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Germaine Krull (1897-1985) galt in den zwanziger Jahren in Paris als die Fotografin der Intellektuellen und als bedeutende Vertreterin des neuen Genres. André Malraux stellte ihre Fotos aus, gleichberechtigt neben moderner Malerei. Jean Cocteau bescheinigte ihr, sie habe mit ihrer Kamera "eine neue Welt entdeckt, in der Technik und Seele einander durchdringen"; und Walter Benjamin nahm sie in seine "Kleine Geschichte der Fotografie" auf. Er schätzte Germaine Krulls politisch wie menschlich engagierte Haltung ebenso wie ihre radikale Bildästhetik und wies ihr den gleichen künstlerischen Rang zu wie August Sander und Karl Blossfeldt. Zusammen mit dem Jeu de Paume, Paris, widmet ihr der Martin-Gropius-Bau eine umfassende Retrospektive.

Germaine Krull profilierte sich als unverwechselbare Fotografin vor dem Hintergrund einer kosmopolitischen Biografie. Geboren in Ostpreußen, aufgewachsen in Italien, Frankreich und der Schweiz, begann sie 1915 ihre Fotografie-Ausbildung in München und eröffnete dort 1917 ihr erstes Fotoatelier, wo u.a. ihr berühmtes Porträt von Kurt Eisner entstand. Nach ihrer durch die Wirren der Räterepublik bedingten Ausweisung lebte die politische Aktivistin Germaine Krull in Russland, bevor es sie nach Berlin, Amsterdam und 1925 schließlich nach Paris verschlug.

Dort gelang ihr mit außergewöhnlichen Fotografien von technischen Bauwerken, Häfen und Industrieanlagen der Durchbruch. Sie schuf einen neuen Typus technischer Fotografie, der ohne spektakuläre Bildrhetorik auskommt. Mit ihrem ersten Fotobildband "Metall" (1928), einer Hymne auf die Ingenieurskunst, avancierte sie zur internationalen Avantgarde der Fotografen. Befreundet mit Sonia und Robert Delaunay, Man Ray und André Kertész, übernahm sie zahlreiche Aufträge für Zeitschriften, Mode und Werbung. Ihre Porträts und Straßenmotive – darunter eine Reportage über die Pariser Clochards – waren geprägt durch einen unkonventionellen Realismus, der mit ungewohnter Sichtweise und fragmentierendem Bildausschnitt den Einfluss des Neuen Sehens der Bauhausschule erkennen lässt.

Für Benjamin war es nicht so sehr die Technik-Begeisterung, die ihm Germaine Krulls Fotos so bedeutsam machten, sondern deren "Wiedergabe der Realität": In der auf die Platte gebannten Kälte mechanischer Funktionalität schien dem deutschen Intellektuellen mehr von der Verdinglichung menschlicher Beziehungen eingefangen als in einer schlicht abfotografierten Fabrik, in der die Menschen vor den Maschinen posieren.

Dass Germaine Krull mit ihrer Kamera tieferes Verstehen der Realität erreichte, hing mit ihrem künstlerischen Werdegang zusammen: Die Tochter deutscher Eltern, in Polen geboren, hatte in München Fotografie studiert und teilte bald die Begeisterung ihrer sozialistischen Münchner Freunde für den revolutionären sowjetischen Film.

Über Berlin und Amsterdam kam sie nach Paris, das bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ihre künstlerische Heimat blieb. Nach 1945 erkannte Germaine Krull, dass das Fotografieren nicht mehr das intellektuelle und künstlerische Abenteuer bleiben werde, das es zwischen den Kriegen gewesen war. Die Medien hatten kein Interesse mehr an künstlerischen Aussagen der Fotografen. Viel eher sollten fortan Artikel bebildert werden.

Germaine Krull ging als Fotodokumentaristin in den Fernen Osten. Sie blieb in Bangkok und kehrte erst nach 15 Jahren zu Ausstellungen ihrer Fotos nach Paris zurück. Noch als Siebzigjährige schloss sie sich den nach Nordindien geflohenen Anhängern des tibetischen Dalai Lama an und lebte längere Zeit mit ihnen in einem alten Tempel. Germaine Krull starb 1985 fast vergessen in Wetzlar.