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Ellen Gallagher stellt die Konturen von ebenso fantastischen wie unvorstellbar realen Welten dar. Sie präsentiert uns ein klaustrophobisch geschlossenes System, in dem der flüchtige Charakter der Minstrel-Shows mit Öl und Tusche neu interpretiert wird; aus dem Zusammenhang gelöste Augen und Lippen geraten in Bewegung und treten aus der Rasterstruktur hervor, welche die Künstlerin ihren grossflächigen Bildern häufig zugrunde legt. Kleinste Details einerseits und die riesige Leinwand andererseits laden zur Betrachtung aus der Nähe und aus der Distanz ein. Diese Fluktuation zwischen dem Winzigen und dem Gigantischen, ebenso überwältigend wie kontrolliert, wurde immer wieder mit der Herstellung von Landkarten oder Miniaturen des Gigantischen verglichen. Aber Gallagher versteht ihren Duktus („mark-making“) nicht als statische Darstellung im Sinne einer Landkarte, sondern als eine Art „Notizen, die in eine Richtung weisen“. Ihr Gitternetz erinnert an die Entstehung von Navigationsaufzeichnungen. Inspiriert von den Sprachexperimenten von Bert Williams und Gertrude Stein, entstehen Gallaghers Arbeiten durch Wiederholung und Überarbeitung, die das Vertraute schliesslich in etwas Unkontrollierbares und Unergründliches verwandeln. Die konkreten Symbole werden überarbeitet und neu betont, sodass die zwischen ihnen verlaufenden Fäden immer weitreichender und elastischer werden. Durch ihre kalligraphische Beharrlichkeit schafft Gallagher eine Kosmologie von Symbolen mit multidirektionalen Verbindungen und Farbtönen, die je nach Kontext variieren – mal bedrohlich, mal spielerisch.

Dies zeigt sich besonders deutlich in Ellen Gallaghers Arbeit DeLuxe, deren wiederkehrende Motive auf Archiv- und Werbematerial aus schwarzen Lifestyle-Zeitschriften wie Sepia, Our World und Ebony basieren. Zeitschriften, die laut Gallagher in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als durchaus radikal galten. Mit ihren dichten, chaotisch anmutenden Bildern scheint es einzig darum zu gehen, schwarzen Amerikanerinnen und Amerikanern eine Stimme zu verleihen. Erzählungen von Richard Wright und James Baldwin, Interviews mit Haile Selassie und Zeitungsartikel über das Tuskegee-Experiment, bei dem der staatliche Gesundheitsdienst an Syphilis erkrankte Männer und Frauen aus der schwarzen Unterschicht untersuchte, ohne diese zu behandeln, erscheinen neben Slasher-Stories und marktschreierischen Werbeinseraten zur Heilung unzähliger Übel wie Akne, schwarze Haut, Fussschmerzen oder widerspenstige Haartracht. Dieses scheinbar widersprüchliche Bewusstsein zwischen den Artikeln und den Inseraten passt zu Gallaghers eigener Auseinandersetzung mit dem Thema „Rasse“, die sie als bewussten und performativen Akt versteht – wobei sich das performative Element auf die dramatische und kontingente Konstruktion von Bedeutung bezieht. In DeLuxe verwendet Gallagher Anzeigen für Perücken („New Skinatural“ und „Wiglets by Medalo“), die sie collagiert, übermalt und mit den verschiedensten Materialien wie Knetmasse, Samt, Spielzeugaugen und Pomade bearbeitet. Oftmals legt sie Masken über Gesichter, um einerseits die Grenzen zwischen dem Menschlichen und Unmenschlichen zu erkunden und andererseits die Problematik der Identität zu veranschaulichen. Die Arbeit mit Masken kann auch im Zusammenhang mit der ambivalenten Rolle afrikanischer Masken gesehen werden, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts einerseits als dekontextualisierte Kunstobjekte dienten und anderseits von Bert Williams für seine Bühnenshows reaktiviert wurden.

Zum ersten Mal in Europa wird Ellen Gallagher in ihrer Ausstellung bei Hauser & Wirth Zürich die Arbeit DeLuxe (2004-2005) zeigen. DeLuxe wurde in Zusammenarbeit mit dem innovativen New Yorker Print-Studio Two Palms Press realisiert. Die Arbeit besteht aus einem Portfolio von 60 Druckgrafiken, die an künstlerischer Virtuosität kaum zu übertreffen sind. So ausgefallene Techniken wie Photogravüre, Tätowierung, Aquatinta, Laserschnitt, Blattgoldintarsien und Siebdruck vereinen sich zu Graphiken, die sich durch eine grosse stoffliche Sinnlichkeit auszeichnen. DeLuxe befindet sich in der Sammlung folgender Museen: The Museum of Modern Art, New York; Whitney Museum of American Art, New York; Walker Art Center, Minneapolis, MN; und dem Studio Museum in Harlem, New York.

Ellen Gallagher (*1965, Providence, Rhode Island) studierte am Oberlin College, OH (1982-84); im Studio 70, Fort Thomas, KY (1989); an der School of the Museum of Fine Arts, Boston, MA (1992); und an der Skowhegan School of Art, ME (1993). 2000 erhielt Ellen Gallagher den American Academy Award für visuelle Kunst und im Jahr 2003 nahm sie an der Biennale von Venedig teil. Ellen Gallagher hatte kürzlich Einzelausstellung in folgenden Institutionen: DeLuxe, Whitney Museum of American Art, NY (2005); Murmur and DeLuxe, MOCA, Miami (2005); und Ichthyosaurus, The Freud Museum, London (2005). Im April wird Ellen Gallagher an der Ausstellung Infinite Painting, kuratiert von Francesco Bonami, in der Villa Manin/Codroipo, Udine teilnehmen. Ausserdem wird Hauser & Wirth London Ellen Gallagher im Juni eine weitere Einzelausstellung widmen. Die Künstlerin ist für den renommierten Smithsonian’s 2006 Lucelia Artist Award nominiert. Ellen Gallagher lebt und arbeitet in New York und Rotterdam.

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