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Die Ausstellung „Falsche Erwartung - Zxudne Oczekiwania“ in der Kunsthalle Darmstadt zeigt, daß die vielschichtige zeitgenössische Kunstlandschaft Polens in keinerlei Hinsicht „auf einen Nenner“ zu bringen ist, die Erwartung einer Nationalitäten-Schau prinzipiell „falsch“ sein muß. Das Motto „Falsche Erwartung“ betrifft auch die Binnenregeln der Werke selbst, mit denen die Künstler tradierte Erwartungshaltungen aufbrechen oder verkehren.

I.: Erster Sektor von „Falsche Erwartung“ ist das Thema Figur. Die Künstler ironisieren und umspielen die Gattung Skulptur genauso wie die malerischen Grundmotive Akt und Porträt. Material und Gestalt werden zu einem Mittel, die Erwartungshaltung gegenüber figurativer Kunst „auszuhebeln“ und bewußtzumachen.

Gezeigt werden u.a. Zuzanna Janins (Warschau) „zerbröselnde“ Skulpturen ohne Masse und Kern. Dem Betrachter bietet sich ein ungewöhnlicher Blick durch die skelettierte Plastik. Er hat sich den Menschen, der die - an mathematische Koordinatensysteme erinnernden - Raster überspannt, selbst zu konstruieren

Die menschlichen Figuren von Agnieszka Kalinowska (geb. in Warschau, Studium an der ASP Poznan) bestehen aus gespannten Gummibändern. Sie sind in Bewegungsfolgen dargestellt, ziehen beispielsweise aneinander, scheinen ihre Kräfte zu messen. Kalinowska durchbricht durch die Inszenierung von Dynamik den Charakter statischer Plastik und führt die Figuren durch das Material „Gummi" wortwörtlich als Bündel von energetischen Raumlinien vor.

Zofia Kulik (Warschau) gestaltet in ihren fotografischen Arbeiten den nackten menschlichen Körper als Ornament. Sie ordnet Akte zu „Mustern“, verfremdet sie zu geometrischen Elementen. Der tradierte Blick auf den nackten Körper ist die Fixierung. Kulik nimmt dem Körper seine Prominenz, verbindet Makrostrukturen abstrakter Kunst mit den Inhalten des Figurativen.

Andrzej Okiƒczyc (Posen) parodiert in seinen Gemälden die – im polnischen Akademiebetrieb bislang durchaus dominante – Gattung Porträt. Er läßt den Menschen in Lichtfeldern verschwinden oder durchleuchtet ihn, zeigt ihn in Röntgenstrahlung, präsentiert in wörtlicher Weise einen xtieferen Einblick’. Ironisch erscheint der Blick des Malers als Werkzeug, das Modell vollständig zu „durchschauen“.

Lech Ratajczyk (Posen) durchbricht gleichfalls Erwartungen gegenüber tradierten Gattungen. Er verfremdet menschliche Figuren und simuliert in der Malerei Collagen, charakterisiert einerseits selbstironisch das Gemälde als Komposition formaler Readymades und spricht ihm andererseits mimetische Allmacht zu.

Marta Deskur (Krakau) zerlegt Klischees von Familienleben. Sie zeigt in ihren Fotoarbeiten eine fiktive Familie mit erfundenem Stammbaum und verbindet alltägliche Ansichten mit biblischen Motiven. In dieser Weise führt sie die Vorstellungen intakter familiärer „Zellen“ auf ihre motivischen Urquellen zurück und entlarvt unreflektierte Vorstellungen von untrennbarer Intimität als Zitat und Konstruktion.

II.: Zweiter Sektor von „Falsche Erwartung“ ist das Thema unerwarteter, „verschobener“ Perspektiven.

Die Fotoarbeiten von Aneta Grzeszykowska und Jan Smaga (Warschau) zeigen Wohnräume von oben. Private Refugien erscheinen so als abstrahierte Grundrisse, als „Schnittmuster“, als Puzzle, das wiederum die Konstruktion von Intimität reflektiert und bloßlegt.

Auch Maciej Kozlowski (Posen) gestaltet vielfach eine Sicht „von oben herab“. Alltägliche Orte und Szenen – beispielsweise vor einem Grill - werden spielerisch ihrer Selbstverständlichkeit enthoben, die Darstellung eines Drogenabhängigen auf einer Toilette verbindet tragisches Geschehen und alltäglichen Ort. Gleichzeitig nutzt Kozlowski sakrale Bildwelten und Comic-Motive für die Inszenierung seiner „Überraschungen“. Diesen Gedanken überträgt Marcin Maciejowski (Krakau) auf die Welt der Medien, der kommerziellen Werbung und erzieherischer Kampagnen. Er isoliert in seinen Gemälden einzelne Motive aus Spots und medialen Belehrungen, bettet sie ins „Nichts“. So reflektiert er die suggestive Kraft inszenierterx Verhaltens- anweisungen’ und verspottet durch seine Standbilder gleichzeitig alle Versuche, ein Publikum zu manipulieren.

III.: Die ironische Reflexion des - polnischen - Kunstmarkts bestimmt Sektor drei von „Falsche Erwartung“.

Zbigniew Rogalski (Warschau) verspottet das Geschäft mit der Kunst und den EU-Beitritt Polens u.a. in einem Gemälde, das einen Maler beim akribischen Verfertigen von Euro-Noten zeigt. „Falsche Erwartung“ betrifft hier auch die weitläufigen Versprechungen, die in der Rhetorik populärer polnischer Politiker mit Europa verknüpft werden.

IV.: Sektor vier der Darmstädter Schau inszeniert einen ungewohnten Blick auf die jüngste Geschichte.

Zbigniew Libera (Warschau) präsentiert simulierte Verpackungen von LEGO-System-Kästen, mit denen sich ein Konzentrationslager bauen läßt. Die höllische Welt der nationalsozia- listischen Vernichtungslager in Polen und der Gedanke eines Kinderspiels, das zunächst Unschuld suggeriert, werden enggeführt. Liebera gelingt es mit dieser Durchbrechung der Betrachtererwartung, das Unfaßbare, aber vielfach Beschriebene, durch einen Schock blitzartig bewußtzumachen.

Pressetext

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Falsche Erwartung - Zxudne Oczekiwania
Zeitgenössische Kunst aus Polen

mit Zuzanna Janins, Agnieszka Kalinowska, Zofia Kulik, Andrzej Okinczyc, Lech Ratajczyk, Marta Deskur, Aneta Grzeszykowska, Maciej Kozlowski, Marcin Maciejowski, Zbigniew Rogalski, Zbigniew Libera, Jan Smaga