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Kunstpreis der Künstler 2008 Günter Weseler Über die Arbeit

Das Schaffen Günter Weselers gehört in den Bereich der sogenannten Objektkunst, die vorgefundene Gegenstände und Materialien benutzt und in neue künstlerische Zusammenhänge einbindet. Auch heute noch sind viele Besucher von seinen Atemobjekten fasziniert, schockiert oder amüsiert. Dabei wird die Wirkung der von einer versteckten Technik im Atemrhythmus bewegten Felle von mehreren Faktoren bestimmt. Zum einen von der Umgebung, in der sie gezeigt werden, also von den jeweiligen Präsentationsorten und den dort gegebenen Zusammenhängen. Aber auch die unterschiedliche Befindlichkeit und die jeweilige Persönlichkeitsstruktur des einzelnen Betrachters schaffen vielfältige Bedeutungszusammenhänge, die der Künstler so nicht immer beabsichtigt hat. „Exemplarisch das Beispiel Brotobjekt, wo die individuellen Interpretationen reichten vom empörten >hier wird ja das Brot geschändet< (bezeichnend für eine Generation, für die das Brot noch „heilig“ war), bis zur freudigen Zustimmung >das ist ja wie die Made im Speck und so fühle ich mich selber< “ (Zitat Weseler). Auch das Einbringen der atmenden Felle in den Zusammenhang eines Environments schafft häufig Bedeutungszusammenhänge, deren Vielschichtigkeit sich selbst für den Künstler erst nach und nach erschließt. „Eigentlich war das Gitter des Kinderbetts nur als Schutz gedacht, damit sich niemand auf das liegende atmende Wesen setzt ..., das aber plötzlich einen ganz anderen Charakter annahm : etwas ganz unheimlich Bedrohliches, Gewalttätiges ging von ihm aus“, notiert der Künstler selbst.

Schon in den frühen Gemälden Weselers sind organische Strukturen vorgegeben, die an die späteren Atemobjekte erinnern. Sie werden umgesetzt in reale dreidimensionale, tatsächlich organische Strukturen insoweit, als es sich um tierische Felle handelt.

Die Faszination für die existenzielle Bedeutung des Atemrhythmus erklärt sich dabei wohl aus der persönlichen Erfahrung des Künstlers mit einer ungewöhnlichen Atemempfindlichkeit. Die versteckte Technik erweckt die Felle - auch durch die beigegebenen Geräusche - scheinbar zum Leben, zu einem wie parasitär wirkenden, an eine Stelle gebundenen Dasein. Erst das Einbringen dieser kinetischen Felle in den Zusammenhang assemblagehafter Gestaltungsprinzipien oder raumokkupierender Environments eröffnet die ganze Spannbreite an Bedeutungszusammenhängen und Interpretationsmöglichkeiten zwischen Magie, Alchemie, Schock, Symbolik, Geheimnis und Witz. Im Laufe der weiteren Entwicklung des Schaffens von Günter Weseler treten diese provozierenden Elemente zurück zugunsten einer weiteren Vertiefung seiner Auseinandersetzung mit organischen Strukturen und deren Sinnbildcharakter für übergeordnete Zusammenhänge.

Die Grasmatten - und Moosobjekte machen diese Harmonisierungsbestrebungen deutlich: Eine auf eine Glasplatte aufgebrachte dünne Humusschicht lässt ausgebrachten Getreidesamen keimen und einen grasähnlichen Bewuchs bis zu einigen Zentimetern Höhe zu, der dann aus Nahrungsmangel vertrocknet und mit dem Wurzelwerk eine dichte, stabile Matte bildet, die rückseitig bemalt und durchsetzt mit atmenden Fellen gewissermaßen pflanzliche und tierische organische Daseinsformen miteinander verbindet.

Aus den Grasmattenobjekten entstehen eher zufällig durch die Überwinterung unfertiger Grasmatten Moosobjekte, bei denen der Moosbewuchs auf einer Glasplatte durch Austrocknung Risse und Aufbrüche erfährt, die in der Aufsicht den Grund der blaugefärbten Glasscheibe wie eine Wasserfläche durchscheinen und die noch zusammenhängenden Moospartien wie aus großer Höhe betrachtete Waldflächen erscheinen lassen. Es entstehen auf diese Weise sozusagen - wie der Künstler es nennt – fraktale Landschaften, Sinnbilder für große Zusammenhänge natürlicher Gegebenheiten.

In dieser Schaffensphase setzt sich der Künstler intensiv mit fernöstlicher Philosophie auseinander, mit alten bewusstseinserweiternden Atemtechniken und Praktiken, die nach einer Verbindung unseres aktiven Bewusstseins mit dem im Allgemeinen davon getrennten Unterbewusstsein suchen.

Ein Symbol für den reflektierenden Verstand ist die spiegelnde Oberfläche des Wassers, die den Blick in die Tiefe verhindert. In den Moosobjekten wird diese durch die blaugefärbte Glasscheibe veranschaulicht. Die aktuellen Spiegelobjekte des Künstlers besitzen einerseits eine haptisch erfahrbare Materialrealität, die sozusagen vor der Spiegelfläche angesiedelt ist und greifbar wird. Andererseits spiegelt sich die hinter uns befindliche, uns umgebende Realität mit all ihren Veränderungen wider, wird in das Kunstwerk einbezogen. Darüber hinaus scheint stellenweise eine dritte, sozusagen hinter dem Spiegel liegende Realitätsebene des Unbewussten, des Vermuteten und Erahnten durch. Die Spiegelschicht ist hier weggeätzt; was sich allerdings konkret hinter dem Spiegel befindet, kann vom Betrachter nicht verifiziert werden, er partipiziert an einer virtuellen Welt, die ebenso fotografischer wie realer Natur sein kann und für ihn mit den Mitteln des Verstandes allein nicht zu erkennen ist.

Der Künstler schafft mit diesen verschiedenen Realitätsebenen, der Wahrheit vor dem Spiegel und der sozusagen hinter dem Spiegel verschleierten, ein Sinnbild für die Einheit des menschlichen Bewusstseins, das aus dem reflektierenden Verstand einerseits und dem Unbewussten andererseits resultiert.

Maria Engels

Förderpreisträgerin 2008 Sala Lieber Lust auf alte Techniken für neue Bilder

Wie stimulierend Maler wie Fragonard, Boucher und Tiepolo auf heutige Maler zu wirken imstande sind, lässt sich am erstaunlichen Werk der ungarischen Malerin Sala Lieber, die nach dem Dresdner und Düssel-dorfer Studium u.a. bei Jörg Immendorff und Gerhard Merz sowie bei Brandl abschloss und jetzt post gra-duate weiter studiert, erkennen wie bei keinem anderen Künstler der Gegenwart. Ihre erklärte Liebe zum Dekor entfaltet sich in detailtreuen Nachempfindungen von Barock- und Rokoko-Ornamenten in ihren Zeichnungen und Malereien von Brokatstoffen, Samt und Seide, Verzierungen, Arabesken, Bordüren, Rocail-le-Muschelformen, Lüstern, Perücken. Kaum ein bekanntes dieser Muster entgeht der Wiedererweckung durch die Künstlerin. Sala Lieber bringt geradezu ein Manifest des Ornaments auf die Leinwand - das ge-naue Gegenteil also des Manifestes gegen das Ornament, verfasst vom Wiener Architekten Adolf Loos in seinem Essay „Ornament und Verbrechen" von 1908, wo der Höhepunkt einer Kultur am Fehlen der Orna-mente gemessen wird. In der Platzierung ihrer Ornamente meint Sala Lieber jedoch keine Oberfläche, die zu verschönern ist. Ihre floralen und dekorativen Konstruktionen auf der Leinwand zielen auf das innerste Wesen der Form, deren Element die zur Wirbelbewegung gerundete Linie darstellt. Die schöne Form soll im Kürzel des Ornaments alle Aspekte des Lebens und der Kunst umfassen, auch das Hässliche dieser univer-sellen Sprache, die heute zwar wieder allenthalben gesprochen wird, doch eher in der Reklamewelt und zu wenig auf der Ebene ästhetischen Diskurses. Es geht also bei Sala Liebers Kunst, ihrer Zeichnung, ihren Siebdrucken und ihrer Malerei durchaus nicht um die „süße" Oberfläche bei der dekorativen, arabesk ver-spielten Form- und Farbgebung, sondern um die Entwicklung einer neuen Bildsprache im Rückgriff auf die altmeisterliche des Rokoko. Die Einzigartigkeit ihrer Bilderfindungen besteht dabei nicht in der Gestalt der Elemente, die sie gebraucht, sondern in ihrem Einsatz, ihrer Konstruktion auf der Bildfläche. Wir entdecken, dass die Künstlerin in der Art und Weise, wie sie die nackten Leiber im oft leeren Raum in abenteuerlichen Drehungen und Verrenkungen in Beziehung setzt und gemeinsam fliegen lässt, eigentlich eine Reise in die Welt barocker Bilderfindungen darstellt, mit ihren durch die Moderne und die Zeitgenossenschaft geschulten Wahrnehmungsinstrumenten. Diese Reise lässt sich auch als eine Reise in einen undefinierbar fernen, gera-dezu unendlichen Bildraum verstehen, den sie auf der zweidimensionalen Fläche der Leinwand errichtet. Die Grundsituation der in den Raum geworfenen und ins Bodenlose stürzenden Figuren, die sich im Sturz noch navigierend in Beziehung setzen (etwa in erotische), gewissermaßen ein Tiepolo-Fresko ohne Kuppel evo-zierend, löst aber nicht nur Engel-Seligkeit aus, sondern deutet auch auf eine womöglich existentielle Ein-samkeit der konstruierten Distanzen zu fernen Zeiten und fernen Räumen hin. Es ist sicher kein Zufall, dass wir solche Zeit- und Raumphantasien aus dem Geiste unseres heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstan-des über Raumkrümmung, Vervielfachung der Raum-Zeit-Dimensionen, Auflösung der Materie in unvor-stellbar kleinen Nano- und unvorstellbar großen Weltraumbereichen, als befremdliche, subtil bedrohliche Konnotationen, die im Dekorativen und im Bukolischen schlummern, und ja auch gerade in der Malerei des Rokoko als ihr moderner Aspekt der Tendenzen zur Entgrenzung und Auflösung wiederentdecken, exempla-risch nicht nur bei Sala Lieber, sondern auch bei dem in Berlin und Peking gefeierten, vom Galeristen-Trendsetter Alexander Ochs vertretenen Maler Maio Xiaochin, dessen Zyklus „The Last Judgment in Cyber-space" der Kommunikationswissenschaftler Siegfried Zielinski einen Essay unter dem Titel „Neues im Alten entdecken" widmete. Vergleichbare Visionen sehen wir eben auch bei Sala Lieber, durch die rokokohafte Leichtigkeit des Seins ihrer Figurinen hindurch, die wie ihre Dekorationen so meisterhaft in Farbe und Kom-position im kunstgeschichtlich erinnerten Ambiente gesetzt sind, aber gerade durch ihre tiepolohaften Ent-grenzungen und Auflösungen im Bildraum in Bann ziehen, zu einer anderen Art von Cyberspace-Reisen, mit alten Mitteln.

Elmar Zorn

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Große Kunstausstellung NRW 2008
zu Gast im Museum Kunst Palast
Veranstalter: Verien zur Veranstaltung von Kunstausstellungen e.V.
Kuratoren: Markus Vater und team

Preisträger: Günter Weseler, Sala Lieber