press release only in german

Das Bewusstsein möglicher Bildfälschungen im Fernsehen und am digitalen Bild im Generellen hat zu einer allgemeinen Vorsicht geführt und ist Gegenstand einer breiten öffentlichen wie künstlerischen Diskussion um Kontext und Ursprung. Heute sprechen wir von Wirklichkeitsverhältnissen, die konstruiert und für jeden einzelnen Betrachterstandpunkt wieder anders sind. In der Ausstellung Documentary Creations geht es um solche Wirklichkeitsverhältnisse. Dabei interessiert uns nicht nur, mit welchen Bildern wir uns umgeben, sondern auch wie sie *verortet", in welchem Kontext sie eingebunden sind. Künstlerinnen und Künstler haben sich schon früher, seit den 1960er Jahren mit der Lesbarkeit und Verortung von Bildern, allen voran der Fotografie, beschäftigt. Trotzdem ist das Thema des dokumentarischen Bildes in der Kunst von Seiten der Wissenschaft und Theorie lange Zeit zu wenig beachtet worden. Als Reaktion auf die gehäufte Verwendung dieses spezifischen dokumentarischen Bildtypus' in der Videokunst der letzten zehn Jahre entstanden Ausstellungen, die das Phänomen, zumindest im Bereich des bewegten Bildes, zu erfassen suchten, so beispielsweise die documenta11 (Kassel 2002), Es ist schwer, das Reale zu berühren (München 2002), [based upon] TRUE STORIES (Rotterdam/São Paulo 2003) oder ,Ficcions' documentals (Barcelona 2004).

Documentary Creations möchte die Tendenz, das Dokumentarische in der heutigen Kunst zum Thema zu machen, auf eine eigene Art und Weise weiter entwickeln. Die im Titel der Ausstellung angedeutete Dichotomie weist nicht nur auf das Dilemma der Unvereinbarkeit ihres Gegensatzes hin, sondern auch auf die eingangs erwähnte Idee, dass Wirklichkeitsverhältnisse konstruiert seien. Die gezeigten Werke sollen dabei aber nicht der einengenden Illustration einer These dienen, sondern ein ambivalentes Erfahrungsfeld öffnen und zur Diskussion um aktuelle *dokumentar-essayistische" Positionen anregen. Die in der Ausstellung gezeigten Werke zeichnen sich, trotz ihrer bisweilen rigiden konzeptuellen Ansätze, durch eine magische Kraft aus. Der poetische Aspekt, den man von einem politischen, eher gesellschaftlich orientierten, aufklärerischen unterscheiden mag, besticht durch ein Moment der Verunsicherung, das auf faszinierende Weise unsere Wahrnehmung herausfordert und ausschöpft. In den unterschiedliche Authentizitätsebenen vereinenden Videos von Adam Chodzko, Manon de Boer und Marine Hugonnier liegt der Fokus auf der Frage nach der Bedeutung von Erzählstrategien und Leseanweisungen. Auch im nicht-filmischen Bereich lässt sich dieser selbstreflektive Ansatz verfolgen, beispielsweise bei den real/gefälschten Performance-Fotografien von Hayley Newman, der Fotoarbeit Leader von Marine Hugonnier oder den auf Fotokopien festgehaltenen Interventionen von Mathew Sawyer. Andere, eher textbezogene Arbeiten wie die Poster und Fotos von Adam Chodzko oder Douglas Gordons unerklärlich/unheimliche Instruktionen öffnen eigene mentale Räume der Reflexion, die mit auktorialen Anweisungen in unsichere Gefilde führen und uns fragen lassen - ist das wirklich so gemeint? Oder gar, will uns der Künstler hinters Licht führen? Strategien der Recherche und die Problematik bzw. Dauerhaftigkeit historischer Dokumente zeigt die Dia-Projektion von Matthew Buckingham, die Vermengung historischer/realer wie fiktiver Fakten lässt sich auch in den Projekten von Melik Ohanian und Charlotte Cullinan + Jeanine Richards artlab entdecken. Die Bedeutung des Bildes bzw. Tons als authentisches Dokument der Erinnerung ist Thema der Arbeiten Tacita Deans, und die Idee, dem Begriff des Dokuments eine ganz eigene Seite abzugewinnen, zeigt uns die digitale Projektion von Charles Sandison.

Die Ausstellung Documentary Creations will somit nicht explizit den aktuellen Diskurs um fact or fiction" aufnehmen, der sich mit der Gefahr oder der Faszination artifiziell geschaffener Wirklichkeiten befasst. Sie soll vielmehr die Möglichkeit zu einer Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen von Authentifizierungsmechanismen schaffen und die Erfahrung des Konstrukts Realität" als übergeordnetes und Bedeutung verleihendes Dispositiv ermöglichen. Documentary Creations nimmt die Komplexität der Wahrheitsschaffung, -darstellung und -erfahrung auf und versucht, das Paradox von dokumentarisch begründbarer Authentizität und künstlerischer Legendenbildung zu ergründen und auf die Vielschichtigkeit und Ambivalenz dieser *dokumentar-essayistischer" Werke der jüngeren Generation hinzuweisen.

Susanne Neubauer, Kuratorin der Ausstellung Pressetext

Publikation: Documentary Creations. Matthew Buckingham, Adam Chodzko, Charlotte Cullinan + Jeanine Richards artlab, Manon de Boer, Tacita Dean, Douglas Gordon, Marine Hugonnier, Hayley Newman, Melik Ohanian, Charles Sandison, Mathew Sawyer, hrsg. von Susanne Neubauer, mit Texten von Jan Berg, Vinzenz Hediger, Susanne Neubauer und Jean-Pierre Rehm, dt./engl., 128 S., 82 s/w Abb., 21 x 29.7 cm, Broschur, ISBN 3-86588-086-X, Vertrieb Revolver Archiv für aktuelle Kunst, Frankfurt.

Pressetext

only in german

Documentary Creations
Kuratorin: Susanne Neubauer

mit Matthew Buckingham, Adam Chodzko, artlab Cullinan & Richards, Manon de Boer, Tacita Dean, Douglas Gordon, Marine Hugonnier, Hayley Newman, Melik Ohanian, Charles Sandison, Mathew Sawyer