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Eiskeller, das sind die Kühlschränke der vorindustriellen Zeit. Heute begegnen sie uns als historische Kulturruinen, rekonstruierte Baudenkmäler oder als Hügel in der Moränenlandschaft. Steht man in ihrem Trichter und blickt durch den schattenspendenden Baumkranz sieht man es: das Himmelsloch. Das Kunstprojekt „Eiskeller und Himmelslöcher“ macht erstmals das bisher wenig erforschte und weitgehend unerschlossene historische Kulturdenkmal “Eiskeller in Schleswig-Holsteins” zum Gegenstand zeitgenössischer künstlerischer Recherche. Das Ausstellungskonzept begreift diese nahezu vergessene Architekturform als Reflexionsort, an dem sich neuartige Zusammenhänge von Kunst, Natur und Klimawandel erschließen und die historische Kulturtechnik der Eisgewinnung verwandelt ins Bewusstsein tritt.

Das Projekt wird gefördert durch die Stiftung Kunstfonds zur Förderung der zeitgenössischen bildenden Kunst (Bonn), die Kulturstiftung des Landes Schleswig Holstein (Kiel) und die Muthesius Kunsthochschule (Kiel); Trägerverein ist Haus 8 e.V. (Kiel).

Ulrike Mohr TOUCHING COLD Installation (Neonschrift & Eisschallplatte)

Ulrike Mohrs Auseinandersetzung mit der historischen Nutzarchitektur „Eiskeller“ und dem Element „Eis“ kann als material-minimalistische Erkundung gelesen werden. In der temporären Installation einer Neonschrift mit dem Schriftzug TOUCHING COLD und dem Abspielen einer Eisschallplatte auf Gut Hohenstein geht die Bildhauerin wissenschaftshistorischen Referenzpunkten nach, die sie in den künstlerischen Prozess einwebt.

Nach der Besichtigung verschiedener Eiskeller in Schleswig-Holstein interessierte sich Ulrike Mohr für Fragen der „negativen Kühlenergie“, der Materialität des Eises und der Akustik des oft seit Jahrzehnten nicht betretenen Eiskellertrichters. Nachdem die Wahl auf den gut erhaltenen Eiskeller auf Gut Hohenstein (Barkelsby) gefallen war, dessen Trichter über eine Treppe erreichbar und damit begehbar ist, begann sie eine Versuchsreihe mit Eisschallplatten, die sie auf einem Analogplattenspieler abspielte.

Ulrike Mohrs bildhauerische Projekte haben immer auch historische Bezüge und sind oft im Spannungsfeld von Natur und Kultur angelegt. Ihre Beschäftigung mit dem irischen Naturforscher und Mitbegründer der auf Experimenten beruhenden Naturwissenschaften Robert Boyle (1627-1691), einem Zeitgenossen von Isaac Newton und John Locke, insbesondere die Lektüre seiner Schrift New Experiments And Observations Touching Cold or an Experimental History of Cold, Begun.“ (London, 1665) lieferte den Anstoß für den Titel ihrer Installation TOUCHING COLD. In Neonschrift verwandelt, wird ein Ausschnitt aus dem historischen Buchtitel temporär im Eiskeller auf Gut Hohenstein installiert.

Mit dem Abspielen einer Eisschallplatte, für die Ulrike Mohr Passagen des wissenschaftshistorischen Textes von Robert Boyle von dem englischen bildenden Künstler Matthew Burbidges einlesen lies, schafft sie im Eiskeller von Gut Hohenstein ein Beispiel subtiler material-poetischer Erkundungen, die sich mit der besonderen, historischen Raumatmosphäre verbinden. Der Eiskeller als Ruine vorindustrieller, ländlicher Lebenskultur, der durch Klimawandel und technischen Fortschritt seine Funktion verloren hat, wird zum Ort künstlerischer Meditation. Der Besucher steigt gleichsam in eine historische Metapher hinab.

HINTERGRUND: Kennzeichnend für die Arbeitsweise von Ulrike Mohr ist das Durchlaufen verschiedener Phasen oder Stadien künstlerischer Arbeit. Immer wieder nähert sie sich den Gesetzen der Natur an und schafft „Laborbedingungen“, um Kräfteverhältnissen, Kontrollmechanismen und Selbststeuerungskräften nachzugehen. Zumeist gibt es einen politischen oder philosophischen Bezug; oft wollen die Transformationsprozesse als gesellschaftliche Metaphern gelesen werden. Sie beschäftigt sich mit Transformationsprozessen und Parallelwissenschaften, die sich in künstlerischen Forschungsreihen materialisieren: so sammelte und untersuchte sie Wassersorten (2010), köhlerte Holz, Lineale und Weidenruten und transformierte Straßenholzsammlungen und Bäume in Holzkohle (seit 2010); sie schmolz Glasflaschen (Minsk, 2011), beschäftigte sich u.a. mit Salzkristallisierungsprozessen. 2008 begann sie eine Gruppe von auf dem Dach des mittlerweile abgerissenen Palastes der Republik gewachsener Bäume auf innerstädtisches Brachland umzusiedeln (Neue Nachbarn, seit 2008).

Ulrike Mohrs bildhauerische Konzepte nehmen ihren Ausgangspunkt im öffentlichen Raum und funktionieren über die kritische Beobachtung, durch prozesshafte Aufzeichnung und strukturierende Vermessungen oder die Einführung anderer Ordnungssysteme. Ulrike Mohr nahm an der 5. berlin biennale für zeitgenössische kunst teil und erhielt 2009 das Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds.

Auszug aus der Schrift von Robert Boyle: We took fair water, and having kept it in the exhausted Receiver of out Pneumatical Engine for a good while, till we perceived it not to send up any more bubbles, we presently / transferred it into sow and salt, where it was long enough before it began to freez, and then we observed, that the water did not swell so much as common water is wont to do, and the ice seemed to have few or no bubbles worth taking notice of: but when I afterwards placed it between my Eye and the vigorous flame of a Candle, I could perceive, that it was not quite destitute of bubbles, though they extremely small, in comparison of those, that would probably have appeared in ordinary water.

DAS PROJEKT: Das Projekt: Eiskeller und Himmelslöcher – Ortsbezogene Interventionen, Rekonstruktionen und Erkundungen in Schleswig-Holstein Eiskeller für Projekte der zeitgenössischen bildenden Kunst zu erschließen, ist eine Pionierarbeit. Im Zuge der umfangreichen Vorrecherchen für das Kunstprojekt wurden Reste von Eiskellern und Eisschuppen auf Gütern in Schleswig-Holstein entdeckt, Eiskeller zusammen mit Besitzern identifiziert sowie bisher noch nicht wissenschaftlich erschlossene Fundamente wiedererkannt. Durch die Künstlerauswahl (Till Krause, Ulrike Mohr, Hans Winkler, Paul Kos) sollen ein konzeptioneller und forschender Ansatz sowie eine kulturhistorische Auseinandersetzung mit dem nahezu vergessenen Baudenkmal „Eiskeller“ und dem Material „Eis“ erfolgen. Das Projekt schreibt auch die Kunstgeschichte des Eis fort: Während in den 1970er und 1980er Jahren „Eis“ als ephemeres Material künstlerisch erprobt wurde, seine Instabilität, aber auch seine „Kunstmarktunfähigkeit“ und Widerständigkeit gegen Kommerzialisierung und Musealisierung für Künstler interessant waren, arbeitet das Projekt „Eiskeller und Himmelslöcher“ mit künstlerisch-konzeptuellen Annäherungen und Interventionen und rückt für die Erkundung des Eises als künstlerischem Material die vergessene Kulturtechnik der „Natureisgewinnung“, Fragen des Klimawandels, landschaftssoziologische Parameter sowie poetische und wissenschaftsgeschichtliche Fragestellungen in den Mittelpunkt künstlerischer Recherche und Forschung. Diese Expedition in die vorindustrielle Welt mittels Methoden zeitgenössischer Konzeptkunst erschien uns insbesondere vor dem Hintergrund der Natur- und Technikkatastrophen der jüngsten Vergangenheit nahe liegend und zeitgemäß.

Die Installation von Ulrike Mohr (Berlin) auf Gut Hohenstein ist die zweite Installation des Projektes „Eiskeller & Himmelslöcher“. Den Auftakt nahm das Projekt mit der Eröffnung des ersten öffentlichen Eiskellers auf dem Eiskellerberg von Deutsch-Nienhof von dem Berliner Künstler Hans Hs Winkler (www.hswinkler.de) am 13. Oktober 2012. Während der Eröffnung wurden Eiscoupons verteilt, die auf die Weiterführung des Projektes im nächsten Jahr verweisen (Atelierhaus im Anscharpark). Mit Einbruch des Winters beginnt Till Krause (Hamburg) die landschaftsgeografischen Erkundungen im Rahmen der künstlerischen Kartierung des EISWEGES in Schleswig-Holstein.

Ort: Gut Deutsch-Nienhof, Westensee, Galerie Veranstalter: Gesellschaft für zeitgenössische Konzepte Mitwirkende Künstler/innen: Till Krause, Ulrike Mohr, Hans Winkler und Gäste

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Eiskeller und Himmelslöcher
Ortsbezogene Interventionen, Rekonstruktionen und Erkundungen in Schleswig-Holstein
Konzept und Initiatoren: Gesellschaft für zeitgenössische Konzepte, Hans Winkler, Verena Voigt

Ulrike Mohr
TOUCHING COLD
Installation
Eröffnung: Samstag, 10. November 2012, 15 Uhr
Ort: Eiskeller und Museum Gut Hohenstein, Barkelsby / Rendsburg-Eckernförde
Veranstalter: Gesellschaft für zeitgenössische Konzepte