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Egon Schiele ist einer der populärsten Künstler der Moderne. Sein Werk wird wie bei kaum einem anderen Künstler mit seiner Biografie in Verbindung gebracht. Dabei gerät häufig aus dem Blickfeld, wie sehr seine Bilder mit kulturellen Diskursen seiner Zeit in Zusammenhang stehen. Zu spektakulär erscheinen die turbulente Beziehung zu seinem Modell Wally, der Aufenthalt im Gefängnis sowie sein früher Tod. So wurden Schieles bekanntesten Arbeiten – provokative Aktdarstellungen und pathologisch wirkende Selbststilisierungen – vielfach herangezogen, um diesen engen Fokus auf das Biografische zu bestätigen und das öffentliche Interesse an seinem Privatleben zu bedienen.

Diese Ausstellung bietet eine Revision des immer noch weit verbreiteten Künstlermythos Schiele und eröffnet einen neuen Zugang zu seinem Werk: Der Schwerpunkt soll von der Biografie auf die Kunst in ihrem zeitgenössischen Kontext gelenkt werden. Dank einer umfassenden Auswahl von Aquarellen und Zeichnungen aus dem Bestand der Wiener Albertina – der weltweit bedeutendsten Sammlung von Schieles Werken auf Papier – können alle grundsätzlichen Themen seiner Kunst aufgezeigt werden. Die Auseinandersetzung mit der Krise des Individuums um 1900, die der Literatur- und Kulturtheoretiker Hermann Bahr unter dem Motto „Das unrettbare Ich“ zusammenfasste, nimmt dabei eine herausragende Stellung ein.

Das Ausstellungskonzept geht dementsprechend über eine rein motivische Gruppierung hinaus und fokussiert zentrale Aspekte von Schieles Ideenwelt. Thematisiert werden Fragen der Identität und des Naturverständnisses sowie seine Reflexionen über Wahrnehmungsprozesse, bei denen der bislang noch nicht untersuchte Einfluss japanischer Farbholzschnitte eine Rolle spielt. Durch die Gegenüberstellung von Bildern und Auszügen aus Schieles poetischen Schriften wird seine Beschäftigung mit diesen Themenkomplexen in unterschiedlichen Medien aufgezeigt, wodurch sich bisher wenig beachtete Perspektiven auf seine Bilder eröffnen. So müssen etwa Schieles Selbstporträts als Versuche gewertet werden, das eigene Ich als variable Größe zu begreifen; ein Aspekt, der den Künstler auch in manchen Gedichten beschäftigt hat und der mit damaligen Vorstellungen von wandelbarer Identität übereinstimmt. Keine selbstgenügsame Wendung zur eigenen Psyche, sondern eine Sensibilität gegenüber verschiedenen äußeren Anregungen wird damit in Schieles Werk deutlich.

Die Schiele-Ausstellung im Lenbachhaus ist zudem historisch begründet. Im Frühjahr 1912 veranstaltete der Münchner Galerist Hans Goltz gleichzeitig zwei Ausstellungen: Eine war dem „Blauen Reiter“ gewidmet (2. Ausstellung „Schwarz-Weiß“), die andere Schiele – seine erste Einzelpräsentation im Ausland überhaupt. Fast hundert Jahre später ist der Österreicher wieder zu Gast in München, nun im Lenbachhaus und damit wieder ganz in der Nähe des „Blauen Reiter“.

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Egon Schiele
Das unrettbare Ich
Werke aus der Albertina
Kuratoren: Helmut Friedel, Helena Perena