press release only in german

Der Flaneur, eine der zentralen Figuren in der Geschichte der modernen Kunst, ist offenbar ein ausschließlich männliches Phänomen. Es ist der ‚Mann auf der Straße' - der Künstler, der Literat, der Protagonist - dem das Sehen in der Großstadt gestattet und vorbehalten war. Frauen - wollten sie nicht als Prostituierte verdächtigt werden - blieb dagegen der ungehinderte Zugang zu den Innen- und Außenräumen der Großstadt aus sittlich-moralischen Gründen lange verwehrt. Weibliche Flaneure scheint die Kunst-, Literatur- und Kulturgeschichte der Moderne daher so gut wie nicht zu kennen.

Während jüngste kultur- und literaturwissenschaftliche Untersuchungen bereits auf diese Festschreibungen mit einschlägigen Gegenbeispielen aufmerksam machten, interessierte die Kunstgeschichte dieses Desiderat bislang nur am Rand.

Daß es dennoch Künstlerinnen gab, die die Barrieren bürgerlicher Konvention und Schicklichkeit überschritten und in die Bild-Reviere ihrer männlichen Künstlerkollegen eingedrungen sind, zeigt erstmals diese Ausstellung.

Im Zentrum stehen jene Werke, die die für Frauen lange Zeit unzugänglichen Räume thematisieren, in denen sich der ‚Künstler-Flaneur' schon immer frei bewegen konnte und die seit Mitte des 19. Jahrhunderts seine Modernität definiert hatten: die großstädtische Welt der Boulevards, der Bars, Cafés, Nachtlokale und Amüsierbetriebe jeder Kategorie.

Erste Beispiele für die Eroberung dieser Sujets durch Künstlerinnen finden sich in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, so in den Tanzlokalszenen Ida Gerhardis (1862-1927), den Kneipen- und Varietészenen von Käthe Kollwitz (1867-1945) und Sella Hasse (1878-1963), den schalkhaften Gesellschaftsszenen der ‚Blauen Reiterin' Marianne Werefkin (1860-1938) und der Anita-Berber-Mappe von Charlotte Berend-Corinth (1880-1967). Den Schwerpunkt bilden die Arbeiten der ‚neuen Künstlerinnen' der Weimarer Zeit, in der die Vergnügungswelt bekanntlich Hochkonjunktur hatte. Neben die expressionistischen Einblicke in den Taumel der Zeit von Lou Albert-Lasard (1885-1969) gesellen sich die realitätskritischen Beobachtungen der Hannoveranerinnen Gerta Overbeck (1898-1977) und Grethe Jürgens (1899-1981). Zahlreiche Arbeiten von Künstlerinnen, die sich thematisch erstmals in Rotlichtbezirke vorwagten, wie Jeanne Mammen (1890-1976), Elfriede Lohse-Wächtler (1899-1940) und Elsa Haensgen-Dingkuhn (1898-1991), zeugen von den ambivalenten Erfahrungswelten der ‚Neuen Frauen' in der schillernden Vergnügungs- und Konsumwelt der späten zwanziger Jahre.

Es ist die Konzentration auf die facettenreichen Erscheinungen der modernen großstädtischen Gesellschaft - speziell erfaßt aus einer weiblichen Perspektive, die der Ausstellung - insbesondere im ersten Museum weltweit, das einer Künstlerin gewidmet wurde - ihren besonderen Stellenwert verleiht. Die 70 präsentierten Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen vermitteln zugleich einen spannungsvollen Querschnitt durch die künstlerischen Entwicklungen des beginnenden 20. Jahrhunderts.

only in german

Femme Flaneur
Erkundungen zwischen Boulevard und Sperrbezirk

Künstler:
Ida Gerhardis, Käthe Kollwitz, Sella Hasse, Marianne von Werefkin, Charlotte Berend-Corinth, Lou Albert-Lasard, Gerta Overbeck, Grethe Jürgens, Jeanne Mammen, Elfriede Lohse-Wächtler, Elsa Haensgen-Dingkuhn

Ort:
Paula Modersohn–Becker Museum, Bremen