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DIE STELLE DES SCHNITTS
Renée Green, Thuy-Han Nguyen-Chi, James Richards, Cosey Fanni Tutti 20.04.2018 - 24.06.2018
Eröffnung: Donnerstag, 19.04.2018 19:00 Uhr

Mit Die Stelle des Schnitts zeigt der Kunstverein Nürnberg Arbeiten von Renée Green (1959, Cleveland, OH), Thuy-Han Nguyen-Chi (1988, Reutlingen), James Richards (1983, Cardiff, Wales) und Cosey Fanni Tutti (1951, Kingston upon Hull, GB). Gemeinsam setzen sie den menschlichen Körper mittels akustischer Medien und Sprache in Dialog mit Themen der Geschichte, Biografie und Technologie. Die präsentierten Beiträge behaupten, dass der Körper als Schnittstelle in einer Welt, in der das Digitale immer tiefer in das Leben einsickert, neu auftritt.

Vokalität bindet den inneren Resonanzraum des Körpers an dessen unmittelbare physische Umgebung. Durch das Lagern von Sound auf externen Medien, insbesondere als digitale Datei, verkompliziert sich indes die Resonanz zwischen Körper und Raum über das Unmittelbare hinaus. Damit gerät die Matrix – Körper, Klang, Ort und Medialität – zur konkreten Stelle einer sich immer weiter auffächernden Abstraktion, in der unser bisheriges Verständnis des Körpers und dessen räumlicher Verortung stets verflüssigt und verdichtet wird.

Über Akustik vermitteln die Werke in der Ausstellung das Verhältnis zwischen dem Körper als von Lebenswelten informiertem Ort und dessen neu wahrgenommene, vom Digitalen hervorgebrachte Wandelbarkeit. Die Arbeiten erzählen persönliche Erlebnisse und setzen diese in Verbindung mit der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts oder lassen die Biografien mehrerer Erzähler*innen miteinander verschwimmen. In den Werken geht es um unser Wahrnehmen von Orten und den Verlust dieser Wahrnehmung. Zentral ist dabei die Frage nach den Möglichkeiten individueller Positionierung in einer Zeit, in der digitale Technologien die Wahrnehmung der Welt beständig veränder

Die Künstlerin und Autorin Renée Green ist mit dem Filmessay ED/HF in der Ausstellung vertreten. Der wiederholt eingeblendete, kryptisch anmutende Titel steht für "Extraterritorial Durations/Harun Farocki". Angelegt als filmische Meditation, fließen in der Arbeit die Lebensläufe des vor wenigen Jahren verstorbenen Filmemachers und der Künstlerin ineinander. Das "Ich" der Stimme, die sich über Bild und Sound legt, wurde indes weder von ihm noch von ihr, sondern von dem südafrikanischen Künstler Nolan Oswald Dennis eingesprochen. Jenseits von linearen Narrativen und von in Wörtern fassbarer Wirklichkeit, weist der Film auf verschiedene Leben, für die zu ähnlichen Zeiten und an ähnlichen Orten Migration, Exterritorialität und Ankommen bedeutsam waren: Für Farocki ist dies unter anderem das Deutschland zwischen Nachkriegszeit und Wiedervereinigung, für Green das Köln der frühen 1990er Jahre. Über die Benennung von Medialität verwandeln sich dabei filmische Begriffe wie "Montage, Edit, Combine" zu Chiffren dafür, sich in der Welt zu begegnen; Schnittstelle und Schneideraum verkörperlichen sich zu Orten visionärer Subjektivität.

Die 6-Kanal-Soundinstallation Crumb Mahogany des Künstlers James Richards besteht aus einem über die Lautsprecher verteilten Musikstück, in dem sich unterschiedliche Melodien mit der Akustik realer Räume vermischen. Zentral für dieses Werk ist das Verhältnis der Stimme zu Medien und deren Übergang von analogen Tonträgern in das Digitale. Mehrere Soundelemente werden von Effekten überlagert, welche der digitalen Installation zeitweise ein Gefühl des Analogen vermitteln, wie etwa das Kratzen einer Nadel auf einer Schallplatte. Gleichzeitig treten physische Elemente in elektronischer Übersetzung auf: Ein EKG, das üblicherweise die Aktivität des Herzes misst, tritt als elektronisches Signal auf, ein Klicken wiederholt sich wie ein Geigerzähler oder wie ein suchendes, inzwischen obsoletes Clickwheel eines IPods. Durch die Verräumlichung und Spürbarkeit des Sounds wird dieser Übergang zu einem quasi-Aufenthaltsort.

Linger on Your Pale Blue Eyes ein Film der Künstlerin Thuy-Han Nguyen-Chi, beschreibt das Navigieren eines Individuums innerhalb sich wandelnder geographischer und mentaler Wirklichkeiten. Die Erzählerin beschreibt die Vorstellung des Gefühls eines Seetiers, das in vertraute Umgebungen zurückkehrt: Ein konkreter Vorfall steht hierfür im Hintergrund – die Flucht einer Wissenschaftlerin aus der DDR nach West-Deutschland im Jahr 1969, für die sie sich nachts schwimmend an den Gestirnen orientierte. In Zusammenarbeit mit der Foresythe-Company Frankfurt sind choreographierte Bilder entstanden, die gleichzeitig an DNA-Moleküle, Sternbilder und den menschlichen Körper erinnern. Weitere Bilder der Mise-en-scène des Films, die zwischen Dunkelheit und hell ausgeleuchteter Wissenschaftlichkeit schwankt, stammen aus Laboren des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Heidelberg und des Instituts für Quantenoptik und Information in Wien.

Bei Harmonic COUMaction handelt es sich um einen Film der englischen Künstlerin und Musikerin Cosey Fanni Tutti. Gezeigt werden Bilder aus der Stadt Hull, in der sie die ersten 21 Jahre ihres Lebens verbrachte, bevor sie später als Künstlerin, vor allem mit der Band Throbbing Gristle und über ihre Auseinandersetzung mit der englischen Sexindustrie, bekannt wurde. In dieser Zeit war sie Teil der Gruppe COUMTransmissions, die Happenings und Straßentheater veranstaltete. Im Film verschwimmen die Bilder aus der Zeit ihrer Geburt 1951 bis 1973, als sie nach London ging, mit der Musik und bilden so etwas wie einen biographischen Rückblick. Es sind Aufnahmen mit Freunden aus ihrer Schul- und Jugendzeit, Aufnahmen, die Tage am Strand mit der Familie zeigen, COUMactions und Menschen, die für die Künstlerin Bedeutung haben. In der sich steigernden Abstraktion der Bilder wird das Spiel zwischen ihrer Lesbarkeit als sich auf konkrete Orte beziehende Verweise und das private Erlebnis der Künstlerin von diesen Bildern zum Echo eines sich ausbildenden Subjekts zwischen privatem Leben und öffentlicher Identität.