press release only in german

Erstmals in Deutschland wird die Galerie im Kunsthaus Erfurt e.V. 2007 eine umfassende Einzelausstellung von Erica Eyres (geb. 1980) präsentieren. Die kanadische, in Glasgow lebende Künstlerin nutzt bevorzugt Zeichnung und Video als Medien, hat aber auch mehrere Plastiken geschaffen. In der Erfurter Ausstellung werden eine Auswahl von Zeichnungen (Ballpoint-Stift) sowie drei neueste Videoarbeiten von Eyres zu sehen sein.

Mich interessiert, wie Menschen auf eine absurde Mischung gegensätzlicher Emotionen zurückgreifen, wenn sie sich in Extremsituationen befinden und Angst haben, und ich möchte, dass meine Arbeiten beim Betrachter ähnlich widersprüchliche Empfindungen hervorrufen. Ich kombiniere Konfliktsituationen, um peinliche Figuren oder Charaktere zu kreieren, die an Teenager erinnern mögen, welche im Stadium zwischen Kindheit und Erwachsensein gefangen sind. Diese Charaktere wirken einerseits bedauernswert, andererseits aber auch albern, so dass sie sowohl Mitleid als auch gequältes Lachen hervorrufen. (Erica Eyres)

Mädchen zum Anrufen und Verabreden - Zeichnungen

Jene Zeichnungen gehören einer offenen Serie an, die Erica Eyres seit 2005 ausschließlich Frauen und deren Rollen- bzw. Bildverständnis widmet. So ist die Künstlerin daran interessiert, wie Frauen sich mittels Selbstporträts darstellen und diese Bilder wiederum ihre Sexualität und ihr Selbstverständnis widerspiegeln. Eyres Zeichnungen sind von Abbildungen unter entsprechenden Rubriken einschlägiger Männerzeitschriften inspiriert (etwa „Real Girls to Phone and Date“), für welche Frauen aufgefordert sind, Bilder von sich einzusenden und zu beschreiben, wie sie sich ihren Traummann vorstellen oder warum sie für diesen „alles machen“ würden. Vor allem der Gegensatz der schlechten Qualität und billigen Erscheinung dieser Aufnahmen (manche sind einfach und schnell mit dem handy gemacht) und der beabsichtigten, attraktiven Wirkung fasziniert Eyres. Die dann mit zeitgenössischem Zeichenmittel, dem ballpoint pen, ausgeführten Blätter bestechen rein technisch durch ihren feinen, sorgsamen Strich, der selbst in dicht schraffierten, dunklen Partien auszumachen ist. Die oft im Büstenausschnitt oder als Halbfiguren frontal bzw. im Dreiviertelprofil wiedergegebenen Mädchen und Frauen sind dann aber auch der heutigen Mode entsprechend geschminkt, asymmetrisch frisiert und, zumindest teilweise, bekleidet. Jedoch erscheinen sie im Gegensatz zur technischen Ausführungen der Zeichnungen weniger delikat. Durch kontrastreiche Hell-Dunkel-Partien, sparsame Binnenmodellierung und Konzentration auf die Physiognomie als vermutlich eigentlichen Ausdrucksträger sind die Mädchen tatsächlich „überzeichnet“ und „übertrieben“ dargestellt. Ihre an sich gewöhnlichen Gesichter wirken maskenhaft, ihre Gesten und Haltungen wenig natürlich oder angemessen. Weil diese Posen zweckentsprechend bzw. zielgerichtet sind, erscheinen die Frauen meist zwanghaft bis affektiert, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit genau das Gegenteil von dem erreichen werden, was sie doch mit Nachdruck anstreben und so sehr wollen. Auf überzeugende Weise gelingt es Eyres mit ihrer nahezu karikierenden Art der Zeichnung, den inhaltlichen Ansatz ihres künstlerischen Konzeptes auch medial und formal adäquat umzusetzen.

Bitte, Mutti?!

Auch mit ihren Videoarbeiten vermag Erica Eyres wenigstens zu verstören, wenn nicht nachhaltig in Bann zu ziehen. Wiederum sind es ambivalente Eindrücke und Gefühle, welche die Künstlerin sowohl am Beispiel ihres filmischen Personals demonstriert als auch über dieses beim Betrachter evoziert. Alle Charaktere ihrer Videoarbeiten verkörpert Eyre selbst. Vor sets, die an jene oben erwähnter Schnappschüsse erinnern, agieren dann Figuren, die zunächst auf einen wenig geschickten Maskenbildner schließen lassen: Riesige Nasen lassen die mitunter breit verschmierte Modelliermasse erkennen, aus denen sie geformt sind, überdimensionale, künstliche Zähne behindern beim Sprechen und Blut fließt häufig als himbeerrote Farbe ungeniert „falsch“ dahin - so schnuddelig die Sets, so eklig die Staffage. Ganz offensichtlich wird hier also inszeniert und „gespielt“, und das „Gespielte“, so ließe sich schlussfolgern, ist demnach keine Illusion, sondern Realität.

Cliquenverhalten von Teenies und stressige Mutter-Kind-Beziehung

Während die Künstlerin in ihren Videos Without Arms (2005) und Destiny Green (2006) das Cliquenverhalten bzw. das verbindende, kindlich-weibliche Schönheitsideal von Teens und Twens auf unheimliche Art und Weise verhandelt, thematisiert Eyres mit den beiden in Erfurt zu sehenden Arbeiten Jenny Johnson und Baby Marleena (beide 2006) das (traumatische) Verhältnis von Mutter und Kind. Dagegen widmet sich die Künstlerin in ihrem neuesten Video Commercials (2007) dem Phänomen der Zurschaustellung wie eben der Kommerzialisierung von Privatem in Reality TV und Talk Shows. Äußerst geschickt bedient sich die Künstlerin sowohl medienspezifischer Strategien aus Film und Fernsehen wie märchenhafter Motive und ästhetischer Kategorien des Schauerromans und des Surrealismus, um Unbewusstes, Verdrängtes und dessen Ursachen wie nebenbei zu Tage zu fördern. So erzeugt sie vielschichtig-dichte Bilder, die den tragikomischen Alltagssituationen entsprechen, denen man sich auch im wirklichen Leben nicht entziehen kann. Lachen befreit?

Silke Opitz, Kuratorin

Bitte, Mutti?! Erica Eyres (CAN) 15.02.-28.03.08 Galerie im Kunsthaus Erfurt e.V. in Zusammenarbeit mit Silke Opitz, Weimar Es erscheint eine Publikation in dt./engl. Sprache.

only in german

Erica Eyres: Bitte, Mutti?!
Galerie im Kunsthaus Erfurt e.V.
Kuratorin: Silke Opitz