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Francis Bacon wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum bedeutendsten Erneuerer der figurativen Malerei. In einer Epoche, die von den ungegenständlichen Tendenzen des Abstrakten Expressionismus in den Vereinigten Staaten und des Informel in Europa geprägt war, konzentrierte er sich ganz auf die Darstellung des Menschen.

In seinen zumeist großformatigen Gemälden Porträts und Akten wird die menschliche Kreatur in ihrer ganzen Größe, Sinnlichkeit, aber auch in ihrem Elend und ihrer Verworfenheit, dargestellt und gefeiert. Wie bei keinem zweiten Künstler des 20. Jahrhunderts ist das malerische Werk ein Spiegel der eigenen zerrissenen und gequälten Existenz und Vita des Malers, der in obsessiver Intensität und Konsequenz immer wieder seine eigene Körperlichkeit erforscht, die Fleischlichkeit bis zur Ekelschwelle zum ausschließlichen Thema seines Oeuvres macht.

Bacon, geboren 1909 als Sohn englischer Eltern im irischen Dublin, hat nie eine Akademie besucht. Sein erstes, 1944 entstandenes Triptychon Drei Studien zu Figuren am Fuß einer Kreuzigung (heute in der Tate Gallery) machte den Künstler schlagartig berühmt. Mit diesem Werk, das sich stark an Picassos surrealistischer Bildsprache orientiert, wollte Bacon im Rückblick sein Lebenswerk beginnen lassen. Noch kurz vor seinem Tod war dieses frühe Werk für ihn so aktuell, daß er 1988 eine zweite Fassung davon schuf. Beide Triptychen sowohl das von 1944 als auch die größere Version von 1988 sind nun in der Ausstellung zu sehen. Die meisten Arbeiten der in den 30er Jahren entstandenen Gemälde hat Bacon zerstört. Erstmals wird auch eine kleine Gruppe von Arbeiten aus dieser Werkphase gezeigt.

Ab Ende der 40er und verstärkt in den 50er Jahren setzt sich Bacon zunächst mit Velazquez und später auch kurzzeitig mit van Gogh auseinander. Insbesondere inspiriert den Künstler Velazquez' berühmtes Porträt Papst Innozenz' X., das eine geradezu obsessive Beschäftigung mit diesem Motiv nach sich zieht. In jenen Jahren entsteht eine Reihe von Bildnissen isolierter Gestalten, zumeist in sie bedrängenden, düsteren und verschwommenen Bildräumen. Manche der zumeist sitzend dargestellten Figuren tragen animalische Züge, immer wieder taucht der zum stummen Schrei geöffnete Mund auf. Dieses eindrückliche Motiv entstammt einer zentralen Filmszene aus Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin, die das schmerzverzerrte Gesicht der tödlich verwundeten Kinderschwester zeigt. In Büchern gefundene Photographien, z.B. die anatomischen Bewegungsstudien von Edward Muybridge oder Porträts seiner engen Freunde, aufgenommen von John Deakin, hat Bacon bei seiner Arbeit stets dem lebenden Modell vorgezogen.

Anfang der 60er Jahre markieren Werke wie das "Porträt Henrietta Moraes" (1963, Privatsammlung), vor allem aber die monumentale "Kreuzigung" (1965 Staatsgalerie moderner Kunst, München) eine Zäsur im Oeuvre des Malers. Zentrales Motiv wird nun das Fleisch des traktierten, deformierten, verstümmelten Körpers, der in intensiv leuchtenden Farbräumen wie auf einer Bühne präsentiert wird.

Die Bilder vermitteln die Gefährdungen der menschlichen Existenz, deren intime Seiten mit einer Fülle von Emotionen gewaltsam, zärtlich und schuldbeladen bloßgelegt werden. Die neue, bisweilen grelle Farbigkeit, die sich in der Van Gogh-Serie von 1957 vorbereitet, läßt sich auch mit der gleichzeitigen Pop Art in Verbindung bringen. Das Triptychon wie auch das Motiv der Kreuzigung begreift Bacon nicht in einem religiösen Zusammenhang. Er nutzt lediglich die traditionelle und autoritative Bildform und das in ihr enthaltene zeitliche Moment. Die Bildfolgen erinnern an die filmische Breitwand, doch werden mögliche Erzählfäden nur scheinbar geknüpft und viel öfter wieder bewußt zerschnitten.

Die siebziger Jahre stehen im Zeichen der Einzelfiguren und der Sterblichkeit. Nach dem tragischen Tod seines Lebensgefährten George Dyer im Jahr 1971 wird Bacons Werk zu einer Art erinnernder Bestandsaufnahme des eigenen Lebens. Die ineinander verschlungenen Figuren tauchen erstmals seit den 50er Jahren wiederholt auf. Immer wieder sind es Freunde wie Lucian Freud, Rachel Rawsthorne, Frank Auerbach und der verstorbene George Dyer, die er porträtiert.

In der letzten Werkphase, von 1976 bis zu seinem Tod im Jahr 1992, scheint sich Bacon von der Härte und Aggressivität der vorangegangenen Jahre zu verabschieden. Landschaften und Torsi sind nun sein Thema. Der Farbauftrag wird im Lauf der Jahre glatter, fast transparent, die Palette hellt sich stark auf. Der beunruhigende Kontrast zwischen der sich weiter verflüchtigenden Figur und dem sie umgebenden zarten, harmlosen Hintergrund wird größer denn je.

Das Werk Francis Bacons hat die künstlerische Arbeit einer ganzen Epoche mitgeprägt und die Auffassung des Menschen als eines einsamen und auch gegen sich selbst gewalttätigen, gleichzeitig aber auch hoffnungsvollen und sehnsüchtigen Wesens beeinflußt. Im Zusammenhang mit der Wiederentdeckung des menschlichen Körpers und der Neubewertung seiner Sexualität, im Kontext von Identitätsfragen, Schönheitskult und gentechnologischen Möglichkeiten erscheint Bacons Werk nun in einem neuen Licht.

Die Ausstellung, die nach ihrer ersten Station im Centre Pompidou in Paris nur noch in München zu sehen ist, wurde von David Sylvester, dem besten Kenner des Baconschen Oeuvres, konzipiert. Sylvester hat den Maler über fast vier Jahrzehnte hinweg begleitet und unzählige Gespräche mit ihm geführt. Einige davon liegen auch in deutscher Sprache vor. Mit rund hundert Werken, davon 17 monumentale Triptychen, ist die erste Retrospektive seit dem Tod des Künstlers ebenso umfangreich wie die bisher größte Ausstellung des Oeuvres von Bacon in Deutschland in Düsseldorf 1972 und vollständiger als die Retrospektive von 1985/86.

Begleitend zur Ausstellung findet am 8. und 9. November 1996 unter dem Titel WO MÄNNER SICH NAHE SIND ein Symposium zur künstlerischen Auseinandersetzung mit Erotik unter Männern statt. Das genaue Programm mit den Referenten und ihren Themen liegt im Oktober vor.