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Paradise Syndrome – so der Titel der ersten institutionellen Einzelausstellung der belgischen Künstlerin Edith Dekyndt in Deutschland – umschreibt einen mentalen Zustand der Unzufriedenheit und Depression, der symptomatisch durch die Erfüllung aller Lebenswünsche auftreten mag. Die Bezeichnung geht ursprünglich von Menschen im Ruhestand aus, die ihren Wohnsitz an die Mittelmeerküste oder auf eine Urlaubsinsel verlagert haben und ihr Leben als einen immerwährenden Urlaub begreifen, ohne dies jedoch als Glück empfinden zu können. Diese psychische und physische Uneindeutigkeit im subjektiven Wahrnehmen und Erleben von Lebenswelten steht im Mittelpunkt von Edith Dekyndts Arbeiten.

Für die Ausstellung entwirft die Künstlerin eine Rauminstallation, die sich aus einer wandfüllenden Projektion mit Ton und einer Bodenarbeit zusammensetzt. Auf den schwarzen Bodenfliesen ausgebreitet liegen mit Blattgold applizierte Bergungshüllen, wie sie beispielsweise im Katastrophenschutz benutzt werden. An der Wand finden sich Filmaufnahmen von Wellenbewegungen, die durch ihre vertikale Drehung ein abstrakt-poetisches Moment eröffnen. Entfernt zu hören sind Fragmente von Herzklopfgeräuschen, die einer „Voyager Golden Record“ entnommen sind. Diese Datenplatte wurde 1977 mit Audio-Informationen ins Weltall befördert in der Hoffnung, mit außerirdischen Lebensformen Kontakt aufzunehmen. Dekyndt setzt Sound hier gezielt als atmosphärisches Element ein, das als Mittler zwischen dem Dies- und Jenseits fungiert.

Die Installation zeichnet sich durch das Verweben verschiedener Zusammenhänge, Geschichten und Orte aus, die neben dem physisch Erfahrbaren neue Bilder und Assoziationen hervorrufen. Einer dieser Orte, an dem ihre Geschichte ansetzt, ist Köln, ein anderer die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa. Was sie verbindet sind kollektive wie individuelle Motivationen und Erwartungen an ein erreichbares irdisches Paradies: die Reise der in Sargtüchern gewickelten Gebeine der Heiligen Drei Könige von Konstantinopel, über Mailand nach Köln und der damit verbundene Reliquienkult, der unzählige Pilger in die Domstadt führte; Lampedusa als Sehnsuchtsort und faktische Endstation des Leidensweges von Migranten und Flüchtlingen aus Tunesien, Libyen, Somalia und Eritrea auf ihrem Weg nach Europa. Mehr als 300 ertranken allein im Oktober 2013, als ein Flüchtlingsboot nahe der Insel sank. Zurück bleiben symbolisch aufgeladene und kollektiv gespeicherte Medienbilder von aufgestapelten Leichensä cken. In Paradise Syndrome generiert Edith Dekyndt im Zusammenspiel und in der reduziert minimalen Präsentation ihrer Werke eine Situation, in der sich subjektive Erwartungshaltungen und scheinbar objektive, heilsversprechende Tatsachen und Dinge gegenüberstehen und auf den Betrachter zurückgeworfen werden.

Edith Dekyndt (*1960, Ieper) lebt und arbeitet in Tournai, Belgien. Neben Einzelausstellungen u.a. am Fri-art, Fri-bourg, Synagoge de Delme (beide 2011) und Witte de With, Rotterdam (2009) nahm sie an zahlreichen interna-tionalen Gruppenausstellungen teil, u.a. der Moskau Biennale 2013, Lyon Biennale 2013, Contour Biennale 2011, Mechelen, am SMAK, Ghent, Museum Sztuki, Lodz und dem Contemporary Art Museum, Hiroshima. Sie wird in diesem Jahr bei Neue Wege nichts zu tun in der Kunsthalle Wien ausstellen und auf der Art Basel - Unlimited zu sehen sein.