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Fünfzig Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und graphische Arbeiten der klassischen Avantgarde bilden eine Ausstellung von unwiederholbarem Zuschnitt, nur möglich vor dem Hintergrund des aktuellen Neubaus des Sam Fox Arts Center der Washington University in St. Louis. Während der Bauphase werden weltberühmte Werke als Sammlungsblock ausgeliehen, die in dieser Zusammenstellung seit Bestehen der Sammlung erstmals in Europa zu sehen sind.

EXIL als Verlusterfahrung und Erfahrungsgewinn gehört in mehr als einer Hinsicht zur helldunklen Biographie der Moderne. Die Verbindung ist so tief, daß Exil geradezu bezeichnet werden konnte als „die Kernerfahrung der Moderne“ (Sabine Eckmann). Die Anschauung und der Sachgehalt, aber auch die Geschichte epochaler Stationen der modernen Kunst sind davon nicht losgelöst zu denken.

Als eine Frucht des Exils entstand in den Jahren 1944 bis 1948 an der Washington Universität in St. Louis, Missouri, „eine der besten Sammlungen moderner Kunst im ganzen Mittleren Westen“ (Reed Hynds). Aufgebaut wurde dieser moderne Sammlungskern der 1881 gegründeten Universitätssammlung von dem 1935 in die Vereinigten Staaten emigrierten Hamburger Kunsthistoriker Horst W. Janson (1913-1982), der damals die Stelle des Kurators der Kunstsammlung der Washington Universität (heute: Mildred Lane Kemper Art Museum) innehatte. Sein Ziel war es, in Reaktion auf die nationalsozialistische Verfemung und in bewußter Gegenstellung gegenüber nationalen Fixierungen, trotz begrenzter Mittel eine möglichst vollständige Übersicht über die Richtungsvielfalt der modernen Kunst in internationalem Maßstab zu ermöglichen.

Dabei setzte Janson die Schwerpunkte deutlich auf Kubismus, Konstruktivismus und Surrealismus, ergänzt durch zeitgenössische amerikanische Kunst. Innerhalb sehr kurzer Zeit entstand ein glanzvolles Ensemble von mehr als 40 Werken, die in enger Zusammenarbeit mit führenden Galeristen wie Curt Valentin, Paul Rosenberg und Pierre Matisse erworben wurden – darunter nicht wenige Bilder, die bis heute ihren Rang als wichtigste Ikonen der klassischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts behaupten. So z. B. Pablo Picassos kubistische Collage La Bouteille de Suze (1912), Juan Gris‘ Damier et carte à jouer (1916) und Max Beckmanns Les Artistes mit Gemüse (entstanden 1943 im Amsterdamer Exil). Nach Jansons Weggang hat man das von ihm Begonnene bis heute erweitert, ausgebaut und ergänzt; besonders hervorzuheben sind dabei die Werke führender amerikanischer Vertreter des von Janson selbst noch abgelehnten abstrakten Expressionismus.

EXIL UND MODERNE zeigt auch, aber nicht ausschließlich, im Exil entstandene Werke, und nicht nur Werke exilierter Künstler. Exil als existenzielle Herausforderung hat nicht zum wenigsten das hervorgerufen, was man den Kosmopolitismus moderner Kunst nennen darf. Das Thema kann deshalb nicht auf die verfemte Moderne der NS-Zeit beschränkt gedacht werden. Vielmehr bringt EXIL UND MODERNE auch die Verbindung von europäischen und amerikanischen Avantgarden zur Darstellung: die Auswahl der Künstler spannt den Bogen von Beckmann, Feininger, Klee, Matisse und Picasso bis zu Calder, Gorky, Pollock und de Kooning. Einen eigenen Schwerpunkt bildet die Exildruckwerkstatt von Stanley William Hayter im legendären „Atelier 17“, das eine Sonderstellung einnimmt in der transatlantischen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Im Angermuseum berührt das Thema wie kein anderes den Nerv seiner eigenen Geschichte. Im Januar 1937, wenige Monate vor der nationalsozialistischen Beschlagnahmungsaktion vom August desselben Jahres, besuchte Samuel Beckett das Angermuseum, um dort eine der wichtigsten und kultiviertesten öffentlichen Sammlungen moderner deutscher Malerei zu sehen. Die neue Kunst war im Erfurter Museum mit spektakulären Beispielen vertreten, darunter zahlreiche Stiftungen und Leihgaben des kunstbegeisterten jüdischen Unternehmers Alfred Hess, der den größten Teil seiner unvergleichlichen Privatsammlung – „die wohl beste Sammlung deutscher Expressionisten, die es je gegeben hat“ (Edwin Redslob) – testamentarisch dem Angermuseum vermacht hatte. Sie ist heute in alle Welt zerstreut. Von der erzwungenen Exilierung moderner Kunst in der NS-Zeit ist das Angermuseum mit am stärksten betroffen von unwiederbringlichem Verlust. Wegmarken der modernen deutschen Kunst hatten in Erfurt und im Angermuseum ein festes Zuhause gehabt. Daß das Angermuseum erneut und im erweiterten, internationalen Maßstab Wegmarken der klassischen Avantgarden zumindest auf Zeit zu beherbergen und dabei den Brückenschlag zwischen europäischer und amerikanischer Moderne zu veranschaulichen vermag, verleiht der Ausstellung in Erfurt über die historische Vergewisserung hinaus die zukunftsweisende Bedeutung.

Im Rahmen der als Wanderausstellung konzipierten Ausstellungstournee wird EXIL UND MODERNE in den neuen Bundesländern ausschließlich im Angermuseum Erfurt gezeigt.

Wolfram Morath-Vogel, Direktor Pressetext

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EXIL UND MODERNE
Meisterwerke der klassischen Avantgarde aus der Sammlung der Washington University, St. Louis
Kooperation: Mildred Lane Kemper Art Museum, St. Louis im Sam Fox Arts Center, Washington University St. Louis

Werke von Max Beckmann, Georges Braque, Alexander Calder, Theo van Doesburg, Max Ernst, Andreas Feininger, Arshile Gorky, Juan Gris, George Grosz, Philip Guston, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Willem De Kooning, Fernand Léger, Henri Matisse, Roberto Matta, Joan Miró, Antoine Pevsner, Pablo Picasso, Jackson Pollock, Yves Tanguy, u.a.

Stationen:
20.11.04 - 28.03.05 Opelvillen Rüsselsheim
10.04.05 - 21.08.05 Angermuseum, Erfurt