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In der Zeit der Weimarer Republik gehörten Verismus und Neue Sachlichkeit zu den prägenden Erscheinungen der Kunst in Deutschland. Auf die Erfahrung des Ersten Weltkriegs und die Krise der Gesellschaft antworteten sie nicht mehr mit der expressionistischen Utopie des Neuen Menschen, einer Ekstase des Subjekts und seiner Emotionen („Gefühl ist Privatsache“, formulierte Bert Brecht 1926), und ebenso nicht mit einem Konstruktivismus, in dem das Bauhaus Kunst und Leben vermitteln wollte. Vielmehr richteten sie einen abgekühlten detailgenauen Blick auf die Wirklichkeit zwischen sozialer Misere und der Banalität des Alltags. Nüchtern, unsentimental, scharf erfassten sie Figuren und Dinge von ihrer Kontur her, um ihnen wieder Halt und Festigkeit zu geben und eine unüberschaubar gewordene Welt ins Überschaubare zu stabilisieren. An die Stelle dynamischer Entgrenzung trat statische Begrenzung. Ihr Realismus war keine Reproduktion, sondern eine Interpretation der Wirklichkeit, die sich dieser Wirklichkeit neu versichern wollte.

Die Ausstellung zeigt etwa 130 Aquarelle, Zeichnungen und druckgrafische Arbeiten aus dem umfangreichen Bestand des Berliner Kupferstichkabinetts. Die Auswahl wird durch 35 Leihgaben, vor allem Gemälde, ergänzt, denn durch die Einbeziehung der Malerei als repräsentatives Ausdrucksmedium der Neuen Sachlichkeit ist deren künstlerische Bedeutung noch vollständiger darstellbar. Daraus entsteht ein umfassendes Panorama, das Werke aller wichtigen Künstler enthält wie Otto Dix, Georg Grosz, Max Beckmann, Carl Grossberg, Conrad Felixmüller, Alexander Kanoldt, Franz Radziwill, Christian Schad, Rudolf Schlichter, Georg Scholz, Georg Schrimpf. Gerade in der Breite des Spektrums von rund 40 Künstlerinnen und Künstlern wird deutlich, dass sich weder stilistisch noch geografisch eine einheitliche Kunstrichtung beschreiben lässt. Die als Verismus, Neue Sachlichkeit oder auch Magischer Realismus etikettierten Haltungen haben zwar in der Zuwendung zur Realität und besonders zum Bild des Menschen, in der Genauigkeit des Gegenstands bei klarer Bildkonstruktion und der Dominanz der Linie gemeinsame Merkmale, bewegen sich aber dennoch in einem großen Radius.

Zwischen Berlin, Dresden, Karlsruhe und München reichen die Positionen von einem anfangs noch expressionistisch heftigen, zur karikaturhaften Härte gesteigerten Verismus bis zur romantischen, idyllischen Gegenwelt und naiven Poesie, von einem politisch progressiven Engagement, das den Zustand der Gesellschaft und ihrer Protagonisten zynisch attackierte oder empfindsam beschrieb bis zur konservativen Sehnsucht nach einem idealen, zeitlosen Sein im Gewand klassizistischer Form, von Bildern proletarischen Elends und ausschweifender Vergnügungen in den Städten zu entrückten Landschafts- und Figuren-Bildern, von der kühl distanzierten Dokumentation des Sichtbaren bis zur magischen Aufladung der Dinge.

Die Ausstellung Gefühl ist Privatsache ermöglicht einen differenzierten Blick auf eine vielfältige, nach einer neuen vorurteilslosen Feststellung der Wirklichkeit strebenden Kunst zwischen den Kriegen, die auf dem Weg ins Dunkel eben nicht als Lieferant einer geeigneten Bildssprache für die nationalsozialistische Kunstideologie missverstanden werden kann.

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GEFÜHL IST PRIVATSACHE
Otto Dix, George Grosz und die Neue Sachlichkeit
Werke aus dem Berliner Kupferstichkabinett mit Leihgaben
Kurator: Volker Adolphs

Künstler: Max Beckmann, Albert Birkle, Heinrich Maria Davringhausen, Rudolf Dischinger, Otto Dix, August Wilhelm Dressler, Heinrich Ehmsen, Conrad Felixmüller, Xaver Fuhr, Erich Godal, Otto Griebel, Carl Grossberg, George Grosz, Hans Grundig, Lea Grundig, Kurt Günther, Raoul Hausmann, Karl Hofer, Karl Hubbuch, Franz M. Jansen, Alexander Kanoldt, Guido Joseph Kern, Bernhard Kretzschmar, Wilhelm Lachnit, Paula Lauenstein, Franz Lenk, Alice Lex-Nerlinger, Jeanne Mammen, Carlo Mense, Oskar Nerlinger, Werner Peiner, Curt Querner, Franz Radziwill, Karl Rössing, Christian Schad, Rudolf Schlichter, Georg Scholz, Georg Schrimpf, Karl Schwesig, Richard Seewald, Friedrich Skade, Elisabeth Voigt, Johannes Wüsten, Magnus Zeller