press release only in german

Am 20. April 2012 eröffnet der Hartware MedienKunstVerein (HMKV) auf der 3. Etage des Dortmunder U mehrere Einzelausstellungen. Zwei davon treten in einen engen thematischen Dialog miteinander: Die britische Künstlerin Suzanne Treister (HEXEN 2.0) und der deutsche Künstler Francis Hunger (History has left the Building) beschäftigen sich in ihren Ausstellungen mit ähnlichen Sujets – den Hoffnungen, Utopien, aber auch Dystopien, die mit der Entwicklung von modernen Technologien im 20. Jahrhundert verknüpft sind, mit den gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Entwicklung und mit ihrer Funktion als Beschleuniger sozialer und ökonomischer Prozesse in unterschiedlichen politischen Systemen. Beide Künstler betreiben Medienarchäologie mit den Mitteln künstlerischer Narration. Sie erzählen Geschichten aus dem Zeitalter der Informationstechnologien und präsentieren dabei unerhörte und -gesehene Fundstücke in Form von filigranen Zeichnungen und Diagrammen (Treister) sowie Installationen, Hörspielen, Videos und Performances (Hunger).

Francis Hunger: History has Left the Building

Die Ausstellung History has left the Building von Francis Hunger (*1976, Dessau) thematisiert die Hoffnungen und Visionen, die in den staatlich organisierten Utopien des 20. Jahrhunderts mit der Entwicklung neuer Technologien verbunden waren, und erinnert an die Opfer dieses technologischen Fortschritts. Hungers künstlerische Narrationen in Form von Installationen, Performances und Hörspielen reflektieren die neuralgischen Kristallisationspunkte zwischen Technologie und Ideologie, welche Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Verfasstheit vor und nach dem Zusammenbruch des Kommunismus zulassen.

Francis Hunger versucht durch eine künstlerische Form aktiver Trauerarbeit den „Mythen-Schutt“ der gescheiterten Revolutionen des letzten Jahrhunderts beiseite zu räumen, um Platz zu schaffen für die Diskussion möglicher neuer Gesellschaftsideen. Der alle Arbeiten umfassende thematische Bogen, den Hunger dabei spannt, ist die Auseinandersetzung mit der Entwicklung und Bedeutung verschiedener komplexer Technologien in sozialistischen Systemen, an deren Fragestellungen und Problemen sich auch Schlüsse für das Scheitern der gesellschaftlichen Utopien ablesen lassen: 5-Jahres-Pläne sind mit der sekundenschnellen permanenten Gegenwart vernetzter Technologien nicht kompatibel. Ihre dezentrale Organisation widerspricht dem sozialistischen Zentralismus.

Vor diesem Hintergrund interessiert sich Francis Hunger für Artefakte, an denen jene Diskurse Spuren hinterlassen haben; die von ihnen ihre Form erhalten haben. Der SETUN-Computer, eine experimentelle sowjetische Rechenanlage, die im Gegensatz zum später weltweit erfolgreichen binären System drei Schaltzustände kannte (0, 1 und -1), und der Sputnik-Satellit sind für ihn stumme Zeugen aus der „ideologischen Antike“ (Alexander Kluge), die uns aus vergessenen Archiven heraus anfunken.

Er spricht über den Stellenwert, den Technologie als Katalysator für gesellschaftliche, politische und ökonomische Prozesse hat, und stellt Fragen, die uns auch heute (gerade heute) etwas angehen, wenn es z.B. um Wege aus der Sackgasse der herrschenden neoliberalen Ideologie geht. Seine künstlerischen Narrationen, die bewusst keine reinen Nachbildungen historisch gesicherter Fakten sind und in denen er auch seine eigene künstlerische Praxis diskutiert, scheinen durch mancherlei Anlehnungen an die Populärkultur von fernen Parallelwelten zu erzählen, in denen Avantgarde, Politik und Wissenschaft eins waren (Sieg der Sonne). Sie schärfen den Blick für unsere Gegenwart, in der die eigenen postfordistischen, vernetzten Technologien kapitalistischer Gesellschaften eine Auslagerung der klassischen Produktion von Gütern in Weltgegenden bewirkt haben, die sich nicht gegen Ausbeutung wehren können, ein System ermöglichen, das auf permanenter Selbstausbeutung und Selbstoptimierung beruht, und Kapital generieren, das nur in unserer Vorstellung existiert (Humankapital).