eines Knaben mit brennender Kerze (1570/75) waren es vor allem Trophîme Bigot sowie der in Italien lebende Matthias Stomer und die niederländischen Maler Gerrit van Honthorst, Hendrick Terbrugghen, Gerard Seghers, Jan Lievens, Gerrit Dou und Godfried Schalcken, die das eigenständige Genre der Kerzenlichtmalerei begründet. Einen ganz eigenständigen Beitrag zur Kerzenlichtmalerei, von atmosphärischer Intimität und formaler Strenge, lieferte Georges de La Tour, dessen bedeutendes Werk von seinem Sohn Etienne de La Tour fortgesetzt wurde.

Nächtliche Bildräume, ausschnittweise erleuchtet vom Schein der Kerzen, von glühenden Scheiten oder einem Kaminfeuer, führen im 16. Jahrhundert zu einer Erweiterung des Motivrepertoires der Nachtbilder, da diese künstlichen Lichtquellen häufig profane Innenräume oder bürgerliche Wohnräume beleuchten. Neben dem noch biblisch motivierten Verrat Petri (Gerard Seghers), der von den Malern gerne in ein bürgerliches Gruppenbild mit Kartenspielern (Gerrit Dou) abgewandelt wird, erfreuen sich Darstellungen musizierender Tischgesellschaften großer Beliebtheit. Von Dou und anderen Niederländern in der Nachfolge von Rembrandt gibt es Atelierdarstellungen, Schulbilder und Werkstattszenen, in denen das nächtliche Dunkel grenzenlos scheinender Innenräume nur punktuell von einer spärlichen Flamme erleuchtet wird, dergestalt die Verlassenheit oder umgekehrt die Geborgenheit des Menschen sichtbar machend.

Nächtliche Katastrophen

Im 16. und vor allem im 17. Jahrhundert werden zunehmend mythologische Stoffe und Katastrophen als Nachtstücke in Szene gesetzt. Wie bei den biblischen werden auch bei diesen Themenkreisen die mythologischen Motive allmählich durch profane erweitert und abgelöst. Nächtliche Feuersbrünste stellen nach Hieronymus Bosch im 16. Jahrhundert Jan Brueghel d. Ä. und Pieter Schoubroeck u.a. in der Versuchung des Hl. Antonius dar. Bald danach wird das Katastrophenszenario auch auf andere Bildstoffe wie der Brand Trojas (Jan Brueghel d. Ä.) übertragen. Schließlich nehmen die vormals nur im Bildhintergrund lokalisierten Weltuntergangsszenen den gesamten Bildraum ein, sie erleuchten in Gestalt brennender Städte, feuerspeiender Vulkane (Michael Wutky) die schwarze Nacht grausig hell. Auch Sintflut (Adam Elsheimer) und Schiffbruch (Frederick van Valckenborch) verlegen die Maler seit dem 16. Jahrhundert gerne in ein nächtliches Ambiente. Die Steigerung des Unheimlichen und Schaurigen zum Grauenvollen vollzieht sich in den Mord- und Blendungsszenen, die mit den Namen Judith und Holofernes (Orazio Gentileschi), Salome und Johannes (Francesco Rustici), Samson und Delila (Jan Lievens) verbunden sind und vorzugsweise in eine von Kerzen oder Fackeln erhellte Nacht verlegt werden. Als Gegenstücke zu diesen Mordszenen auf dem Liebeslager finden die friedlicheren Liebesnächte von Amor und Psyche (Jose Ribera) oder vom Hl. Sebastian und Irene (Georges de La Tour) Aufnahme in die Nachtstücke des 16. bis 18. Jahrhunderts.

Nachtlandschaften

Das eigenständige landschaftliche Nachtstück entwickelt sich, wie die Landschaftsmalerei überhaupt, aus den nächtlichen Hintergrunddarstellungen biblischer Szenen. In Adam Elsheimers Mondscheinlandschaft Flucht nach Ägypten, 1609, tritt zum ersten Mal in der abendländischen Malerei der Mond als eine die nächtliche Bildwelt beherrschende Lichtquelle auf, auch wenn er noch von einem schwächeren Leuchten des Feuers und der Fackeln begleitet wird. Wenig später wird es auch Aert van der Neer mit seinen zahlreichen Mondscheinlandschaften gelingen, den Zauber nächtlicher Stimmung im Landschaftsbild einzufangen. Im 18. Jahrhundert erhalten die Mondscheinbilder in den nächtlichen Meeresansichten Vernets mit ihren mächtigen Segelschiffen und Schiffbruchszenen einen Zug ins Heroische und Erhabene. So bereiten sie die romantischen Landschaftsbilder im Mondschein vor. Bereits im 17. Jahrhundert verleiht Salvator Rosa der Nachtlandschaft mit zerrissenen Konturen und im Mondlicht flackernden Helldunkelkontrasten eine neue, bizarre und unheimliche Note. Aus zerklüfteten Felsen und wilden Abgründen formt dieser Maler seine phantastisch-unheimlichen Nachtlandschaften. Ihre schaurigen Szenen werden nur noch von Alessandro Magnascos grotesken Figurengruppen und wilden Fieberphantasien übertroffen, die seine düsteren, von fahlem Licht durchzuckten Nachtszenen beleben. Seine makabren Nachtbilder mit ihrem von Leidenschaften aufgewühlten Dunkel bilden im frühen 18. Jahrhundert die Ausnahme. Sie wirken wie ein unheilschwangerer Abgesang auf die Nachtbildmalerei, die mit der Renaissance ihren Aufschwung erlebte und im Barock einen Höhepunkt erreichte. Die fortschrittsgläubige Gleichsetzung von Licht und Vernunft ließ das Interesse an Nachtbildern im Zeitalter der Aufklärung rapide schwinden.

Traum und dunkle Visionen

Künstler des Sturm und Drang wie Johann Heinrich Füssli und William Blake, aber auch Francisco Goya und die deutschen Romantiker knüpften sowohl an die schaurigen Nachtdarstellungen als auch an die idyllischen Mondscheinlandschaften ihrer Vorgänger im Barock und Rokoko an. Noch einmal wurde die Nacht zu einem zentralen künstlerischen Thema, das der Helligkeit des aufgeklärten Klassizismus und der Vernunftreligion die dunkle Kehrseite der Nachtgedanken mit ihren Traumvisionen und vieldeutigen Schattengestalten entgegensetzte. Während Blake vor allem die nächtliche Vereinigung von himmlischen und irdischen Kräften in Szene setzt, wird die Nacht bei Füssli zum Schauplatz psychischer Exaltationen und sexueller Erregungen, aber auch körperlicher und seelischer Qualen. Wilde Leidenschaften, Grauen, Gewalt und Tod überwältigen in den Nachtbildern dieser Künstler die Menschen.

Die Nachtbilder der deutschen Romantiker wie Caspar David Friedrich, Gustav Carus und Carl Blechen sind dagegen weniger von solchen Exzessen und Empfindungsekstasen geprägt als vielmehr von einer kontemplativen Haltung angesichts der unendlichen Weite des Sternenhimmels oder der mondbeschienenen Landschaften.

Goyas Nachtbilder entfalten ein Panorama der menschlichen Existenz, das Erhabenes wie Triviales, Grausamkeit, Liebe und Lächerliches in sich vereint. In seiner Nacht geistern sie alle herum, die Mörder ebenso wie die Liebenden, die Hexen, Huren und Heiligen, die visionären Nachtwandler und die prosaischen Nachtwächter. Im neo-romantischen Symbolismus der Jahrhundertwende erfährt das Unheimliche und Bedrohliche der von Goya gezeichneten Schreckensgestalten eine weitere Steigerung bis ins Dämonisch-Phantastische. Am weitesten öffnen die mystischen Nachtgesichte und Visionen Odilon Redons die Pforten zum Unbewußten und zum Traum.

Die Nabis wie Pierre Bonnard und Félix Vallotton bevorzugen im Gegensatz zu Redon so gewöhnliche Orte wie die nächtlichen Straßen von Paris und das bürgerliche Interieur im Lampenschein für die Erzeugung geheimnisvoller Stimmungen. Die von Adolph Menzel entdeckten Bildmotive des Lesers oder eines familiären Kreises beim Schein der Zimmerlampe, eine moderne Wiederaufnahme der Kerzenlichtmalerei früherer Jahrhunderte, werden von den Nabis in Bildern fortgeführt und modifiziert, die zuweilen ans Mystische grenzen.

Surrealisten wie Max Ernst, Joan Miró und René Magritte hingegen beschwören als Nachfahren der Romantiker und Symbolisten noch einmal die nächtlichen Traumwelten mit ihren phantastischen Geschöpfen, erotischen Halluzinationen und irrealen Erscheinungen, bevor die Welt in der Nacht des Zweiten Krieges unterging.

Stadtnächte

Vor allem die zahlreichen Nachtbilder des Norwegers Edvard Munch und des belgischen Symbolisten Spilliaert thematisieren auf ausdrucksstarke Weise die Einsamkeit des modernen Großstadtmenschen.

Die eindringlichsten Ikonen dieser Verlassenheit des Metropolenbewohners hat wohl der Amerikaner Edward Hopper geschaffen, der seine Isolation inmitten der anonymen Massengesellschaft selbst dann nicht zu durchbrechen vermag, wenn er beim nächtlichen Lampenschein in Hotelzimmern oder Bars mit anderen Menschen beisammen ist.

Die Straße tritt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Mittelpunkt des malerischen Interesses. Neben luminaristischen Problemen ist es das Nachtleben, welches das Interesse der Künstler weckt. Ludwig Meidner stellt die Situation in der Großstadt in seinen nächtlichen Apokalyptischen Landschaften dar.

Ernst Ludwig Kirchner, Otto Dix und George Grosz erhellen das nächtliche Treiben in der Großstadt und lassen ihre skurrilen Gestalten in Erscheinung treten. Neben der Einsamkeit des Großstadtbewohners wird der großstädtische Amüsierbetrieb zum drängendsten Thema. Auch für das Unheil des Ersten und Zweiten Weltkriegs schufen Künstler wie Max Beckmann, Otto Dix und George Grosz mit nächtlichen Darstellungen eindrucksvolle Schilderungen.

Diese Themenkreise bleiben für die Nachtbilder der europäischen (Georg Scholz) und amerikanischen Neuen Sachlichkeit (Clarence Carter) der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts relevant.

Alle genannten Künstler sind mit bedeutenden Werken in der Ausstellung vertreten, alle Themenkreise mit repräsentativen Werkgruppen belegt. Diese Themenkreise sind: Das Licht der Welt, Katastrophen, Liebes- und Todesnacht, Makabres, Schlaf- und Traumvisionen, Mondschein, Kerzen- und Lampenlicht, Nächtliche Gesellschaft Feste und Illuminationen, Einsamkeit, Großstadtnächte. Die Ausstellung umfaßt ca 360 Gemälde von ca. 160 Künstlern. Die Werke stammen aus rund 120 internationalen privaten und öffentlichen Sammlungen.

Katalog: Benteli Verlag, Bern, gebundene Ausgabe, ca. 550 Seiten. Mit einern einleitenden Essay von Hubertus Gaßner sowie weiteren wissenschaftlichen Beiträgen u.a. von Erika Billeter, Brigitte Bochhardt-Birbaumer, Elisabeth Bronfen, Gerhard Dohm van Rossum, Stefanie Heraeus, Stephanie Rosenthal, Martina Sitt. Werkkommentare und farbige Abbildungen aller in der Ausstellung gezeigten Werke sowie zahlreiche Vergleichsabbildungen.

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Die Nacht
Das Dunkel ist Licht genug
Nachtbilder der abendländischen Kunst von der Spätgotik bis zum Surrealismus
Kuratoren: Christoph Vitali, Stephanie Rosenthal

Künstler: Max Beckmann, William Blake, Carl Blechen, Hieronymus Bosch, Jan Bruegel der Ältere, Caravaggio , Clarence Carter, Gustav Carus, Correggio, Otto Dix, Gerrit Dou, Adam Elsheimer, Max Ernst, Caspar David Friedrich, Johann Heinrich Füssli, Orazio Gentileschi, Francisco de Goya, El Greco, George Grosz, Gerrit van Honthorst, Edward Hopper, Ernst Ludwig Kirchner, Jan Lievens, Alessandro Magnasco, René Magritte, Ludwig Meidner, Joan Miró, Edvard Munch, Odilon Redon, José de Ribera, Salvator Rosa, Godfried Schalcken, Georg Scholz, Gerard Seghers, Leon Spilliaert, Matthias Stomer, Hendrick Terbrugghen, Etienne de La Tour, Georges de La Tour ...