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Heute noch auf stolzen Rossen, morgen durch die Brust geschossen Als mich Ute Tischler 1999 einlud, mit ihr für das Zentrum für Kunst und Medien in Berlin-Adlershof eine Ausstellung über die Thematik des Glücks zu entwickeln, dachte ich unvoreingenommen sofort auch an ein Casino. (1) Man spielt mit wechselhaften Einsätzen, der Gewinn ist vage und zerrinnt einem zwischen den Fingern. Bei der Recherche zur Ausstellung in den Ateliers mir bekannter junger Künstlerinnen und Künstler stellten sich die eigentümlichsten Zusammenhänge her. Ich fühlte mich wie ein Sammler, der einer unbestimmten Obsession folgend Dinge zusammenträgt, die am Ende etwas mehr erleuchten könnten als weiteres Dunkel zu stiften, ich wußte nur nicht was. Nach einer Überprüfung der zusammengekommenen Arbeiten und einer Überarbeitung und neuen Einrichtung der Ausstellung im Kunst Haus Dresden im Jahr 2000 stellte ich fest, daß als Ergebnis der Ausstellung eigentlich eine große Leerstelle übrigbleibt. Glück, diese Verheißung und dieser schemenhafte Begriff, der kurz vor dem Begriff der Erlösung rangiert, zumindest in säkularisierten Industriegesellschaften, die durch eine mehr oder weniger ausgeprägte atheistische Lebensweise geprägt sind und in denen Religion eigentlich nur noch als Folklore zu den entsprechenden Festtagen vorkommt, jenes Glück ist inexistent. Der zwar immer wieder gewünschte und über verschiedenste Transponder verheißene Dauerzustand wäre schlechterdings unerträglich. Ein erster Blick in den Duden deutete bereits die Tendenz eines Paradoxons an. Glück: Die Herkunft des seit dem 12. Jh. bezeugten Wortes, das sich vom Nordwesten her allmählich im deutschen Sprachgebiet ausgebreitet hat, ist dunkel. (2) In der Ausstellung finden sich folgerichtig Palimpseste und schwarze Löcher.

Die Ausstellung geht trotz allem verschiedenen Erscheinungsformen von Glück nach und bietet ein kaleidoskopisches Feld der Anmerkungen zu etwas Unfassbarem. Der Betrachter steht in einer Wunderkammer und darf sich kurz des Glückes teilhaftig fühlen, anwesend zu sein. Entlassen wird er mit der Frage nach einer Leerstelle bzw. einer Auszeit im raumzeitlichen Kontinuum.

Die ausgestellten Arbeiten stammen von Künstlerinnen und Künstlern mit sehr unterschiedlichen kulturellen Sozialisationen. Der Bogen reicht von Alicia Lilio und Christina Cazaubon aus dem katholisch geprägten Chile bis zu Mathilde ter Heijne und Stefan Lundgreen aus den protestantischen Hochburgen Europas, den Niederlanden und Schweden. Was Glück ist, scheint so greifbar, daß es sich einer intersubjektiven Definition zu entziehen droht, weil jeder selbst der "Schmied seines eigenen Glückes" ist. Glück ist diffus, empirisch und, wie die Erfahrung zeigt, sehr vom Zufall abhängig.

Im Zentrum der Ausstellung steht in erster Linie eine ironische Auseinandersetzung mit dem Zustand des Glücks, der laut "World Database of Happiness" vornehmlich die Isländer auszeichnet (Deutschland liegt auf 21. (West) und auf der 26. (Ost) Stelle). Von daher ist der Gedanke des Spiels die zusammenfassende Klammer der Ausstellung. Glück ist ein privat konnotierter Schicksalsbegriff. In der Zusammenschau von Zufall und Regel reflektieren die verschiedenen künstlerischen Positionen zum einen den spielerischen Hintergrund von Kunst, Wissenschaft und Philosophie und zum anderen die Tatsache, daß Glück gerade durch seine Zufallskomponente zum persönlichen und vielleicht auch zu einem gesellschaftlichen Risikofaktor werden kann.

Das kann sich auf vielfache Weise manifestieren: zum Beispiel in der Verweigerung des optischen Erlebens, ja der Wahrnehmung von Kunst überhaupt, wie sie Georg Winter in seinen Objekten und Handlungsanweisungen vorschlägt. Oder zum anderen in den stringenten Zielvorgaben, die sich der norwegische Künstler Lars Ramberg als Unternehmensprofil von der größten norwegischen Wirtschaftsconsultingagentur erstellen ließ. Und denen er dann, vielleicht unfreiwillig, folgte, um als Künstler dem Glücksgefühl des Erfolges im Betriebssystem Kunst teilhaftig zu werden. Die Spuren des Glückes anderer Künstler existieren nur noch über Referenzobjekte wie geleerte Diahüllen, die Ute Weiss-Leder auf dem Müll in Australien fand. Ihre Fotos der Diahüllen verweisen auf die Teilnahme der Künstler an einer der weltweit gefeierten Biennalen, und darauf, was übrigbleibt. Glück und Vanitas liegen eng beieinander, eine Erkenntnis, über die bereits das Zeitalter der Barocke verfügte. Alicia Lillio fotografierte Industriefragmente einer Stadt in Chile, die nicht mehr existent ist. Kultureller Aufstieg und das Glück ihrer Bewohner, einer ökonomischen Prosperität teilhaftig zu werden, endeten abrupt mit dem Zusammenbruch der Weltmarktkupferpreise. Heute sind viele der aus Europa eingewanderten Bewohner der Stadt durch das an diesem Ort vorhandene grelle Sonnenlicht, welches europäische Augen überfordert, fast blind. In seiner Arbeit "Goldberg" beschäftigt sich Thomas Meyer mit einem durch Grabraub zu diesem Titel gekommenen Berg bei Halle. Durch die Zeiten zieht sich seit Jahrhunderten eine Verheißung des kleinen Hügels. Über die Geschichte von Klöstern, Weihestätten und Laubenpieperkolonien sollte er zu einem gigantischen Wallfahrtstempel des Konsums werden. Meyer zeigt die übriggebliebenen hypertrophen Architekturentwürfe zu dem gescheiterten Einkaufspark "Goldberg". Roland Boden zeigt analog der Legende aus russischen Märchen eine "Aschestochermaschine". Der Kreislauf der Dinge ist in ihr gebremst, daß Finden der Münze in der Asche ungewiß. Eine Metapher für ein Perpetuum Mobile des Suchens und nicht Findens. Die Berliner Gruppe Rechenzentrum, ansonsten unterwegs in den Clubs dieser Welt, zeigt das Schema der Gewichtung einer Münze in einem alten Telefonapparat. Original und Fälschung liegen nur wenige Gramm auseinander. Darüber entscheidet allein die Mechanik. Roland C. Pramann hat alte Fotos seines Vaters aus dem Amerika der 60er Jahre zu einem Ballett Tristes umgeformt. Der Verheißung der Neuen Welt und ihren Glücksversprechen folgt der Blick in die ausgeleuchteten banalen Architekturen des mittleren Westens. Nebenan spricht der Führer und die Hausmädels schauen mit leuchtenden Augen von der Empore auf ihn hinab. Sie sind dabei gewesen. Glück gehabt? Stefan Lundgren baut aus räudigen Betonplatten das schwedische Symbol des Lasters als Modell nach, ein gefaktes Casino. Casinos sind im protestantischen Wohlfahrtsstaat Schweden nach wie vor nicht erlaubt und so bleibt unseren Nachbarn diese Art des Glückgewinns verwehrt. Ein europäischer Anachronismus. Aber das Ostereiersuchen bleibt auch den Schweden, goldene Eier sind natürlich selten und das Glück des Kindes, ein Ei gefunden zu haben, könnte zu einem fragenden Blick führen, fände es ein Ei Gritta Götzes. Man ist an die schwarzen Hasen Paul Kirkebys erinnert, sieht man die Zeichnungen auf ihren wunderschönen Keramikeiern. Schwarze Silhouetten mit langen Eselsohren setzen dem glücklichen Finder einen Spiegel vor. So ist auch hier das Narrenschiff Sebastian Brants längst in See gestochen und der Überhebung folgt die Erniedrigung. Eine Art Schiffahrt als Metapher verwenden auch Pietro Sanguineti und Florian Zeyfang. In einem Videoloop streifen sie durch die glitzernde Casinowelt Baden Badens, durchbrochen durch den in Gold wühlenden Donald Duck, das Goldeselsymbol unserer Zeit, und gebrochen von einem sich immer wieder durchs Bild schiebenden rostigen Tanker, ein Seelenverkäufer der Jetztzeit. Lisa Junghanß lädt in ihrer installierten LISAKI-Plastikwelt zum Lesen einer Bestandsaufnahme des Glückes in dem banalen Verlauf des Tages einer Künstlerin ein. Lisakiworld 2000 ist der Ausflug in die hohle Welt des Scheins der trügerisch gelungenen Vormittage ohne das Klingeln des Gerichtsvollziehers.

Geld macht glücklich, heißt es. Im Obergeschoß verheißt eine animierte Schrift Pietro Sanguinetis analog Videospielen und Börsennachrichten Welcome in the next level. Bert Wrede läßt im Untergeschoß auf einem Billigradiorecorder eine Variante des Pink Floyd Hits Money vor sich hindudeln. Die weltweiten, 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr geöffneten Registrierkassen lassen grüßen. Macht Geld glücklich oder heißt Geld haben, sich der Gefahr bewußt zu sein, es auch verlieren zu können? Die Ohnmacht der Mächtigen klingelt aus den Boxen. Bei Mathilde ter Heijne klingt nur noch ein schluchzendes Weinen aus einer pinkfarbenen Handtasche der 60er Jahre. Das, was vom Tage übrigbleibt, nachdem das Glücksgefühl vorbei ist. Die Einsamkeit und die Enttäuschung und das Warten auf den nächsten kurzen Zustand des Glücks, das man nicht fassen oder gar festhalten kann. Eine gewisse Todessymbolik und die Stimmung eines Vanitasgemäldes zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung. In der Arbeit "Sehen und gesehen werden" Roland Bodens entpuppt sich das von einer Familie bewunkene Flugzeug als todbringender Marschflugkörper. Virtuelle Videospielästhetik und reale Computersimulation durchdringen einander. Vor dem schwarz-weißen Foto eines Kreuzes aus einer Todesprozession in Santiago de Chile hat Christina Casabon ein Lichtmobile mit einer High-Tech-Folie aus dem Daimler Chrysler Aerospace Programm montiert. Es wirft einen Lichtschein auf die Hände, die das Kreuz empor halten. Eine eigentümliche Verbindung aus unserem Vertrauen und unserer Glückserwartung mit und über Technologien und dem Verweis auf eine nicht aufhebbare Trauer über das Ende, den Tod. Auch der Absturz eines Apolloraumschiffes hat eine medial vermittelte ästhetische Komponente. Der technologische Unfall, der damit verbundene Tod von Menschen, wird auf den Bildschirmen zu einem Ereignis der Schönheit. Das Chaos als grundlegendes Bewegungselement des Universums, ein unübersichtliches mathematisch strukturiertes Casino der Elemente, kann in der Vernichtung, im Untergang, im Desaster wiederum Momente der Schönheit schaffen.

"Niemand kann einem anderen vorschreiben, was sein Glück ist; und niemand kann für sich selbst genau wissen, was ihn glücklich macht. Gerade in dem, was dem Menschen das Wichtigste zu sein scheint - ein gelungenes Leben zu führen- zeigt sich am deutlichsten seine Unbestimmtheit und Unergründlichkeit. In dem, worin alle Menschen überein zu stimmen scheinen - in ihrem Verlangen nach Glück- liegt eine größtmögliche Vielfalt verborgen." (3) Olav Westphalen beschäftigt sich als geübter Zeichner des menschlichen Wesens und anderer atmosphärischer Probleme in seinen im Katalog abgebildeten Projektorfolien, die Tendenzen der Tafeln eines Moritatensängers aufweisen, genau mit diesem Kasus im Bereich der Künste. Er trifft den Punkt gerade dort, wo man in zum Atheismus neigenden Gesellschaften doch meint und andere es vermuten, daß man freier und glücklicher wäre als anderen Ortes und das Chaos des Casinos würde der künstlerischen Kreativität weichen. Weit gefehlt, leider.

(1) Kasino: Gebäude mit Klubräumen, Speiseraum für Offiziere, für Mitarbeiter von Betrieben, öffentlicher Betrieb für Glücksspiele. Ital. Casino "Gesellschaftshaus" ( für Unterhaltung und Spiel) zuvor Landsitz. Diminutivum von ital. casa "Haus" ( aus lat. casa "Häuschen","Hütte") gelangt in der zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ins Deutsche. Allgemein gebräuchlich wird Kasino im Süddeutschen, wo es nicht nur die "Gesellschaftsräume", sondern auch die darin versammelte Gesellschaft bezeichnet; im Norddeutschen gilt dafür das schon früher aus dem Englischen entlehnte Klub. Aus: Ethymologisches Wörterbuch des Deutschen, dtv, 1995. (2) Über die altgermanischen Ausdrücke für "Glück" siehe die Artikel "Heil und selig". Mniederl. (ghe)lucke (aus dem Niederl. entlehnt engl. luck, mnd. (ge)lucke (daraus entlehnt die nord. Sippe von schwed. lykka), mhd. gelücke "Geschick", Schicksal(smacht); Zufall; günstiger Ausgang; (guter) Lebensunterhalt" lassen sich mit keiner anderen germanischen Wortgruppe in Zusammenhang bringen. Aus: Duden 7, Das Herkunftswörterbuch, Meyers Lexikonverlag, 1989. (3) Kai Hauke. Moralische Pflicht und die Frage nach dem gelingenden Leben. Überlegungen zu Kants Glücksbegriff, Vortrag 1998). Peter Lang Pressetext

Katalog: 48 Seiten mit Texten von Gerrit Gohlke, Harald Kunde, Peter Lang u. a., mit zahlreichen Farbabbildungen, deutsch/englisch