press release only in german

Edith Dekyndt
06.09.2019 - 19.10.2019

The Black, The White, The Blue

Eine verbindende Linie im künstlerischen Werk von Edith Dekyndt bilden kontrastierende Materialeigenschaften und Aggregatzustände der meist aus dem Alltag entlehnten Objekte, Bilder und Töne, die sie durch subtile Eingriffe in ein vielfältiges synästhetisches Bezugsfeld zueinander setzt. Häufig verwendet Dekyndt ephemere und sensible Materialien wie z. B. Erde, Flüssigkeiten und Salze oder auch Textilien. Dabei lässt sie die stillen Kräfte natürlicher Transformationsprozesse sichtbar werden oder dokumentiert in kurzen Videosequenzen die formbildenden Dynamiken, die sie in ihrer Umwelt entdeckt.

In der Installation "The Black, The White, The Blue" (2019) stellt Edith Dekyndt Bezüge zum weltweiten Warenhandel als Teil eines ökonomischen Verwertungssystems her, das in vielen Gesellschaften enormen Wohlstand generiert, global gesehen aber von extremen Ungleichheiten geprägt ist. So werden u. a. ausrangierte Haushaltsgeräte containerweise von den europäischen Häfen in die prekärsten Regionen der Welt verschifft. In ihrer Installation schichtet die Künstlerin sinnbildlich ausgediente Kühlschränke zu einer raumgreifenden Arbeit, in der sich die Härte des ökonomischen Systems auf einer vielschichtigen sensuellen Ebene widerspiegelt. Durch minimale Eingriffe verändert Dekyndt ihre Werkstoffe, indem sie sie u. a. mit Tinte tränkt, akkumuliert oder konserviert. Vor allem wählt sie aber Materialien und Objekte, die im Begriff sind, sich aufzulösen, zu zerbrechen oder zu verrotten. Mit ihrer reduzierten Formsprache und dem eindringlichen Sound schafft sie schließlich eine Atmosphäre von Brutalität und gleichzeitiger Fragilität.

Eine wichtige historische Referenz für die Ausstellung stellt das Gemälde Das Eismeer (1823–1824) von Caspar David Friedrich dar. Als Teil der Installation wählt die Künstlerin für eine mit schwarzem Wasser gefüllte Gefriertruhe jenen Titel, unter welchem der Sammler Johann Gottlob von Quandt Anfang des 19. Jahrhunderts den Maler Caspar David Friedrich beauftragte, eine Ideallandschaft des Nordens zu ma- len: Die Natur des Nordens in der ganzen Schönheit ihrer Schrecken. Im Zuge dieses Auftrags entstand wenige Jahre später das heute berühmte Eismeer. Die Landschaft aus dysfunktionalen Kühlschränken, um die sich ein Teppich aus Glasscherben ausbreitet, kann durchaus als zeitgenössische Antwort auf das Gemälde von Friedrich gelesen werden. Die „gescheiterte Hoffnung“ des 19. Jahrhunderts, die Natur zu beherrschen, kehrt sich in der Installation "The Black, The White, The Blue" zu der Frage um, wohin der scheinbar gelungene Fortschritt des 21. Jahrhunderts geführt hat. Einen weiteren gesellschaftskritischen Ton schlägt Dekyndt mit einer Skulptur in der Ausstellung an, die aus einem „schwitzenden“ Glaskasten besteht, der auf einer am Boden liegenden alten Tür steht. Auch dieses ausrangierte Objekt war – wie die gebrauchten Kühlschränke – für den Transport in den globalen Süden bestimmt. Die Ästhetik der Arbeit steht vor diesem Hintergrund in starkem Kontrast zu ihrem poetischen Titel, den Dekyndt wieder bei derselben historischen Quelle entleiht; denn dem Auftrag an Friedrich ging 1820 ein weiterer Auftrag an den Künstler Johann Martin von Rohden voraus, der eine Idealland- schaft des Su?dens malen sollte: Die südliche Natur in ihrer üppigen und majestätischen Pracht.

In ihrer Hinwendung zu den transformativen Momenten der Materialien und Objekte sowie in der Konzentration auf die Fragilität und den Auflösungsprozess macht Dekyndt deutlich, dass die Definition, was als makellos oder was als ausrangiert (was als rein oder verschmutzt) gilt, immer eine Frage der Betrachtung und der moralischen Bewertung ist. Sie stellt die menschlichen Wahrnehmungsfähigkeiten in ihrer Kunst immer auch in einen gesellschaftlichen und politischen Zusammenhang, in welchem die vermeintliche Neutralität natürlicher Phänomene in großem Kontrast dazu steht, wie und wofür der Mensch sie sich zu eigen macht. Die kaputten Kühlschränke, die in Europa keinen Wert mehr haben, sind dennoch begehrtes Handelsgut jenseits dieses Kontinents. Sie knüpfen dort an, wo die Moral diesseits am Ende ist.

Katja Schroeder