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Erstmals in den neuen Bundesländern präsentiert das Kunsthaus Erfurt e.V. vom 27.10. bis 24.11.2006 eine Einzelausstellung der estnischen Performance- und Videokünstlerin Ene-Liis Semper (geb. 1969 in Tallinn, lebt ebd.). Zu sehen sind 4 Videos: Oasis (1999), Door (2002), die Aufzeichnung der Performance Chocolate Piece (2006) sowie das ebenfalls erst in diesem Jahr entstandene Beautiful. Mit der zuletzt genannten Arbeit scheint Semper entfernt an ihr bekanntes und viel gezeigtes Werk FF/Rew (1998) anzuknüpfen, mit welchem sie über ihre Teilnahme an der Manifesta 3 in Ljubljana 2000 große Beachtung erlangte. Der endgültige internationale Durchbruch erfolgte mit der Performance Licked Room als Beitrag für die Biennale von Venedig 2001. Seitdem war und ist Semper weltweit auf zahlreichen Ausstellungen vertreten. Zeitgleich zur Erfurter Schau richtet die Kunsthalle Tallinn der Künstlerin bereits zum zweiten Mal eine umfassende Einzelpräsentation aus.

Ene-Liis Semper hat Bühnenbild, Theater und Freie Kunst an der Kunstakademie in Tallinn studiert. Ihre Videoarbeiten basieren meist auf einfachen sets, vor denen sich eine ebenfalls simple, klar strukturierte Handlung oder lediglich eine Szene(rie) entwickelt. Oft fokussiert eine Standkamera diese als festes Bild, das sich daher nur im Rahmen vor dem Auge des Betrachters bewegt.

In Beautiful geht es um die (scheinbare) Destruktion des Körpers. Die Standkamera fixiert den kopflosen Oberkörper der mit einem hellen, neutralen Sweatshirt bekleideten Künstlerin, die sich den Anweisungen einer Männerstimme aus dem off entsprechend leicht dreht und wendet und den Pullover ein bisschen hin und her zieht. Wie ein gelblicher, antik-moderner Torso erscheint dieses filmische Körperfragment, das nur kurzzeitig im Profil die Figur einer Frau erkennen lässt. Plötzlich fallen unvermittelt ein paar Schüsse. „Echtes“ Blut spritzt, und die Einschusslöcher zeichnen sich rot - und schön - vor dem Hintergrund des neutralen, hellen Bildfonds ab – den der menschliche Körper bildet. Es sind das Attraktive und Schöne, welche im Grauen und im Grausamen liegen und nicht nur Semper beschäftigen und verführen.

Oasis zeigt dagegen in Nahaufnahme nur den Kopf der Künstlerin. Wie auf dem Zahnarztstuhl hält diese den Mund weit geöffnet, und es ist dann auch ein Implantat, was ihr von zwei Händen eingepflanzt wird: Etwas Erde wird ihr zunächst in den Mund gestreut, daraufhin eine blühende Topfpflanze eingesetzt, angedrückt und schließlich angegossen. Durch die Blume wird nicht mehr gesprochen, und so hat man diese Arbeit auch im Kontext angepasster, kultiviert-zivilisierter Natur und deren Verlust urwüchsiger, unmittelbarer Sprache interpretiert. Sicher kann man sich auch an die von Ovid beschriebenen Metamorphosen erinnert fühlen, wobei der neuen, bedrängten Daphne nunmehr keine Zweige aus den Gliedmaßen sprießen, sondern Blumen aus dem Munde blühen.

Door ist der Ausstellungsthriller. In Erfurt wurde die Präsentation dieses Videos ganz bewusst in Bezug auf die räumlichen Gegebenheiten abgestimmt. So erscheint auf einer geschlossenen Wand gegenüber der Realraumöffnung nun eine angelehnte Tür, die keine ist, und somit einen Durchgang und die Möglichkeit eines „Dahinter“ auch nur andeuten kann. Door vermag auf den schnellen Blick hin wenig auszusagen, auf lange Sicht aber die Wahrnehmung extrem zu sensibilisieren. Ein „Nicht-Geschehen“ wird von einem durchdringenden Ton begleitet, der sich metallisch flirrend ins Bewusstsein schneidet. Es bleibt dem Betrachter überlassen, die geisterhafte, unheimliche Szenerie, die Zimmer vor und hinter Door sowie den eigenen Denkraum zu füllen

Anlässlich ihrer umfassenden Personalausstellung in Tallinn hat Ene-Liis Semper im September diesen Jahres die Performance Chocolate Piece aufgeführt. Sie hat sich selbst und die Kunst somit nicht nur veredelt, sondern auch ihrem Publikum zum süßen Geschenk gemacht. Wie eine verlebendigte Aluminiumfigur, einer jener Großen Geister von Thomas Schütte saß Semper eine Stunde lang bewegungslos in der Tallinner Kunsthalle.

Die Dokumentation dieser Aktion veranschaulicht auf stille, zurückhaltende Weise den Umgang der Ausstellungsbesucher mit einer speziellen Form der Kunst, die als Performance zum Teil unerkannt blieb. Es hat sich übrigens keiner getraut zu kosten - leider.

Silke Opitz, Co-Kuratorin

Pressetext

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Ene-Liis Semper
Eine Ausstellung des Kunsthauses Erfurt e.V. in Zusammenarbeit mit Silke Opitz