Städel Museum, Frankfurt

Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie | Dürerstr. 2
60596 Frankfurt

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Die mittlerweile siebte Ausstellung der Reihe „Fokus auf“ rückt mit dem um 1450 entstandenen Gemälde „Der Evangelist Markus“ von Andrea Mantegna (1431–1506) eines der frühesten bekannten Werke dieses für die Kunst der Frührenaissance in Oberitalien zentralen Künstlers in das Zentrum der Betrachtung und wirft dabei Schlaglichter auf die vielfältigen Fragestellungen, die mit dem Werk verbunden sind. Neben Aspekten wie der Ikonographie, der Zuschreibung, der Maltechnik und der Datierung zählt hierzu insbesondere die Frage nach den möglichen Vorbildern, deren sich der junge Mantegna für seinen „Evangelisten Markus“ bediente. Zudem geht das heutige Erscheinungsbild auf eine nachträgliche und tiefgreifende konzeptuelle Veränderung zurück, die anhand der gemäldetechnologischen Befunde von Röntgenbild und Infrarotreflektographie nachvollziehbar gemacht werden soll. Mit der Frage nach der ursprünglichen Komposition ergibt sich zugleich diejenige nach dem möglichen Kontext, für den die Leinwand in der ersten Konzeption gedacht gewesen sein könnte.

Die Ausstellung wird großzügig von der Schering Stiftung, Berlin, unterstützt, die es sich zum Ziel gesetzt hat, herausragende Leistungen in Wissenschaft und Kunst zu fördern und für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen.

Das Werk Vor neutralem, fast schwarzem Fond erscheint in einer steinernen Fensteröffnung die bemerkenswert plastische Halbfigur des bärtigen Evangelisten Markus, der seinen leicht ins Dreiviertelprofil gewendeten Kopf mit dem rechten Arm auf dem Fenstersims abstützt und mit leicht geöffnetem Mund am Betrachter vorbei in die Ferne blickt. Auf dem lebhaft gemaserten Fenstersims vor dem Evangelisten sind eine Zitrusfrucht sowie ein prachtvoller Kodex erkennbar. Die nach den Regeln der Zentralperspektive konstruierte Fensterarchitektur zitiert mit Perlstab, bunten Marmoreinlagen und Akanthuslaub antike Motive. Vor dem Rundbogen des Fensters ist zudem eine ebenfalls antikisierende Girlande aus Blättern und Früchten angebracht, während unterhalb des Fenstersimses ein beschrifteter Pergamentstreifen, ein „cartellino“, fixiert ist. Erst auf den zweiten Blick erschließt sich das ausgefeilte räumliche Konzept der Darstellung, die den Eindruck einer Verschmelzung von Bild und Realität entstehen lässt.

Zuschreibungsfragen Der Frankfurter „Evangelist Markus“, der 1867 für das Städel Museum erworben werden konnte, war trotz Signatur hinsichtlich seiner Zuschreibung lange Zeit umstritten. Hierfür war nicht zuletzt der schlechte Erhaltungszustand des Bildes verantwortlich: Durch mechanische Beanspruchung und frühere Reinigungsmaßnahmen hatte es Verluste an originaler Malsubstanz erleiden müssen; außerdem war es durch einen nachträglich aufgebrachten und stark verfärbten Firnisüberzug in seinem Erscheinungsbild schwer beeinträchtigt. Dementsprechend wurde das Gemälde mehrheitlich als Werk eines Malers aus Mantegnas Umfeld eingestuft, wobei die Signatur zur nachträglichen Zutat erklärt wurde. Erst eine zu Beginn der 1990er-Jahre anlässlich der großen Mantegna-Ausstellung in London und New York in Angriff genommene sorgfältige Konservierung und Restaurierung, bei der sowohl der verfärbte Firnis als auch spätere Übermalungen und Retuschen entfernt wurden, führte zu einer grundlegenden Neubewertung: Nachdem die hohe Qualität der Malerei wieder erkennbar wurde und zudem die Echtheit der Signatur nachgewiesen werden konnte, gilt es seither übereinstimmend als eigenhändiges Werk aus der Frühzeit des Künstlers und damit zugleich als eines der frühesten erhaltenen Tafelgemälde Mantegnas überhaupt.

Die Maltechnik: Leimfarben auf Leinwand Leinwand als Bildträger ist bei den erhaltenen italienischen Tafelbildern des 15. Jahrhunderts nur vergleichsweise selten anzutreffen; wie nördlich der Alpen war Holz der übliche Bildträger. In Venedig, unter dessen Herrschaft Padua seit 1405 stand, scheint aber schon relativ frühzeitig mit Leinwand experimentiert worden zu sein – unter anderem von Mantegnas Schwiegervater Jacopo Bellini. Aber nicht nur der Bildträger selbst ist ungewöhnlich, sondern auch die Ausführung: Mantegna benutzt nicht die sonst üblichen Temperafarben, sondern Leimfarben. Diese Technik, bei der das fertige Gemälde keinen Firnisüberzug erhält, erzeugt eine pastellartig-matte, opake Farbigkeit, die im Fall des „Evangelisten Markus“ einen weit über die Möglichkeiten der herkömmlichen Temperamalerei hinausgehenden Grad an Realismus in der Wiedergabe unterschiedlicher Stofflichkeiten ermöglichte. Mantegna verwendete diese innovative Technik bis an sein Lebensende immer wieder, auch für bedeutende Aufträge.

Lehrjahre und erste Schritte als Künstler Andrea Mantegna erhielt seit den frühen 1440er-Jahren seine künstlerische Ausbildung in Padua, das durch seine Universität im 15. Jahrhundert zu den wichtigsten Zentren humanistischer Studien in Italien zählte. Francesco Squarcione, Mantegnas Lehrmeister und Adoptivvater, unterhielt die wohl bedeutendste Ausbildungsstätte für angehende Künstler in Padua. Squarcione legte besonderen Wert auf das Studium nach antiken und zeitgenössischen Vorbildern, welches bei ihm anhand einer umfangreichen Sammlung von Zeichnungen, Druckgraphiken und Skulpturen ausgiebig betrieben werden konnte. Als eigenständige Künstlerpersönlichkeit ist er dagegen kaum fassbar.

Florenz in Padua: Donatello, Uccello, Fra Filippo Lippi Wichtiger als Squarcione war für den jungen Mantegna und seine künstlerische Entwicklung die direkte Berührung mit der aktuellsten florentinischen Kunst: Von 1443 an lebte und arbeitete der Bildhauer Donatello, eine der wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten der Frührenaissance, in Padua und führte dort bedeutende Aufträge aus. Auch die Maler Paolo Uccello und Fra Filippo Lippi arbeiteten zeitweise in Padua, sodass hier die Prinzipien der „modernen“ Kunst der Frührenaissance anhand herausragender Beispiele vor Ort studiert werden konnten. Bei dem Frankfurter „Evangelisten Markus“ ist dieser Einfluss deutlich erkennbar: Die skulpturale Wirkung des Heiligen, das ausgeklügelte Spiel mit verschiedenen räumlichen Ebenen und deren Durchbrechung sowie die Beherrschung der Zentralperspektive für die Konstruktion des Fensterbogens lassen das Vorbild Donatellos und seiner Florentiner Künstlerkollegen erkennen. Auch Motive wie die prachtvolle, vor den Rundbogen gehängte Blatt- und Fruchtgirlande oder die antikisierende Formensprache konnte Mantegna hier kennenlernen. Vermutlich hatte Mantegna darüber hinaus auch früh Zugang zu Werken zeitgenössischer niederländischer Maler, die von italienischen Kunstliebhabern aufgrund ihres völlig neuartigen Detailrealismus, der sich etwa in der überzeugenden Wiedergabe unterschiedlicher Stofflichkeiten zeigt, schon um die Jahrhundertmitte geschätzt und gesammelt wurden.

Gemäldetechnologische Untersuchung und Konzeption Das heutige Erscheinungsbild des Gemäldes ist nicht auf einen einheitlichen Entwurf zurückzuführen, sondern das Ergebnis einer nachträglichen und tiefgreifenden Überarbeitung durch den Künstler. Dies ist zum Teil bereits mit bloßem Auge erkennbar und wird durch gemäldetechnologische Befunde bestätigt. Die Infrarotreflektographie, mit deren Hilfe die Unterzeichnung des Gemäldes sichtbar gemacht werden kann, zeigt deutlich, dass der Rundbogen der Fensteröffnung sich eigentlich nach rechts hin perspektivisch verjüngen sollte und sowohl die rechte Fensterlaibung als auch die Fensterbank deutlich schmaler angelegt waren. Im Röntgenbild wird sichtbar, dass die Farbschichten der verbreiterten rechten Bogenhälfte und der hinteren Partie der Fensterbrettes über der bereits ausgeführten Hintergrundmalerei und dem Mantel des Evangelisten liegen – die Veränderungen wurden also erst sekundär an dem weitgehend fertiggestellten Bild vorgenommen. Auch der große Kodex und die Frucht, die ebenfalls über bereits vorhandene Farbschichten gemalt sind, wurden erst zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt. Offenbar war zunächst geplant, den Evangelisten in einer auf starke Schrägansicht hin konzipierten Rahmenarchitektur darzustellen, was dann zugunsten einer mehr oder weniger frontalansichtigen Neukonzeption aufgegeben wurde. Die Rekonstruktion des ersten Zustandes zeigt, dass „Der Evangelist Markus“ ursprünglich kaum als selbständiges Einzelbild gedacht gewesen sein kann. Es ist anzunehmen, dass er zunächst als Bestandteil eines größeren Auftrages begonnen wurde, der dann aus unbekannten Gründen aufgegeben wurde. Wie aber sah dieser Auftrag aus? Eine Möglichkeit, die von Prof. Dr. Jochen Sander, Sammlungsleiter für altniederländische und altdeutsche Malerei im Städel Museum, vorgeschlagen wurde, wäre etwa die Zugehörigkeit zu einer ganzen Serie von Heiligendarstellungen, beispielsweise der vier Evangelisten, die für die bildliche Ausstattung einer Kapelle bestimmt waren. Die räumliche Verteilung der Einzelbilder in der Kapelle könnte dabei plausibel die auf Seitenansicht ausgelegte Konstruktion des Gemäldes erklären. Denkbar wäre aber auch eine andere Lösung. Betrachtet man die ursprüngliche Konstruktion des Fensterbogens und versucht, diese sinnvoll zu einem Bildprogramm zu ergänzen, erscheint die Annahme eines dreiachsigen Bezugsystems als plausibelste Lösung: Markus könnte hier den linken Platz einnehmen. Ob es sich bei diesem dreiteiligen Bildprogramm um ein Triptychon, ein drei Achsen und zwei Register umfassendes Polyptychon oder eine hiervon völlig verschiedene Lösung gehandelt haben mag, muss allerdings offen bleiben.

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Fokus auf Andrea Mantegna
Der Evangelist Markus, um 1450 (Inv. Nr. 1046)

Kurator: Gabriel Dette

Ort: Kabinett zum Main