press release only in german

Eröffnung: 24. Mai 2008 14 Uhr bis 17 Uhr, Eröffnungsrede um 15 Uhr

Pressetext:

Die Sammlung Goetz zeigt eine umfassende Werkschau mit mehr als 20 Arbeiten des 1959 im belgischen Antwerpen geborenen Künstlers Francis Alÿs. Fotografien, Collagen, Gemälde, Zeichnungen, Audio-, Dia- und Videoinstallationen sowie Skulpturen geben einen Überblick über Alÿs’ reiches Schaffen zwischen den Jahren 1991–2006.

Nachdem 2001 bereits der damals neue Filmraum BASE 103 u.a. mit Alÿs’ Videoinstallation Cuentos Patrióticos (1997) eingeweiht wurde, hat der Künstler nun ein Ausstellungskonzept mit allen in der Sammlung befindlichen Werken entwickelt. Alÿs erzählt in seinen Werken kleine Geschichten, die humorvoll sind und gleichzeitig einen melancholischen Charakter haben. Ohne moralisch belehrend zu sein, regt er auf subtile Art und Weise den Betrachter zum genauen Hinsehen an. Oft thematisiert er den Straßenalltag und beschäftigt sich mit den urbanen Gegebenheiten seiner Wahlheimat Mexiko. Durch seine Paseos – Spaziergänge – wurde er international bekannt und schaffte rund um diese Spaziergänge ein vielfältiges Werk, das sich nicht nur mit sozialen, politischen und geschichtlichen Gegebenheiten seiner Wahlheimat kritisch und mit feinem Humor sensibel auseinandersetzt, sondern darüber hinaus immer auch eine allgemeingültige, zutiefst menschliche Dimension hat. In seinen Zeichnungen stellt Alÿs oft das Prozesshafte seiner Kunstwerke transparent dar und lässt so den Betrachter zum Komplizen werden. Der Dialog mit dem Betrachter beschäftigt den Künstler in vielen seinen Arbeiten und so auch in dieser Ausstellung.

Im Eingangsbereich beginnend, hat der Künstler über das gesamte Gebäude seine neunteilige Videoinstallation Choques (2005–2006) verteilt. Die Videos zeigen einen Zusammenstoß zwischen einem Hund und einem Mann aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Durch die Platzierung der Monitore, leitet die Arbeit den Ausstellungsbesucher von einem Monitor zum nächsten. So wird er vom Künstler durch die Ausstellungsräume geleitet. Eine scheinbare Irreführung erfährt der Betrachter durch das Werk Ohne Titel (1996), welches aus zwei kleinformatigen Gemälden besteht, wovon eines die exakte Kopie des anderen ist. Sie zeigen die Beine eines Mannes, der auf einem Trottoir hinter einer Katze herläuft. An zwei unterschiedlichen Orten im Museum installiert, rufen sie beim Betrachter einen vom Künstler intendierten Moment des Déjà-vu hervor. Sie entstammen der gleichnamigen Serie, die zwischen 1996 und 2002 entstand und insgesamt 15 Bilderpaare umfasst. Viele der weiteren ausgestellten Werke entstanden in der geschichtsträchtigen Umgebung des Zócalo, dem Hauptplatz Mexico Citys. Dazu gehört Cuentos Patrióticos. Im Video umrundet der Künstler den Fahnenmast auf dem Zócalo, an einer Leine trottet ein einzelnes Schaf hinter ihm her. Mit jeder neuen Runde kommt ein weiteres Schaf hinzu, bis sie einen geschlossenen Kreis bilden. Als Ausgangspunkt dieser absurd anmutenden Aktion diente Alÿs ein konkretes Ereignis. Während der Unruhen von 1968 waren Tausende von Staatsdienern auf den Zócalo gerufen worden, um die Regierung demonstrativ zu unterstützen, drehten aber in einem rebellischen Akt der offiziellen Tribüne den Rücken zu und begannen zu blöken wie eine riesige Schafherde.

Von 1992 bis 2001 hat Alÿs in den Straßen Mexico Citys Menschen und Tiere fotografisch dokumentiert. In der Diashow Ambulantes (1992–2001), das mit „Umherziehenden“ oder „Wanderern“ zu übersetzen ist, fotografiert Alÿs Menschen, die verschiedenste Dinge wie Kisten, Pflanzen, Tonnen, Luftballons und vieles mehr über die ansonsten menschenleeren Straßen tragen oder ziehen. Obwohl die Tätigkeit des Schleppens dieser überproportional großen Gegenstände eines immensen Kraftaufwandes bedarf, strahlen die Aufnahmen Ruhe und Gelassenheit aus. Alÿs stellt durch die Improvisationen der ärmsten Großstädter des Landes die Kehrseite einer vernetzten, globalisierten Wirtschaft und Gesellschaft dar. Sie sind mehr als nur ein Beleg für die Armut in der Millionenmetropole und dokumentieren – wie auch die beiden Arbeiten Sleepers III (2003) und Beggars (2003–2004) – den privaten Gebrauch der Straßen, das Aneignen des öffentlichen Raums. Die Sammlerin Ingvild Goetz charakterisiert den Künstler wie folgt: „Francis Alÿs beobachtet die Menschen genau, wie sie sich abmühen, an kleinen Dingen Freude haben, wenn auch ihr Leben nicht einfach ist. Er spricht von den Niederlagen und Triumphen des alltäglichen Lebens ohne Spott oder Zynismus, eher mit der Traurigkeit eines Clowns. Die Wahrnehmung des von uns oft Übersehenen und dessen Dechiffrierung oder auch die Aufladung des Banalen mit Assoziationen ist das, was ihn interessiert.“

Francis Alÿs studierte von 1978 bis 1983 zunächst Architektur in Tournai (Belgien) und erwarb seinen Abschluss am Istituto Universitario de Architettura in Venedig. Seit 1986 lebt er in Mexico City und hatte bereits 1990 dort seine erste Einzelausstellung. Er gilt als einer der wichtigsten Künstler des Landes. Ab Mitte der 1990er Jahre wurde auch die internationale Kunstszene auf ihn aufmerksam. Die Bedeutung seines OEuvres wird eindrucksvoll durch die Anerkennung bezeugt, die ihm in zahlreichen internationalen

Ausstellungen in Museen, Galerien und der Teilnahme an Biennalen entgegengebracht wird. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog (dt./engl.) mit einer Einführung von Ingvild Goetz sowie Texten von Magali Arriola, Karsten Löckemann, Stephan Urbaschek und Katharina Vossenkuhl, die zudem das Werkverzeichnis erstellt.

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Francis Alÿs

Duration of exhibition 26 May – 18 October 2008

The Goetz Collection is putting on a wide-ranging exhibition of more than 20 works by Antwerp-born Belgian artist Francis Alÿs. Photographs, collages, paintings, drawings, audio-, slide-, and video installations and sculptures provide an overview of Alÿs’ rich output between 1991 and 2006. In 2001, his video installation Cuentos Patrióticos (1997) was one of the works shown at the opening of the new film room BASE 103. Now the artist has developed an exhibition that embraces all the works out of the Collection.

In his works, Alÿs tells little stories that are humorous and yet also melancholy in character. Without being morally enlightening, he manages to subtly prompt the viewers to take a close look. His subject matter is often everyday life in the streets, focusing on urban actuality in his chosen homeland of Mexico. He first established an international reputation with Paseos (Walks). Using these walks as a basis, he created a diverse oeuvre that sensitively explores social, political, and historical conditions in his chosen homeland with delicate humor while always retaining a general, profoundly human dimension. In his drawings, Alÿs often lays bare the processual nature of his works, thereby drawing viewers in as accomplices. The dialogue with viewers is one of the artist’s main focuses in his works, as in this exhibition.

Starting in the entrance area, the artist has chosen to show his nine-part video installation Choques (2005-2006) throughout the whole museum. The videos show a collision between a dog and a man from various angles. The placing of the monitors is such that the work guides visitors from one monitor to the next, eventually taking them round the whole exhibition.

Untitled (1996) practices a prank on visitors. It consists of two small-format paintings that are exact copies of each other. They show the legs of a man walking behind a cat on the sidewalk. Installed in two different places in the museum, they give visitors a sense of déjà vu, as the artist intended. The pictures come from a series of the same title dated 1996 – 2002 and comprise a total of fifteen pairs of pictures.

Many of the other works exhibited were produced in the historic environment of Zócalo, the main square in Mexico City. Among them is Cuentos Patrióticos. In the video, the artist goes round and round the flagpole in the Zócalo with a sheep trotting after him on a lead. With each circuit, a new sheep joins them until they make a complete circle. The origin of this absurd-seeming action was a historical event. During the civil unrest of 1968, thousands of civil servants were summoned to the Zócalo to show vocal support for the government, but in an act of defiance they turned their backs on the official platform and began to bleat like a huge herd of sheep.

From 1992 to 2001, Alÿs documented people and animals in the streets of Mexico City. In the slide show Ambulantes (1992-2001) that can be translated with “people walking around” or “itinerants”, Alÿs photographed people carrying or pulling a wide range of things such as boxes, plants, barrels, balloons, and many other things along otherwise empty streets. Although the act of lugging such outsize objects along requires immense exertion, the pictures radiate calmness and composure. With the poorest city dwellers in the country improvising like this, Alÿs shows the underside of a globally networking economy and society. They are more than just proof of poverty in the huge metropolis. Like Sleepers III (2003) and Beggars (2003-2004), the slides document the private use of the streets and appropriation of public space.

Collector Ingvild Goetz describes the artist thus: “Francis Alÿs has a sharp eye for how people cope with problems and have pleasure in small things, even though their lives aren’t easy. He shows us the defeats and triumphs of ordinary life without mockery or cynicism, in fact more with the melancholy of a clown. What interests him is the perception and decoding of what we often fail to notice, and how even ordinary things acquire a battery of associations.”

Francis Alÿs initially studied architecture in Tournai (Belgium), graduating at the Istituto Universitario di Architettura in Venice. He has lived in Mexico City since 1986 and had his first solo exhibition there in 1990. He is now considered one of the most important artists in the country. From the mid-1990s, he was recognized internationally. The importance of his work is impressively borne out by the recognition accorded to him in countless international exhibitions in museums and galleries and the participation in biennales.

The exhibition will be accompanied by a catalogue (in German/English), with an introduction by Ingvild Goetz, and contributions by Magali Arriola, Karsten Löckemann, Stephan Urbaschek and Katharina Vossenkuhl, who also drew up the exhibition list.

only in german

Francis Alÿs