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Günter Brus ist einer jener grossen europäischen Künstler des letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, deren Werk sowohl die mediale Vielfalt vertritt, die so charakteristisch für diese Zeit ist, als auch durch die Überschreitung der traditionellen Grenzen zwischen den Kunstgattungen ein neues Künstlerbild mitträgt.

Günter Brus' zentrale Rolle im "Wiener Aktionismus" (1964-1970) manifestiert sich in an Selbstzerstörung grenzenden Performances (zuletzt "Zerreißprobe", 1970), in deren letzter Konsequenz der Künstler Österreich verlassen muss und sich in Berlin einem zunehmend narrativen zeichnerischen Werk widmet. In umfangreichen Bild-Zyklen (erster: "Irrwisch", Buchprojekt von 1971) gelangt Günter Brus in den letzten Jahrzehnten zu einer dichten Synthese der figuralen, kalligraphischen und textlichen Komponenten seiner Kompositionen, in denen sowohl Ikonographie wie auch Sprache von phantastischen Neuschöpfungen geprägt ist. In Buchillustrationen, - sowohl für klassische wie für zeitgenössische Texte - Arbeiten für das Theater und für zeitgenössische Komponisten manifestiert sich sein Bestreben, in immer neue Zusammenhänge vorzustoßen.

Die Ausstellung der Albertina – aus Anlass des 65. Geburtstags von Günter Brus – spannt die Werkchronologie des Schaffens von Günter Brus sowohl medial wie thematisch als breite Felder auf, die die herkömmlichen Unterteilungskriterien unterlaufen und die Stringenz seines Schaffens immer als Arbeit am menschlichen Körper präsentieren.

„Günter Brus – Werkumkreisung“ umfasst frühe (noch nie gezeigte) abstrakte Zeichnungen (um 1958), Aktionsskizzen, fotografische und filmische Dokumente der Aktionen (1964-1970), Fotocollagen, Zeichnungen und Pastellblätter (ab 1971), sowie eine Auswahl der vielteiligen Bild-Dichtungen.

Informelle abstrakte Malerei 1960, während eines Aufenthalts in Mallorca, begann sich Günter Brus mit informeller abstrakter Malerei zu beschäftigen. Brus durchstieß dabei das Papier mit dem Bleistift, drehte die Fläche mehrmals und vermied somit die Definition von Oben und Unten im Bild. Durch die Zerstörung des Malgrundes und die Vermeidung einer Festlegung des Bildraumes erteilte er der klassischen „Fensterfunktion“ der Malerei eine deutliche Absage.

Die erste Aktion In seiner Aktion „Ana“ (Atelier Mühl, Wien, Oktober/November 1964) wollte sich Brus zunächst weiß bandagiert durch einen weiß verkleideten Raum bewegen, dann den Körper seiner Frau Anni schwarz bemalen. Die (von Brus selbst vorgesehene) Anwesenheit der Fotografen (Ludwig Hoffenreich, Siegfried Klein, Kurt Kren und Otto Mühl) störte den geplanten Ablauf. Brus fiel in einen „triebdurchbruchartigen Malanfall“ und überzog Körper, Fußboden, Wand sowie umherliegende Gegenstände mit informeller Malerei.

Auf „Ana" folgten die Aktionen „Selbstbemalung“ und „Selbstverstümmelung“. Brus entwarf hierfür vorbereitende Skizzen. Er experimentierte mit dem Motiv der Pinselspur auf dem Körper und vollzog auch den Übergang vom gemalten Strich zum Schnitt ins Fleisch.

Erste Einzelausstellung Bei seiner ersten Einzelausstellung in der Galerie „Junge Generation“ („Malerei – Selbstbemalung – Selbstverstümmelung“) 1965 präsentierte Günter Brus nicht nur großformatige Bilder. Mit einer Aktion am Eröffnungsabend verwies Brus auf die neuen Prioritäten in seinem Schaffen. In der Zeitschrift „Le Marais“ („Der Sumpf“), die als Katalog zur Ausstellung diente, lud Brus auch Otto Mühl, Hermann Nitsch, Rudolf Schwarzkogler, Hermann Schürrer und Reinhard Priessnitz zur Mitarbeit ein. Dabei sprach er erstmals von der „Wiener Aktionsgruppe“.

Wiener Spaziergang Am 5. Juli 1965 fand die 8. Aktion von Günter Brus statt. Weiß bemalt und durch einen schwarzen Pinselstrich wie gespalten spazierte er durch die Wiener Innenstadt. Zu Kunstobjekt geworden, erregte er als wanderndes „lebendes Bild“ Aufsehen, bis die Polizei einschritt und eine Geldstrafe verhängte. Mit dieser Aktion trat Brus erstmals aus dem privaten in den öffentlichen Raum.

Direkte Kunst Aus der Zeit der Zusammenarbeit mit Otto Mühl im Rahmen der „Totalaktionen“, stammt der Begriff „Direkte Kunst“. Gemeinsam mit anderen Künstlern gründeten Brus und Mühl das „Institute for Direct Art (IDA)“ und nahmen zum ersten Mal im Herbst 1966 in London an einem internationalen Festival teil („DIA“, „Destruction in Art“). Als letztes gemeinsames Projekt realisierten Brus und Mühl das „Direct Art Festival“ am 9. November 1967 im Wiener Porrhaus. Hier führten sie auf der Bühne abwechselnd kurze, „revueartige“ Aktions-Sketches auf.

Der helle Wahnsinn Diese Aktion fand im Februar 1968 im Reiffmuseum in Aachen statt. Brus thematisierte hier existentielle Vorgänge: Die Entstehung des Lebens, Geburt, Atmung, Ernährung, Ausscheidung und Schmerz. Brus verzichtete dabei auf traditionelle künstlerische Materialien. Anstelle des mit dem Pinsel ausgeführten Strichs der „Selbstbemalung“ trat nun die reale Verletzung. Statt mit Farbe agierte Brus mit Substanzen, die er selbst hervorbrachte: Blut und Exkremente.

Kunst und Revolution Die Aktion von Günter Brus im Rahmen der Veranstaltung „Kunst und Revolution“ am 7. Juni 1968 im Neuen Institutsgebäude der Universität Wien hat ein in der Zweiten Republik beispielloses Vorgehen von österreichischen Medien und Exekutive gegen einen Künstler hervorgerufen: 5 Monate schwerer Kerker, Fasttage und harte Lager für das Absingen der Bundeshymne beim Onanieren. Es erklärt sich vor allem aus der Tatsache, dass Günter Brus, Otto Mühl, Peter Weibel, Oswald Wiener und Franz Kaltenbäck bei „Kunst und Revolution“ nicht in einem Kunstkontext auftraten (wo zumindest Brus schon vorher durchaus Vergleichbares, von der Öffentlichkeit wenig beachtet, aufgeführt hatte), sondern ihr Spektakel als politische Manifestation verstanden: „,kunst’ ist nicht kunst. ,kunst’ ist politik.“ Günter Brus entzog sich der Verhaftung durch Flucht nach Berlin. In mehreren Text- und Bildsammlungen – „Patent Urinoir“, „Patent merde“ und „unter dem Ladentisch“ - hat er die Ereignisse verarbeitet.

Exil Als ironische Antwort auf die Situation in Wien gründeten Brus und Gerhard Rühm in Berlin eine „Österreichische Exilregierung“. Zum offiziellen Sitz dieser „Exilregierung“ wurde jedoch Bozen gewählt, das damals gerade von Bombenanschlägen rechtsradikaler Separatisten erschüttert wurde. Als „zentrales organ“ wurde die „Schastrommel“ am 27. Mai 1969 ins Leben gerufen. Es blieb das einzig Nachhaltige der „Exilregierung“. Günter Brus fungierte als Herausgeber und künstlerischer Gestalter. Bis 1977 erschienen 17 Nummern – zuletzt unter dem neuen Titel „Die Drossel“.

Die letzte Aktion Am 19. Juni 1970 fand in München die letzte Aktion von Günter Brus statt, die „Zerreißprobe“. Laut Hermann Nitsch markiert sie den abschließenden Höhepunkt der „Körperanalysen“ - „Marksteine der Körperkunst wurden gesetzt, die später von anderen ausgebeutet wurden.“

Berlin Die Veränderung der Themen und der Gestaltung der „Schastrommel“, der Übergang von einer mehr oder weniger „kollektiv“ verantworteten Zeitschrift zum Experimentierfeld einer einzelnen Künstlerpersönlichkeit sowie der Wechsel des Titels auf „Die Drossel“ und eine (fiktive) Verlagerung des Erscheinungsortes von Bozen nach Brüssel kann man als Symptome der künstlerischen Entwicklung der Berliner Zeit verstehen. Parallel dazu konzipierte Günter Brus seine radikalsten „Körperanalysen“, begann aus einer ähnlich körperkonzentrierten Motivwelt heraus seinen Roman „Irrwisch“ zu schreiben und zu zeichnen. Schließlich tauchte er in das märchenhaft-phantastische Universum seiner ersten Bild-Dichtungen ein.

Irrwisch 1971 erschien „Irrwisch“ im Kohlkunstverlag, der ursprünglich eine mit Fotografien illustrierte Anthologie der Aktionen geplant hatte. Brus steigerte mit der Entscheidung, Text mit Zeichnungen zu kombinieren, die Ideenwelt seiner Aktionen ins Irreale. Brus trat nun auch verbal gegen Bigotterie und Verdrängung auf, allerdings – wie schon in früheren Jahren – nie als Moralist, Belehrender, Fordernder, sondern aggressiv, subversiv, ins Groteske pervertierend.

Bild-Dichtungen Seit Beginn der 70er-Jahre experimentierte Brus mit den unterschiedlichsten Möglichkeiten, Zeichnung und geschriebenes Wort zu verbinden. Er entwickelt daraus den Begriff „Bild-Dichtung“.

Der Schriftsteller Brus lehnt dabei – wie zuvor der Aktionist Brus – jede Einschränkung ab. Er bezeichnet sein literarisches Prinzip als „Fortschreibung“. Es handelt sich hierbei um ein Nach- und Ineinanderfließen unterschiedlicher Textsorten ohne hierarchische Ordnung, ohne Anfang und Ende. Günter Brus plant und überarbeitet seine Texte nur selten. Es gehört zum Aktionshaften seiner Literatur, dass sich Biographisches mit Fiktivem mischt. In Anlehnung an den Ausdruck „Direkte Kunst“ nennt er seine Art zu Schreiben auch „Direkt-Dichtung“.

Der Katalog zur Ausstellung Günter Brus – Werkumkreisung. Monika Faber, Hrsg.: Albertina Wien, Klaus Albrecht Schröder Mit einem Vorwort von Klaus Albrecht Schröder, Christa Steinle, Matthias Haldemann und Peter Weiermair. Beiträge von Monika Faber, Peter Weibel, Gerhard Roth, Johanna Schwanberg und Antonia Hoerschelmann. 288 Seiten; Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln Pressetext

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Günter Brus - Werkumkreisung

Stationen:
25.11. - 30.01.2005 Galleria d´Arte Moderna, Bologna
07.11. - 08.02.2004 Albertina, Wien
20.02. - 18.04.2004 Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz