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„Die grundsätzliche Infragestellung unserer sozialen Realität bis hin zum gezielten Tabubruch und die formale Untersuchung unserer Wahrnehmungswelt, das Ästhetische – das sind die beiden Bereiche der Kunst, die mich persönlich am meisten interessieren und meine Sammlung im Wesentlichen beherrschen.“ (Ingvild Goetz)

Die Ausstellung „fast forward“ zeigt eine der international renommiertesten privaten Sammlungen der Gegenwartskunst, deren Profil dem Engagement und der besonderen Kennerschaft der in München ansässigen Ingvild Goetz zu verdanken ist. Ihre Sammlung hat 1993 im Münchner Stadtteil Oberföhring in einem von dem Schweizer Architektenduo Herzog & de Meuron als privates Museum mit Bibliothek errichteten Gebäude ihr Domizil gefunden und steht seither im Fokus internationaler Aufmerksamkeit. Mit ihrer beeindruckenden Sammlung, deren Ursprünge in den sechziger Jahren liegen, von der italienischen „Arte povera“ über die amerikanische Malerei der 80er Jahre bis zu den „Young British Artists“, hat sie ein ebenso umfangreiches wie persönliches Panorama der zeitgenössischen Kunst von musealem Rang zusammengetragen. Das breite Spektrum reicht von Malerei über Fotografie bis hin zu Installation, Video und Film. Es ist ein persönliches Anliegen der Sammlerin, die Arbeiten der „ganz jungen Generation“ zu zeigen. So werden neben zahlreichen Arbeiten bereits etablierter Künstler der Gegenwart auch viele Werke junger, aufstrebender Talente angekauft.

„fast forward. Avance rápido“, produziert von ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie und Sammlung Goetz, hat 2003 in Karlsruhe zum ersten Mal einen Überblick über die Medienarbeiten der Sammlung Goetz zu geben versucht. In einer großen repräsentativen Auswahl wurden über 60 Videos, Videoinstallationen und Filme präsentiert. In reduzierter Form wird diese Ausstellung nun im Centro Cultural Conde Duque, Madrid zu sehen sein. Der Schwerpunkt der gezeigten Werke konzentriert sich auf aktuelle Produktionen der neunziger Jahre bis heute.

Ingvild Goetz war eine der wenigen Privatsammlerinnen, die sich früh und konsequent für das neue Medium Videokunst begeisterte und einsetzte. Mit dieser Position nahm sie eine Vorreiterrolle ein, da es sich bei der Videokunst um technisch komplexe Arbeiten handelt, die oftmals sehr aufwändig zu warten und installieren sind. Ingvild Goetz konnte über die Jahre eine Medienkunstsammlung aufbauen, die auf internationaler Ebene zusammen mit der profilierten, exklusiv auf Medienkunst spezialisierten Sammlung Kramlich (San Francisco) zu den bedeutendsten weltweit zählt.

Neue Technologien haben in den letzten 30 Jahren das soziale und gesellschaftliche Leben grundsätzlich verändert. Wir sind konfrontiert mit einer massiven Medienpräsenz in allen Lebensbereichen. Dieser Wandel hat sich auch in der künstlerischen Praxis niedergeschlagen, in der video-basierte Arbeiten als Ausdrucksmittel unserer Zeit mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Der Ansatzpunkt vieler Arbeiten ist die Entwicklung allgemein gesellschaftlich gültiger Fragestellungen aus persönlichen Perspektiven. Als psychosoziale Studien stellen die ausgewählten Arbeiten Fragen nach Zeit, Vergänglichkeit und Erinnerung und bilden im Spiel mit den filmischen Codes, einen Gegenpol zur filmischen Produktion à la Hollywood. Sie thematisieren die veränderten Wahrnehmungsstrategien unserer beschleunigten Gegenwart, in welcher Informationen oftmals im schnellen Durchlauf der „fast forward“-Taste abgespult und aufgenommen werden. Das Zuviel an Information erfordert eine selektive Wahrnehmung, die von den jeweiligen persönlichen Interessen geleitet wird und aufgrund der völlig unterschiedlichen Mediennutzung stark generationsspezifisch ist. Das Medium Video hat die Wahrnehmungsmöglichkeiten von Filmen grundlegend verändert. Im Gegensatz zu Fernsehen und Kino kann der Betrachter selbst bestimmen, ob er eine Szene wieder und wieder sehen möchte oder ob er sich durch schnellen Vorlauf einen Überblick über den gesamten Film verschafft.

Die zeitgenössische Videokunst bedient sich einerseits der narrativen Konstruktionen und Ästhetiken des Films, um den Betrachter visuell gefangen zu nehmen. Gleichzeitig jedoch verweigert sie den reinen Konsum und setzt sich mit Fragestellungen unserer Zeit kritisch auseinander, indem sie unsere Sehgewohnheiten in Frage stellt und neue visuelle Skripts entwickelt, die einen anderen Blick auf die Welt ermöglichen. Neben der Verwendung eigener filmischer Mittel wird oftmals auch direkt auf bereits bestehendes filmisches Material zurückgegriffen (Found Footage), das Teil der generellen Medienreflexion und –appropriation darstellt.

In der Videokunst der letzten Jahre ist die Videoinstallation, die sich auf mehrere Leinwände ausbreitet, eine häufig verwendete gängige Möglichkeit, die Komplexität unserer heutigen Kultur darzustellen. In der Entwicklung einer videospezifischen Sprache rekurriert die aktuelle Videokunst bewusst auf die bildtechnologischen und sozialen Expansionen der sechziger Jahre. Heute stehen die Experimente mit Mehrfachprojektionen vor allem im Dienste einer neuen Narration. Sie nutzen die Möglichkeiten der multiplen Perspektive, um gewöhnliche Sehweisen aufzubrechen. Die subjektive Erfahrung der Welt wird erstmals nicht in einen konstruierten fälschlich objektiven Duktus gepresst, sondern auch formal so zersplittert und fragmentiert repräsentiert, wie sie erlebt wird. Viele Arbeiten setzen sich auf methodisch-analytische Weise mit den ausgeblendeten Machtmechanismen der sozialen Codes auseinander. Die Krise der Repräsentation, welcher die Malerei der achtziger Jahre durch eine Wiederholung historischer, figurativer und expressiver Bedingungen auswich, wird in der gegenwärtigen Videokunst durch eine Wiederkehr jener narrativen Elemente gemeistert, welche die historischen Avantgarden der Literatur, des Theaters und der Musik antizipiert haben. In diesem Sinne ist der Sammlungsschwerpunkt von Ingvild Goetz zu sehen, der sich an der Problematik unserer Zeit und den immer komplexeren Veränderungen unserer Umwelt orientiert.

Der spanische Katalog zur Ausstellung wird neben Essaytexten eine umfangreiche Dokumentation zu den gezeigten Medienarbeiten der Sammlung enthalten.